Was sagen eigentlich Lehrer zu der "Lernsieg"-App? DER STANDARD hat bei mehreren Pädagogen nachgefragt.

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Eine App beschäftigt Österreich seit Tagen. Bei "Lernsieg" konnten Schülerinnen und Schüler ihre Lehrerinnen und Lehrer mit Sternen bewerten. Mittlerweile ist die Software offline, weil der 18-jährige Gründer am Wochenende Hassnachrichten erhalten haben soll. Nun hat sich auch das Bildungsministerium eingeschaltet und will die App prüfen lassen.

Offline nach Hassnachrichten

In einer Stellungnahme der Entwickler heißt es: "Benjamin Hadrigan wurde mit einer Flut an Hass-E-Mails konfrontiert, die einem Schüler weder in Menge noch Inhalt zumutbar sind. Hadrigan und sein Team haben sich deshalb entschlossen, die App vorübergehend aus dem Netz zu nehmen, um eine Strategie für solche Angriffe zu entwickeln."

Grundsätzlich soll die App bald wieder verfügbar sein, in den nächsten Tagen werde man "sicher eine Lösung finden", betonte die Sprecherin. Bei "Lernsieg" kann man Lehrer bzw. Schulen in verschiedenen Kategorien mit einem ("Nicht Genügend") bis fünf Sternen ("Sehr gut") bewerten. Die Lehrergewerkschaft hatte bereits im Vorfeld gegen die App mobil gemacht und das u.a. mit einer möglichen Verletzung von Persönlichkeitsrechten und Datenschutz begründet. Derzeit werden rechtliche Schritte geprüft.

Podcast: Redakteurin Muzayen Al-Youssef erklärt, warum die Lehrer-Bewertungs-App "Lernsieg" so umstritten ist.

Rechtliche Prüfung

Bildungsministerin Iris Rauskala sowie die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) haben den Datenschutzrechtsexperten Nikolaus Forgo von der Universität Wien mit einem Gutachten der App beauftragt. Er soll unter anderem klären, ob bei der Datenverarbeitung die Rechte aller Betroffenen gewahrt bleiben.

Neben einer ausreichenden Datenschutzfolgeabschätzung soll auch geprüft werden, ob die Weitergabe der Schülerdaten (Telefonnummer samt von ihnen besuchte Schule) an Dritte wie die App-Investorengruppe verhindert wird und ob die Löschung ungerechtfertigt schlechter Beurteilungen sichergestellt ist. Rauskala betonte, das Ministerium komme damit seiner Fürsorgepflicht für die Pädagogen nach. Sie wolle "kein willkürliches Sternchenvergeben, sondern echte Feedbackkultur".

Reaktionen

Der STANDARD hat kurz bevor die App offline gegangen ist bei Lehrerinnen und Lehrern nachgefragt, was sie eigentlich von "Lernsieg" halten und welche Möglichkeiten Schüler haben, um Feedback zu geben. Ihre Antworten wurden anonymisiert.

  • Lehrerin an einer Neuen Mittelschule

Schülerinnen und Schüler haben leider relativ wenige Möglichkeiten, um Feedback zu geben. Dementsprechend ist es fast eine Konsequenz daraus, dass diese Lücke nun so gefüllt werden soll. Ich finde es trotzdem sehr problematisch, da die App Gefahr läuft, Mobbing zu verstärken. Lehrkräfte sind keine Dienstleister, Unterricht funktioniert über Beziehung. Das ist etwas anderes, als wenn ich ein dreckiges Zimmer in einem Hotel vorfinde. Außerdem sind sie nicht wie Ärztinnen und Ärzte oder Hotels selbstständig, sondern Angestellte.

Ich bewerte ja auch nicht einen spezifischen Kellner in einem Restaurant. Alles in allem ist es eine ziemlich mühsame Diskussion. Wenn die österreichische Durchschnittsbevölkerung so unbedingt bessere Lehrkräfte will, warum werden dann Forderungen nach Mehrarbeit immer unterstützt? Warum gibt es keine Solidarität und laute Stimmen, die Entlastung durch beispielsweise Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter wollen? Das wären halt die Dinge, die angegangen werden sollen, wenn die Qualität des Unterrichts steigen soll. Dieses Bewertungssystem ist grundsätzlich neoliberaler Müll, bei dem der Mensch aufs Äußerste optimiert werden soll, dabei aber völlig außer Acht gelassen wird, in welchem System er operieren muss.

Kurz bevor die App offline ging, hat sich der STANDARD mit Schülern der HTL Ungargasse die Bewertungsmöglichkeiten angeschaut.
DER STANDARD
  • Lehrerin an einem Gymnasium

Ich halte die App für äußerst unseriös: Schülerinnen und Schüler sind oft trotzig und gekränkt und können noch nicht sachlich Feedback geben (außer Oberstufenschüler), die Identität der Bewertenden ist unklar, und zudem sind wir Lehrer keine Dienstleister! Gut daran ist der Gedanke, mehr Feedback von den Schülerinnen und Schülern einzufordern, schlecht daran ist die im Brief von der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) geschilderte Datenschutzproblematik.

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  • Lehrerin an einer Volksschule

Grundsätzlich ist es sinnvoll und gut, wenn es Instrumente gibt, um Fehlverhalten bei Lehrern aufzudecken und sich zu wehren, da die Schüler den Lehrern bis zu einem gewissen Maß auch ausgeliefert sind. Jedoch müssen dazu andere Wege gefunden werden.

Anscheinend gibt es ein sehr großes Bedürfnis, die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern, zwischen Eltern und Schule besser zu gestalten. Anscheinend fühlen sich viele Schüler nicht gehört und fühlen sich nicht ernst genommen oder vielleicht sogar hilflos. Hier müsste angesetzt werden. Warum ist es für Schüler und Eltern so schwierig, sich hilfesuchend an Lehrer, Direktoren, generell an die Schule zu wenden? Warum erhalten sie nicht ausreichend Hilfe? Ist es wirklich sinnvoll, die Klassenzahlen zu erhöhen, sodass sich die Lehrpersonen noch weniger um die einzelnen Schüler kümmern können? Ist es wirklich sinnvoll, den Lehrern noch mehr administrative Aufgaben zuzuschieben, die ihnen wieder vieles an Zeit und Kraft nehmen und sie sich nicht entsprechend mit den Schülern auseinandersetzen können? Ich glaube, dass die Probleme hier wesentlich tiefer gehen und an einem anderen Punkt angesetzt werden müsste als bei einer App.

Die Tätigkeit des Lehrers ist eine hochkomplexe soziale Interaktion, in der soziale, pädagogische und philosophische Aspekte zu berücksichtigen sind. Die App gibt sich den Anschein, als könnte sie berechnen, ob jemand ein schlechter oder ein guter Lehrer sei, kann aber die komplexen beruflichen Anforderungen, soweit ich das aus den Informationen, die ich online finden konnte, herauslesen kann, in keiner Weise korrekt abbilden. Sie ist daher zu diesem Zweck ein vollkommen untaugliches und gefährliches Instrument. Sie kann die Lehrer-Schüler-Beziehung beschädigen, den Ruf des Lehrers beschädigen, führt zu keiner Verbesserung.

  • Lehrer an einem Gymnasium

Schüler sind keine Kunden – dementsprechend auch keine Könige! Als Lehrer muss man manchmal Maßnahmen treffen, die unangenehm für die Lernenden sind. Die App könnte sich schädlich auf Karrieren von Lehrern auswirken, die sich mit einer schwierigen Klasse konfrontiert sehen. Dies betrifft mitunter auch Junglehrer, die sich im Schulbetrieb erst "einleben" müssen und eventuell auf eine Fortsetzung ihrer Anstellung hoffen. Um die Arbeit eines Lehrers adäquat beurteilen zu können, reicht es nicht, Schüler (gewesen) zu sein. Die Objektivität von Pubertierenden ist ohnehin zumindest fragwürdig.

Die öffentliche Bewertung kann von jedem zudem eingesehen werden, das kann psychisch sehr belastend sein. Außerdem gibt es bereits schulinterne standardisierte Feedbackmethoden, die von Experten entwickelt worden sind und nicht öffentlich gemacht werden, sogenannte SQA-Maßnahmen. Feedback stehe ich aber grundsätzlich positiv gegenüber.

  • Lehrerin an einer Volksschule

Die App ist meiner Meinung nach nicht aussagekräftig und hat in der Pädagogik nichts zu suchen. Rückmeldungen sollten persönlich sein, und Menschen sollte man nicht in ein Ranking einstufen. Das einzig Positive ist, dass man so vielleicht Misstände in Schulen aufdecken kann. Es gibt leider schon teilweise Lehrerinnen und Lehrer, die jahrzehntelang unterrichten und Schülerinnen und Schüler diskriminieren und ungerecht behandeln.

Das Schlechte ist, dass ein Ruf schnell zerstört werden kann und Meinungen ja sehr subjektiv sind. Gerade in der Pubertät werden Gefühle und Reaktionen oft anders wahrgenommen, als sie in Wirklichkeit sind. Meine Schülerinnen und Schüler können mir nach jeder Stunde persönlich Feedback geben. Es gibt auch die Klassenpost, wo sie anonym Briefe schreiben können, um Probleme anzusprechen oder ihre Gefühle mitzuteilen. Alle diese Dinge bleiben in der Klasse, dort, wo sie hingehören, und das ist nicht das World Wide Web.

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  • Lehrerin an einer Volksschule

Es wäre besser, wenn sie nur die Schulen bewerten würden. Du kannst ja auch Firmen bewerten und niemals den Mitarbeiter per se. Die Möglichkeit, die Schule zu bewerten, ist an sich gut. Du hast damit ja die Möglichkeit, dem Schulerhalter eine Rückmeldung zu geben. Beispiel: Schule wird bewertet mit "Räumlichkeiten sind nicht gut". Schulerhalter: "Schau ma mal, richten wir sie doch mal her."

Schülerinnen und Schüler sollten nicht die Lehrer bewerten dürfen. Es schwingt immer etwas Persönliches mit. Sie sind nicht objektiv, sondern beurteilen immer auf einer persönlichen Ebene. Die Plattform kann verwendet werden, um Lehrer schlecht aussehen zu lassen. Außerdem kann absolut jeder bewerten. Zum Beispiel auch Leute, die schon lange nicht mehr an der Schule sind. (dk, 19.11.2019)