250.000 Menschen versammelten sich am Samstag in Prag zum Protest gegen Premier Andrej Babiš.

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Die Züge Richtung Prag platzten am Samstagvormittag aus allen Nähten. In ganz Tschechien hatten sich Menschen auf den Weg gemacht, um sich auf der Letná-Ebene, hoch über dem Prager Moldau-Ufer, an einer weiteren Kundgebung gegen Premierminister Andrej Babiš zu beteiligen. Dem Vorsitzenden der liberal-populistischen Partei Ano werfen sie unter anderem Interessenkonflikte beim Bezug von EU-Fördergeldern vor, aber auch seine angebliche Spitzeltätigkeit für den ehemaligen kommunistischen Geheimdienst StB, die dieser vehement bestreitet.

Am Ende waren es wieder mehr als 250.000 Demonstrantinnen und Demonstranten, die dem Aufruf der Bürgerinitiative namens Eine Million Momente für die Demokratie folgten. Das sind in etwa so viele wie bei einer ähnlichen Demo im Juni, als man von der größten Kundgebung seit der Samtenen Revolution des Jahres 1989 sprach.

Knackpunkt EU-Förderungen

Auch die Ziele sind im Wesentlichen die gleichen geblieben: Der Milliardär Babiš solle zurück treten oder sich von seinem Konzern Agrofert trennen, den er mittlerweile zwar in zwei Treuhandfonds ausgelagert hat, in dem er aber nach Ansicht von Kritikern weiterhin die Fäden zieht.

Der Hauptvorwurf: Babiš würde als Politiker zum eigenen Vorteil Einfluss auf die Vergabe von Fördermitteln aus EU-Töpfen nehmen. Inzwischen prüft auch die Europäische Union die Anschuldigungen. Ein vorläufiger Bericht aus Brüssel hatte Babiš nicht entlastet, derzeit beschäftigt man sich bei der EU mit der offiziellen Antwort aus Prag. Die Organisatoren der Kundgebung sprachen indes ein Ultimatum aus: Wenn Babiš ihrer Forderung bis Jahresende nicht nachkommt, wollen sie im Jänner erneut protestieren.

Rote Linien und Scham

"In erster Linie aber geht es uns darum, die Bürgergesellschaft im Land zu stärken", sagte Mikuláš Minář, Gründer und Chef der Bürgerinitiative Eine Million Momente für die Demokratie, im Anschluss an die Kundgebung zum STANDARD. Rote Linien seien etwa die Einflussnahme auf Justiz und Medien sowie der Missbrauch des Begnadigungsrechts durch das Staatsoberhaupt. Damit spielt Minář auf die Medien unter dem Dach des Agrofert-Konzerns an sowie auf die Ankündigung von Präsident Miloš Zeman, seinen Verbündeten Babiš vor eventuellen strafrechtlichen Konsequenzen bewahren zu wollen.

Der Zeitpunkt der friedlich verlaufenen Kundgebung war nicht zufällig gewählt: Tags darauf feierte das Land das Gedenken an die Samtene Revolution vor 30 Jahren. Premier Babiš wies die gegen ihn erhobenen Vorwürfe am Sonntag erneut zurück. In einer Ansprache im Prager National museum erklärte er aber, "nicht stolz" auf seine ehemalige KP-Mitgliedschaft zu sein, und dankte all jenen, die das Land aus der Diktatur und in die EU geführt hätten.

Mikuláš Minář übrigens lehnt Vergleiche seiner Bewegung mit den Revolutionären von 1989 ab. "Wir wollen keine Revolution", so der 26-Jährige. "Damals ging es um den Systemwechsel. Heute haben wir Demokratie – und wir wollen, dass das auch so bleibt." (Gerald Schubert aus Prag, 17.11.2019)