Österreich ist sowohl ein Transit- als auch ein Zielland für Menschenhandel. Personen, die Opfer von Menschenhandel wurden, sind häufig in der Sexarbeit tätig. Daneben gibt es aber auch andere Formen von ausbeuterischen Verhältnissen, in die Opfer von Menschenhandel geraten können. Bei der Recherche für mein Forschungsprojekt stellte ich mir die Frage, warum wir im Zusammenhang mit Menschenhandel zumeist ausschließlich an Zwangsprostitution denken und selten an ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, wie sie etwa in der Gastronomie oder der Baubranche zu finden sind?

Ein Grund dafür ist, dass Institutionen, die Menschenhandel bekämpfen, sich häufig schwer tun, von Menschenhandel Betroffene auch als solche zu identifizieren. Denn: Nicht alle entsprechen dem klassischen Opferschema. Das typische Opfer von Menschenhandel ist jung, weiblich und wird in die Sexarbeit verkauft. Wer nicht diesem Bild entspricht, wird häufig nicht als Opfer von Menschenhandel erkannt und erhält in der Folge auch keine Hilfe.

Doch warum ist das so? Zum einen gelingt es von offizieller Seite nicht, deutlich zu machen, wer sich an unterstützende Stellen wenden soll. So glauben zum Beispiel Migrantinnen und Migranten, die in der Baubranche in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen tätig sind, dass sie keinen Anspruch oder auch kein Recht auf Hilfestellung haben, da sie häufig schwarzarbeiten oder sich illegal im Land aufhalten. Sie befürchten hohe Bußgelder, Abschiebung oder sogar Gefängnisstrafen.

Wer ist ein Opfer?

Zum anderen sehen sich viele Betroffene von Menschenhandel selbst nicht als Opfer. Gerade Migrantinnen und Migranten nehmen häufig an, dass Ausbeutung mit einem bestimmten Maß an Gewaltanwendung einhergehen "muss", wie zum Beispiel Freiheitsberaubung, physische Gewalt oder sexuelle Übergriffe, bevor man sich Hilfe suchen "darf". Dieser Irrglaube wird dadurch verstärkt, dass sowohl in den Massenmedien als auch in vielen Anti-Menschenhandel-Kampagnen meist nur die schockierendsten Fälle von Zwangsprostitution transportiert werden und andere Formen der Ausbeutung im Vergleich wenig sichtbar sind.

So werden in der Pressearbeit von Organisationen, die sich gegen Menschenhandel engagieren, vor allem Fotos von Frauen und Kindern verwendet, die die Gezeigten in einen entmenschlichten Kontext stellen, zum Beispiel nackte Körper inszeniert als Produkte, die zum Kauf angeboten werden. Damit möchte man Aufmerksamkeit für das Thema Menschenhandel schaffen, reproduziert aber zugleich ein stereotypes Bild, das es Betroffenen, die etwa in der Gastronomie arbeiten, verunmöglicht, sich damit zu identifizieren.

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Den Sessel am Straßenrand findet man in Randbezirken vieler italienischer Städte. Dort prostituieren sich zahlreiche Frauen, die als Migrantinnen ins Land geschleust wurden. Menschenhandel betrifft aber auch andere Bereiche.
Foto: AP Photo/Antonio Calanni

Abschreckungstaktiken funktionieren nicht

Das zeigt auch mein Forschungsprojekt an der Universität Harvard. Darin konnte ich nachweisen, dass Anti-Menschenhandel-Kampagnen in den Medien in den vergangenen zwei Jahrzehnten von der Öffentlichkeit in osteuropäischen Ländern sehr negativ aufgenommen wurden.

Diese Medienkampagnen verfolgen eine Taktik der Abschreckung, mit dem Ziel, die Migration ins Ausland zu verhindern. Die Rezipienten glauben dadurch, dass es wahrscheinlich ist, dass sie im Ausland zum Opfer von Menschenhandel werden. Wenn jedoch in einer Bevölkerung die Überzeugung vorherrscht – und das ist in vielen osteuropäischen Ländern der Fall –, dass Menschenhandel ein allgemein verbreitetes Übel ist, glauben viele, dass dagegen nichts oder nicht viel unternommen werden kann. Die Konsequenz: Kriminelle Aktivitäten werden nicht an die Behörden gemeldet.

Eine Interviewpartnerin erklärte mir das folgendermaßen: "Warum soll ich mir Hilfe suchen? Weil ich misshandelt wurde und für ein paar Monate zum Arbeiten nach Russland verkauft wurde? Viele meiner Verwandten haben ganz Ähnliches erlebt, und nie hat irgendjemand etwas für sie getan. Die ganze Bevölkerung wird ausgebeutet, auf die eine oder andere Art – und wird denen allen geholfen? Nein."

Darüber hinaus führen die herkömmlichen Anti-Menschenhandel-Kampagnen dazu, dass Personen sich nicht oder nicht ausreichend über legale und sichere Möglichkeiten, eine Arbeitsstelle in einem anderen Land anzunehmen, informieren. Da sie glauben, dass jegliche Migration ins Ausland gefährlich sei, haben sie wenig Anreiz, mehr Informationen einzuholen.

Und schließlich spielt auch noch Scham eine Rolle: Vielen Opfern ist es unangenehm, ausgerechnet bei ebenjenen Organisationen Hilfe zu suchen, deren Warnung, keinen Job im Ausland anzunehmen, sie vermeintlich ignoriert haben. Ein Betroffener erzählte mir: "Wie kann ich mich gerade an die Organisationen wenden, die mich davor gewarnt haben, ins Ausland zu gehen? Ich schäme mich zutiefst, dass ich ihnen nicht geglaubt habe, und kann sie nicht um Hilfe bitten."

Neuausrichtung medialer Kampagnen bietet Chancen

Informationskampagnen über Menschenhandel brauchen daher eine komplette Neuausrichtung. Sensationalismus und Abschreckungsszenarien sollten vermieden werden. Die medial gezeigten Formen von Menschenhandel sollten nicht nur Zwangsprostitution in den Mittelpunkt stellen, sondern auch ausbeuterische Formen der Beschäftigung thematisieren.

Hilfsorganisationen können ihre Klientinnen und Klienten besser unterstützen, wenn sie die Wirkung ihrer Kampagnen auf die Öffentlichkeit regelmäßig durch Befragungen prüfen. Konkrete Guidelines, wie Informationen zu Menschenhandel vermittelt werden können, und eine Evaluierung von bestehenden Kampagnen können helfen, Fehlkommunikation zu verhindern.

Und schließlich sollte auf lokales Wissen zurückgegriffen werden: Eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und NGOs sowie auf lokale Communitys zugeschnittene Aufklärungskampagnen könnten das Wissen über das Thema Menschenhandel in der jeweiligen Bevölkerung besser fördern und in der Folge auch dazu führen, dass mehr Opfer von Menschenhandel sich als solche erkennen und Hilfe suchen. (Ludmila Bogdan, 22.10.2019)