Foto: Bastei Lübbe

Endlich hat Metropolis sein Gegenstück an der Westküste: Bay City, entstanden aus San Francisco und Oakland, die bei Anschlägen verwüstet und als eine Stadt wiederaufgebaut wurden. Die ist nun der Schauplatz einer jugendfrei unterhaltsamen Superheldengeschichte aus der Feder der deutschen Autorin Brigitte Melzer alias Kate Logan alias Morgan Grey; nun eben Laura Weller.

Oder vielleicht sollte man eher "Superwesengeschichte" sagen. Denn die Entwicklung ist in Bay City noch nicht so weit fortgeschritten, als dass sich die klassischen Topoi des Genres – wie eben die Aufspaltung in Superhelden und Superschurken – schon eingespielt hätten. Hier befindet sich das Szenario noch im Aufbau, und das reicht vom Bestimmen der eigenen moralischen Position (Wie will ich meine Kräfte einsetzen?) bis zum Schneidern eines passenden Kostüms. Pardon, Anzugs, wie die angehenden Helden stets betonen. Bloß nicht Kostüm.

Die Ausgangslage

Wir befinden uns im Jahr 2045. Die USA haben sich vom Rest der Welt abgeschottet, sind dadurch technologisch rückständig (soll heißen: noch immer etwa auf heutigem Niveau) und wirtschaftlich am Boden. Alle Städte haben sogenannte Dunkle Viertel, in denen der verarmte Teil der Bevölkerung ohne elektrischen Strom lebt – Kriminalität und soziale Unzufriedenheit sind dementsprechend hoch.

Als Sündenböcke bieten sich da die Veränderten an. Seit einigen Jahren tauchen nämlich immer mehr Menschen mit Superkräften auf (in der vollen Comic-Bandbreite vom Supertempo bis zum Flammenwerfen). Wellers Welt ist eher Marvel als DC, soll heißen: die Superwesen lösen mehr Angst als Bewunderung aus und sind den Behörden ein Dorn im Auge. Die Abteilung für Veränderte (AfV) ist ausschließlich damit beschäftigt, Superwesen zu identifizieren, kategorisieren und bei entsprechender Gefahreneinstufung aus dem Verkehr zu ziehen.

Weil in Bay City in letzter Zeit besonders viele Veränderte aktiv wurden, schickt die AfV Special Agent John Hunter, die sekundäre Hauptfigur des Romans, in die Stadt, um dort aufzuräumen wie weiland Eliot Ness in Chicago. Und Hunter fährt einen harten Kurs – nicht zuletzt aus persönlichen Gründen, immerhin hat ein Veränderter einst seine Frau getötet.

Die Hauptfiguren

Primäre Protagonistin ist die 25-jährige Seraphina Winter, eine Tochter aus gutem Hause, die eines Tages mitten in einer Gefahrensituation entdecken muss, dass sie fliegen kann und dabei leuchtet wie ein Megawatt-Glühwürmchen. Damit ändert sich für die anfangs noch etwas borniert wirkende Seraphina schlagartig alles. Von der Welt der Reichen und Schönen ohnehin gelangweilt, solidarisiert sie sich nun mit anderen Veränderten und lernt damit zugleich die Welt der Menschen kennen, die für ihr Geld tatsächlich arbeiten müssen.

Mit ihren neuen Freunden Toshi, Zane, Emma und Cas – bald tragen sie Namen wie Shine, Lightning Strike, Mega Freeze und Mr Arcanum – macht es sich Seraphina zur Aufgabe, Verbrecher zu bekämpfen und die politische Verschwörung aufzudecken, die sich hinter dem offiziellen Umgang mit Veränderten abzeichnet. Unterstützung gibt es durch einen befreundeten Erfinder, der praktischerweise ein bisschen Comic-Technologie wie Tarnkappen beisteuert. Das größte Hindernis auf ihrer Mission: John Hunter.

Die Gegenüberstellung der beiden so unterschiedlichen Hauptfiguren lässt es erahnen, hier bahnt sich eine Liebesgeschichte an. Der Romance-Subplot (Unterkategorie: Enemies to Lovers) bestimmt letztlich den Handlungsbogen, was aber auch höchstens bei einem Buch erwähnenswert ist. Stellen wir uns das Ganze mal als Film vor – da wäre ein solcher Subplot so unabdingbar, dass er niemandem auch nur auffiele. Darüber hinaus geht es natürlich um die Mission, der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, dass Superwesen keine Monster sind.

Jugendlektüre

Weller alias Melzer ist als Jugendbuchautorin bekannt geworden, was man den Figuren von "Bay City Heroes" durchaus anmerkt: Im Schnitt wirken alle zehn Jahre jünger, als sie offiziell sind. Seraphinas flapsiger Umgangston lässt einen gelegentlich mit den Augen rollen, hat ebenso oft aber tatsächlich Witz. Situationskomik tut das Übrige, um die Erzählung locker zu halten. Etwa wenn Seraphina im rosa Jogginganzug Flugübungen über dem Bankenviertel absolviert oder bei ihrem ersten Heldinneneinsatz vor dem Problem steht, wo sie ihre Handtasche verstecken soll. Nicht zu vergessen der geheime Versammlungsort der Veränderten, der nichts mit der Bat-Höhle oder dem Gerechtigkeitsliga-Satelliten gemein hat, aber dafür sehr viel mit einem Treffen der Anonymen Alkoholiker – inklusive Thermoskannenkaffee und Sesselkreis.

"Bay City Heroes" ist Unterhaltung der leichten Art – ein Wort, das die einen wohl mit "seicht" und die anderen mit "leichtfüßig" übersetzen werden. Das ist letztlich Geschmackssache. Eines darf ich allerdings anmerken: Als ich vorhin bei den Buchangaben die Seitenanzahl eingetragen habe, war ich über die Ziffer verblüfft und habe zur Kontrolle noch einmal nachgeblättert. Tatsächlich: 637 Seiten – so lang hatte sich das Buch definitiv nicht angefühlt. Eine etwaige Fortsetzung, die der Schluss zwar nicht notwendig, aber möglich macht, klingt also nicht nach einer Drohung.