Lebt in einem Haus ohne ordentliche Heizung: Mülkiye Lacin.

foto: privat

Ankara/Wien – Ihr Leben im Freiluftgefängnis dauert nun schon vier Monate. Seit Mitte Juli sitzt Mülkiye Lacin, eine Österreicherin mit kurdischen Wurzeln, in einem kleinen Dorf in der türkischen Provinz Tunceli fest. Das Dorf hat im Herbst und Winter nur 15 Einwohner, alles alte Leute. Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist mit dem Minibus eineinhalb Stunden entfernt.

In Wien, wo sie seit 35 Jahren lebt, hat sie einen Job als Freizeitpädagogin bei der Organisation Bildung im Mittelpunkt, eine Wohnung und Freunde. Ihre zwei erwachsenen Kinder leben hier. In dem türkischen Dorf muss sie allein in ihrem halb fertigen Sommerhaus wohnen, das man nicht richtig heizen kann.

Immer kälter

Das ist für die 57-Jährige ein Problem. Infolge der auch in der östlichen Türkei sinkenden Temperaturen leide sie immer öfter an Rücken- und Gelenkschmerzen. "Die Kälte tut mir nicht gut", sagt sie am Telefon.

In der Einöde festgehalten wird die Wienerin von den türkischen Behörden. Sie hat Ausreiseverbot. Gegen sie laufen Ermittlungen wegen Terrorverdachts, entsprechend den nach dem Putschversuch im Juli 2016 verschärften Gesetzen.

Weitere Fälle von Ausreiseverbot

Damit ist sie nicht allein. Dem STANDARD liegen die Namen von vier weiteren Österreichern mit kurdischen Wurzeln vor, die die Türkei wegen Terroranschuldigungen nicht verlassen dürfen. Einer der vier sitzt seit bald einem Monat in U-Haft. Alle Fälle seien im Außenministerium registriert, heißt es von Unterstützern. Dort sagte Sprecher Guschelbauer, man biete allen Betroffenen konsularische Unterstützung auf diplomatischer Ebene. Auf politischer Ebene sei bislang nur der Fall des inzwischen wieder in Österreich befindlichen Journalisten Max Zirngast behandelt worden.

Was man Lacin in der Türkei konkret vorwirft, wurde ihr bislang nicht offiziell mitgeteilt. Alles, was sie darüber weiß, stammt aus den Verhören nach ihrer Festnahme am 17. Juli. Eine Nacht verbrachte sie damals in einer dreckigen Zelle. Dann entließ man sie wieder – in die Halbfreiheit.

Weit hergeholte Verdachtsmomente

Am Telefon zählt Lacin die Verdachtsmomente auf, mit denen die Polizisten sie konfrontierten. Sie erscheinen mehr als weit hergeholt: Auf Facebook habe sie mehrmals die Worte Kurdistan und "Biji Newroz" gepostet. Letzteres heißt "Hoch lebe Neujahr" auf Kurdisch.

Am ersten Mai 2016 habe sie im Kurdischen Demokratischen Zentrum in Wien eine Rede gehalten. Ein Foto zeige sie beim Theaterspielen zum Newroz-Fest, im Hintergrund sei laut türkischen Behörden ein Bild des Mitgründers der kurdischen Partei PKK, Abdullah Öcalan, zu sehen. Die PKK gilt in der Türkei als Terrororganisation.

Bei Botschaft Hilfe gesucht

"All das habe ich in Österreich getan. In einem Rechtsstaat, in dem so etwas erlaubt ist. In der Türkei nennt man es terrorverdächtig", sagt Lacin. Unmittelbar nach ihrer Festnahme im Juli hatte sie in der österreichischen Botschaft in Ankara angerufen: "Die Vertretung Österreichs war die erste Stelle, die mir einfiel, um Hilfe zu bekommen."

Danach sei sie von der Botschaft 14-tägig kontaktiert worden, "jeweils mit der Frage, wie es mir denn geht". Nach einer Reihe solcher Gespräche wurde sie Mitte Oktober vehementer: "Ich will, dass man mir hilft, nach Wien zurückzukehren. Ich bin seit langen Jahren Österreicherin."

Botschafter rief an

Ob sie das wirklich bestätigen könne, wurde sie vom Botschaftsmitarbeiter daraufhin gefragt: "Ich bin keine Doppelstaatsbürgerin. Alles, was ich an türkischen Dokumenten besitze, ist die sogenannte blaue Karte, die Extürken eingeschränkte Rechte in der Türkei einräumt", antwortete sie.

Drei Tage nach dieser Klarstellung meldete sich der österreichische Botschafter persönlich bei Lacin. "Danach geriet etwas in Bewegung", schildert diese. Vor wenigen Tagen wurde ihr der Name des für ihren Fall verantwortlichen Richters mitgeteilt.

Prominente Unterstützer

In Wien fordert ein Solidaritätskomitee ihre rasche Rückkehr nach Wien. Eine diesbezügliche Petition wurde unter anderem von den Schriftstellern Elfriede Jelinek, Erich Hackl, Doron Rabinovici und Julya Rabinowich sowie von der AK-Wien-Präsidentin Renate Anderl erstunterzeichnet. (Irene Brickner, 16.11.2019)