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London im November 2019: Österreichs bester Tennisspieler, Dominic Thiem, spielt in der Form seines Lebens. Er gewinnt gegen Roger Federer und Novak Djokovic, gegen zwei Granden des Sports. Bei Tennisübertragungen ist es üblich, dass die Kamera hie und da auf die Box schwenkt. Dort sitzen Familie, Manager, Betreuer und vor allem Trainer. In Thiems Box sitzt seit heuer Nicolás Massú. In einer heiklen Phase im Spiel gegen Djokovic schwenkt die Kamera auf den Chilenen – früher als sonst. Man sieht, wie Massú das Gesicht verzieht. In den hellblauen Augen ist Ärger zu erkennen, er runzelt für einen Moment die Stirn. Dann wieder Anfeuerung, Motivation, Positives: Massú klatscht dreimal in die Hände, nickt seinem Schützling aufmunternd zu: "Vamos!" Auf geht’s! So kennt man den 40-Jährigen.

Bis Anfang 2019 war Massú kein vollbeschriebenes Blatt – für Tennisfans aber auch kein leeres. Der Exprofi entstammt einer libanesisch-jüdischen Familie, war immerhin Nummer neun der Weltrangliste. Zwischen 2002 und 2006 gewann er sechs Turniere. Wegen seiner Schneidezähne und seines Auftretens wurde Massú El Vampiro genannt. Manchmal auch Racoon, der Waschbär. Das Highlight seiner aktiven Karriere waren die Olympischen Spiele 2004 in Athen. Massú holte Gold im Einzel und im Doppel mit Fernando González – es waren die bisher einzigen Olympiasiege für Chile. Anschließend wurden sie in Santiago frenetisch empfangen.

Auf der Tour

Im Februar 2019 führt Massú Chiles Daviscupteam als Kapitän zum Duell mit Österreich nach Salzburg. Die Gäste gewinnen, Massú feiert jeden Punkt, als hätte er noch eine Medaille eingestreift. Die Emotionalität gefällt, Massú wird als Touringcoach für Österreichs Aushängeschild Thiem verpflichtet. Er soll ihn auf den ferneren Reisen begleiten, dabei Wissen, aber vor allem Feuer und Emotionen vermitteln. Thiems bisheriger Trainer Günter Bresnik war in der Box eher stoisch, Massú ist quasi das Gegenteil. Jetzt wird angefeuert, komme, was wolle.

Im April löst Massú Bresnik auch als Haupttrainer ab. Die Zusammenarbeit funktioniert blendend: Mit Massú holte Thiem fünf Titel, darunter seinen bisher wertvollsten in Indian Wells. Es wirkt, als hätte der ledige Chilene, der einst mit der Schauspielerin Salma Hayek liiert war, auch zur Emanzipation des Bubs aus Lichtenwörth beigetragen, als wäre er der letzte Puzzlestein auf dessen Weg zum kompletten Tennisstar. (Andreas Hagenauer, 15.11.2019)