Mehr als 20 Millionen Zylinder- und andere Schlüssel werden bei Evva unter Stefan Ehrlich-Adám jährlich hergestellt. Elektronische Schlüssel und Schließsysteme sind da noch nicht eingerechnet.
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Schlüssel von Evva hängen an fast jedem Schlüsselbund. Der Traditionsbetrieb wurde einst als Start-up gegründet, beschäftigt 750 Mitarbeiter in Europa und ist ein Nischenplayer, der sich mit Innovation gegen internationale Konkurrenz zu behaupten sucht. Als Sozialpartner hält der Firmenchef mit Kritik an der Politik nicht hinterm Berg.

STANDARD: Mit dem Herbst beginnt die Hochsaison für Einbrecher. Beginnt damit auch die gute Zeit für Sicherheitsschlösser?

Ehrlich-Adám: (lacht) Nein, der Herbst ist nicht die Hochsaison für uns. Bei Alarmanlagen ist das anders, etwa nach Preisaktionen oder bevor die Menschen auf Urlaub fahren. Nach 9/11 war Biometrie in aller Munde, da gab es einen richtigen Hype. Aber ohne Mechanik geht auch da nichts! Unser Markt steigt stabil, kontinuierlich, aber ohne größere mengenmäßige Ausschläge. Aber generell gibt es einen Trend zu höherwertigen Schließsystemen.

STANDARD: Schützt man seine Wohnung mit einem elektronischen System besser?

Ehrlich-Adám: Nein, ein elektronischer Türöffner allein ist keine Sicherheit, das Schnapperl ist mit einer Plastikkarte schnell geöffnet. Echten Schutz bietet nur ein elektronisches Schließersystem mit Verriegelung.

STANDARD: Egal wie viel Hightech am Tor angebracht ist, am Ende entscheidet doch die mechanische Verriegelung an Tür und Schloss?

Ehrlich-Adám: So ist es. Und da kommen wir ins Spiel, das ist das Know-how von Evva seit hundert Jahren. Wir wissen, wie die Welt der Mechanik funktioniert, sind aber seit dreißig Jahren auch in der Elektronik zu Hause.

STANDARD: Elektronische Zutrittssysteme bieten auch andere Hersteller – zum Beispiel Kapsch, einen Steinwurf von Evva entfernt. Was unterscheidet Evva-Produkte von anderen Systemen?

Ehrlich-Adám: Das Zusammenspiel mit mechanischen Schloss- und Verriegelungssystemen. In der Elektronik machen wir nicht alles selber, da arbeiten wir mit Universitäten wie der TU Wien und deren Spin-offs zusammen, wir lassen dort programmieren. Aber das Engineering bleibt aus Sicherheitsgründen bei uns im Haus.

STANDARD: Die Evva-Gruppe erwirtschaftet 86 Millionen Euro Umsatz, davon 58 im Stammhaus in Wien-Meidling, von denen in Wien eine Million Euro Gewinn blieb. Bliebe unterm Strich mehr, wenn Sie Schlüssel und Schlösser in einem Land mit niedrigeren Arbeitskosten produzierten?

Ehrlich-Adám: Sie legen mir nahe, die Produktion ins Ausland zu verlagern?

STANDARD: Keineswegs, aber so viel Treue ist eher ungewöhnlich, zumal Sie seit Jahren den Stillstand in der Politik kritisieren ...

Ehrlich-Adám: Es ist richtig, der Gewinn könnte höher sein, aber wir investieren sehr viel, bis 2023 rund 20 Millionen Euro in Produkte, Maschinen und Gebäude. Und wir fühlen uns wohl hier als österreichisches Unternehmen. 2012 hatten wir bereits hundert Millionen Euro Umsatz, damals waren wir in Spanien an einem Spezialisten für Zutrittssysteme beteiligt. Von ihm haben wir uns aber getrennt und 2014 unsere eigene Elektronikwelt in den Markt gebracht. Inzwischen haben wir mit Air Key und Xesar eigene weltweit bewährte elektronische Systeme. Heuer geht unser zweiter 3D-Drucker in Betrieb. Aber das Aufholen ist noch nicht zu Ende, und für die Arbeitskräfte ist Wien schon noch ein sehr attraktives Zentrum.

STANDARD: Sie expandieren weiter, entwickeln drei Powerplants in Wien, Krefeld und im tschechischen Tišnov. Haben Sie hier in Wien-Meidling überhaupt genug Platz? Niederösterreich lockt quasi an jeder Autobahnabfahrt mit Éco Plus und Standortvorteilen.

Ehrlich-Adám: Das ist richtig. Aber wir sind hier am Bahnhof Meidling an einem Verkehrsknotenpunkt, das ist auch für unsere Mitarbeiter von Vorteil, und das Angebot an hochqualifizierten Arbeitskräften ist hervorragend. Wir bauen sogar unsere Spezialmaschinen selber, einige ganz besondere tragen die Namen unserer Kinder.

STANDARD: Dafür gibt es doch Spezialmaschinenbauer?

Ehrlich-Adám: Aber keiner konnte ölfreie Technologie liefern.

STANDARD: ... die aber Reibungsverluste verursacht.

Ehrlich-Adám: Ja, aber es kommt auf das richtige Zusammenspiel zwischen Werkzeugen und Verarbeitungsgeschwindigkeit an, und dafür produzieren wir umweltfreundlicher, vermeiden Öl, Schmierstoffe und Wasser – und wir müssen die Teile danach nicht entfetten.

STANDARD: Wie arbeitsteilig sind die Powerplants organisiert?

Ehrlich-Adám:Die Powerplants werden zu Produktionseinheiten für Teilefertigung und automatisierte Montage, die Satelliten sind die acht europaweiten Vertriebsstandorte für die manuelle Montage kleinerer Losgrößen. In Wien gewinnen wir Platz, weil bewährte Altsysteme nach Tišnow gehen.

STANDARD: Sie engagieren sich seit Jahren in der Wirtschaftskammer und urgieren regelmäßig Reformen in Bildung, Föderalismus, Verwaltung, Pensionen. Viel Erfolg hatten Sie dabei nicht. Als Lohnverhandler müssen Sie immer noch was drauflegen, damit netto im Börsel auch was ankommt.

Ehrlich-Adám: Ja, die kalte Progression ist immer noch unverändert. Die Regierung Kurz wollte das Problem am Ende der Legislaturperiode lösen.

STANDARD:Das war augenscheinlich ein Fehler. Wichtigste Vorhaben muss man am Anfang angehen.

Ehrlich-Adám: Dabei geht es bei der kalten Progression primär um die Entlastung der Arbeitnehmer, nicht der Arbeitgeber. Für die Lohnverhandler wäre das positiv, denn durch höhere Abschlüsse verschlechtert sich die Position Österreichs in Europa.

STANDARD: Zuletzt hat sich Österreich bei den Lohnstückkosten im Vergleich mit den Haupthandelspartnern in Europa verbessert. Jammern Sie auf hohem Niveau?

Ehrlich-Adám: Nein, wir in der metalltechnischen Industrie hatten 2009/10 einen enormen Anstieg, liegen seither sicher fünf Prozentpunkte über unserem Mitbewerb. Auch die Kurzarbeit als Strukturmaßnahme wurde in der Wirtschaftskrise in Deutschland für die Unternehmen viel effizienter gestaltet. Im Sinne eines Familienunternehmens haben wir damals keine Mitarbeiter freigesetzt.

Evva-Chef Stefan Ehrlich-Adám hält den Zwölfstundentag für eine gute Sache.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Welche Strukturmaßnahmen meinen Sie? Der Zwölfstundentag ist inzwischen möglich.

Ehrlich-Adám: Ja, der Zwölfstundentag ist gut, weil man dadurch kurzfristige Spitzen unbürokratisch abarbeiten kann. Der Zwölfstundentag regt außer der Gewerkschaft niemanden mehr auf, denn wir regeln vieles betrieblich. Aber wir haben noch immer zwei Klassen von Arbeitnehmern.

STANDARD: Sie meinen Arbeiter und Angestellte? Das wurde doch per Gesetz auf den Arbeitnehmerbegriff vereinheitlicht?

Ehrlich-Adám: Aber gibt noch immer zwei Kollektivverträge mit unterschiedlichen Regelungen, etwa bei Dienstreisen. Setzt ein Aufzugsmonteur einen Fuß vor die Tür, ist es sofort eine Dienstreise. Das ist echt ein Problem.

STANDARD: Unternehmen beklagen Fachkräftemangel. Hat Evva Probleme, Lehrlinge zu finden?

Ehrlich-Adám: Eigentlich nicht, obwohl die schulische Ausbildung bis zum Pflichtschulabschluss zu wünschen übrig lässt. Wir nehmen pro Jahr zwei bis vier Lehrlinge auf, oft Kinder von Mitarbeitern, gerade so viele, wie wir nach der Lehre behalten können. Denn es ist auch emotional schwierig, jemanden nach drei Jahren fortzuschicken. Damit fahren wir gut, denn die haben meist eine emotionale Bindung zum Unternehmen und wir über die Eltern eine Art „Aufsicht“. Aber grundsätzlich ist das Fachkräfteproblem evident. Österreich gibt für Bildung am meisten aus, ist aber beim Output weit hinter der Schweiz oder Singapur.

STANDARD: Der Trend zur Akademisierung hält an, dadurch bleibt ein Teil der Kinder auf der Strecke.

Ehrlich-Adám: Es mangelt schon an der Basisausbildung. Überall gibt es Eignungsprüfungen, aber nicht bei Pädagogen, dabei sind sie für Kindergarten und Volksschule elementar. Sie verdienen auch noch am wenigsten. Ich war selbst im französischen Schulsystem und bin ein Verfechter der Gesamtschule bis 14 und der Ganztagsschule. Der Weg zur Zentralmatura war richtig, aber er wurde nicht zu Ende gegangen! Maturaarbeiten sind durch Dritte zu korrigieren, Ergebnisse zu veröffentlichen, um einen Vergleich zu ermöglichen. Jetzt will man auch noch die Bewertung der Lehrer durch die Schüler verhindern. Warum? Jede Firma muss sich das tagtäglich gefallen lassen, aber in der Schule soll es nicht gehen?

STANDARD: Sie haben drei erwachsene Kinder. Bauen Sie schon Nachfolger auf? Und wie schützen Sie Evva vor etwaigem Familienstreit? Mit einer Privatstiftung?

Ehrlich-Adám: Wir machen sicher keine Stiftung, das wäre ja eine freiwillige Enteignung oder gar Enterbung. Da müssen wir uns etwas anderes überlegen. Volkswirtschaftlich ist es natürlich wichtig, dass unternehmerische Substanz erhalten und Österreich international wettbewerbsfähig bleibt. Unsere Kinder drängen wir sicher nicht in den Betrieb, sie müssen von sich aus Interesse zeigen. (Luise Ungerböck, 17.11.2019)