Bild nicht mehr verfügbar.

Marie Yovanovitch bei ihrer Aussage vor dem Kongress.

Foto: AP / Andrew Harnik

Zumindest einer hatte angeblich Wichtigeres zu tun: Als Donald Trump am Mittwoch gemeinsam mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan vor die Presse trat, beteuerte er, "von all dem keine Minute gesehen" zu haben. Gemeint waren jene Vorgänge im Kongress, die für seine Präsidentschaft zur existenziellen Gefahr werden könnten: die ersten öffentlichen Anhörungen in Kongressverfahren für die Absetzung Trumps als Präsident.

Augen zu und durch – das könnte für den amerikanischen Staatschef tatsächlich eine gewinnende Strategie sein. Allein dass Trump wirklich darauf setzen würde, lassen die Ereignisse aus der vergangenen Woche keineswegs vermuten.

Nicht nur, weil Trump auch während seines Treffens mit Erdoğan fast im Minutentakt Tweets rechter US-Kommentatoren auf seinem offiziellen Account als Retweets absetzte. Das lässt seine Angabe, "keine Minute" gesehen zu haben, zumindest etwas zweifelhaft erscheinen; sondern auch, weil das Verhalten des Weißen Hauses klarmacht, dass Trump das Verfahren durchaus als Gefahr sieht.

Effektive Zeugen

Und das nicht ohne Grund. Der erste Tag der Anhörungen am Mittwoch hatte für die Republikaner nur wenig Grund zur Erleichterung geboten. Versuche der Trump-treuen Abgeordneten, die beiden als Zeugen vorgeladenen Diplomaten George Kent und William Taylor aus dem Konzept zu bringen, schlugen weitgehend fehl. Kent, Staatssekretär im Außenministerium, und Taylor, geschäftsführender Botschafter in Kiew, erwiesen sich als weitgehend wertvolle Zeugen.

Sie bestätigten auf Nachfragen demokratischer Ausschussangehöriger, was sie schon zuvor in geheimen Anhörungen gesagt hatten: dass sie die Suspendierung amerikanischer Militärhilfen im Sommer 2019 als ungewöhnlich wahrgenommen hatten; und dass es sich ihrer Ansicht nach beim zeitgleichen Drängen des Weißen Hauses auf ukrainische Ermittlungen gegen den Sohn des demokratischen Präsidentschaftsbewerbers Joe Biden, Hunter Biden, um ein zumindest versuchtes Tauschgeschäft (Quidproquo) gehandelt habe.

Neue Vorwürfe

Unvorbereitet traf die Republikaner auch, dass Taylor mitten in der Anhörung ein neues Indiz für den Verdacht des Trump’schen Amtsmissbrauchs vorbrachte: Ein Mitarbeiter habe ihm von einem Telefonat zwischen dem EU-Botschafter der USA, Gordon Sondland, und Trump erzählt, das er bei einem Besuch Sondlands in Kiew mitangehört habe. Trump habe dabei so laut ins Telefon gesprochen, dass er gehört habe, wie der Präsident vehement nach "den Ermittlungen" gefragt habe.

Zudem habe der Mitarbeiter nachher Sondland gefragt, was Trump denn über die Ukraine denke. Sondland habe ihm geantwortet, Trump sei vor allem an den Ermittlungen gegen Biden interessiert. Der Mitarbeiter, David Holmes, wurde von den Demokraten umgehend für kommende Woche als Zeuge vorgeladen. Am Donnerstag meldete sich dann ein Kollege, um den Inhalt von Holmes’ Angaben zu bestätigen.

Angriff via Twitter

Noch vorher sagte am Freitag Marie Yovanovitch vor dem Kongress aus. Die im Frühjahr von Trump abberufene Botschafterin in Kiew betonte in ihrem Eingangsstatement die Gefahr, die Korruption unter dem Einfluss Russlands auch für die USA bedeute. Sie wirft Trump vor, ihre Absetzung betrieben zu haben, weil sie nicht seinen Wünschen nachgekommen war, Druck für neue Biden-Ermittlungen zu machen. Der Präsident habe sie deshalb entlassen und ihren Ruf beschädigt, gab sie am Freitag an.

Wenig später wurde sie, noch während ihrer Aussage, Ziel eines scharfen Twitter-Angriffs des Präsidenten. Überall wo Yovanovitch hingehe, habe sie Probleme geschaffen, so Trump. Er zählte neben der Ukraine auch Somalia auf, wo die Diplomatin Ende der 1980er-Jahre tätig war. In beiden Staaten wirkte Yovanovitch nicht, als die jeweiligen Kriege ausbrachen. Trumps Tweet könnte nun ihm neue Probleme bereiten. Demokraten sagten, dass sie ihn als Einschüchterungsversuch gegenüber Zeugen verstehen würden.

Später reagierte er in einem anderen Tweet auf das Urteil eines Gerichts, dessen Geschworene am Freitag seinen ehemaligen Vertrauten Roger Stone im Zusammenhang mit dem Mueller-Ermittlungen schuldig gesprochen hatten. Er forderte darin de facto die Inhaftierung von Personen, die er als politische Gegner betrachtet.

Die Sprecherin des Unterhauses und ranghöchste Demokratin, Nancy Pelosi, hat jedenfalls genug gehört: Sie sagte am Donnerstag, Trump habe sich der Bestechung Kiews schuldig gemacht. Entscheiden muss darüber aber, wohl im Jänner, der Senat. Dort zeichnet sich keine Absetzbewegung der Republikaner von Trump ab. (Manuel Escher, 15.11.2019)