Eva Hesse zeichnete oft auf demselben Blatt mit Bleistift, Kugelschreiber und Filzstift, kombinierte dazu Gouache und Collage. Hier ein unbetiteltes Blatt von 1963.

Foto: The Estate of Eva Hesse, Courtesy Hauser & Wirth

Eine frühe, von Josef Albers beeinflusste Papiercollage Eva Hesses.

Foto: The Estate of Eva Hesse, Courtesy Hauser & Wirth

Skizze von Eva Hesse zu einer Skulptur, von 1969.

Foto: The Estate of Eva Hesse, Courtesy Hauser & Wirth

Acht Skizzen im hinteren Teil der Ausstellung tragen Nummern: 1, 2, 3, 4 ... Sie sehen aus, wie einmal eben hingekritzelt: blockhafte Formen, die sich an Wände lehnen, wie der handschriftlichen Notiz auf dem Zettel zu entnehmen ist, am Boden liegende Stäbe oder hängende Schnüre. Sie erproben zeichnerisch Materialeigenschaften wie Hängen, Abrollen oder Faltenwerfen. Es sind schnelle Entwürfe zu Skulpturen, die Eva Hesse in jenem Jahr 1969 noch realisieren wollte, wo zu es aber nicht mehr kam. Ende Mai 1970 starb die Künstlerin mit 34 Jahren an einem Gehirntumor.

Das bis dahin geschaffene Werk sucht seinesgleichen. "Ich will meinen eigenen Weg finden. Es macht mir nichts aus, meilenweit von anderen Künstlern entfernt zu sein, die besten Künstler sind einzigartig", sagt Hesse in einem im Mumok zu sehenden Video. Forms Larger and Bolder heißt die Schau des zeichnerischen Werks der Künstlerin.

Der Titel bezieht sich auf einen Brief, in dem Hesse 1965 ihren jüngsten Zeichnungen "riskante Formen" zusprach. Es handelte sich um fiktive technische Geräte. Das Attribut "riskant" trifft aber tatsächlich auf alle Hesse’schen Werke zu.

Spurensuche

Es gehe ihr um das noch Unbekannte, Ungedachte und Ungesehene, wie Hesse 1968 festhielt. Die Bezeichnung "Ohne Titel" bei fast jedem Werk befeuert nur das Rätsel, das diese Arbeiten auch auf den zweiten Blick bleiben. Man kann sich herrlich in dem Gewurl der Krakel und Kringel und poppigen Farben verlieren, während man versucht, ihm auf die Spur zu kommen und dabei nichts zu verpassen. Auf manchen Blättern deuten Pfeile zudem Richtungen an, als folgte aus dem einen Teil des Bildes ein anderer und als setzte eine Aktion an einer Stelle des Blattes Reaktionen an anderen in Gang.

Wer dabei an Kinderzeichnungen denkt, liegt ausnahmsweise nicht falsch! Hesse gab Zeichenstunden und lernte dabei selbst von ihren kleinen Schülern. Sie teilte sich mit ihnen die Zettel, von allen Seiten wurde gleichzeitig darauf gemalt.

Während Werktitel fehlen, stehen stattdessen mitunter elendslange Aufzählungen der Zeichenmittel an den Wänden: Gouache, Aquarell, Tusche, Zeichenkohle und Grafit finden sich etwa auf einem einzigen Blatt von 1963: Mit Gouache und Aquarell setzte Hesse leuchtend bunte Fleckchen und Akzente über das graue Linien gekrakel. Es hängt nun ordentlich hinter Glas, schlampig wurde das Blatt aber aus einem Skizzenbuch herausgerissen – auch das zeigt die Freiheit und Verspieltheit von Hesse und wie undogmatisch die Künstlerin an die Sachen ging. Tatsächlich sind diese Blätter wunderbar luftig und locker.

Hier und da bedient

Oft riss Hesse Stellen aus Zeichnungen, um sie in anderen einzukleben. Diese Art, sich hier und dort zu bedienen, ist typisch für ihre Arbeitsweise. 1936 in Hamburg geboren, wurde das jüdische Mädchen im Alter von zwei Jahren zusammen mit seiner Schwester in die Niederlande verschickt. Von dort flüchtete die Familie ein Jahr später nach New York. Früheste Werke der 70 Blätter umfassenden Ausstellung im Mumok sind Blumenstillleben der 17-Jährigen und Akte. Bei Josef Albers studierte sie schließlich Kunst und schuf von dessen Farbenlehre inspiriert Kartoncollagen.

Inspirationen bezog sie auch von den Surrealisten, später zapfte sie die zeitgenössischen Strömungen Minimal Art und Konzeptkunst an. Hesse hatte Interesse daran, deren Regeln zu brechen und neu zu erfinden. So sollten ihre konzeptuellen Arbeiten etwa nie steril sein. War ein Einfluss aber nicht mehr nützlich, warf sie ihn ohne Bedauern über Bord und versuchte anderes.

So landete Hesse schließlich nach Anfängen beim Malen und Zeichnen während eines Aufenthaltes in Deutschland 1965 bei ersten Skulpturen. Aus ungewöhnlichen Materialien wie Polyester, Fiberglas, Latex, Draht und Schnüren baute sie bald raumfüllende Installationen: Zeichnen in 3D. Doch diese Geschichte erzählt das Mumok nicht mehr.

Stets würden die Schwierigkeiten in Eva Hesses Lebens betont, meinte Hesses Schwester bei einer Führung durch die Schau. Sie sei aber humorvoll und risikofreudig gewesen. Das sieht man. (Michael Wurmitzer, 15.11.2019)