Was Mercedes-Benz bei der G-Klasse sukzessive und entsprechend unauffällig über Jahrzehnte hin verteilt hat, vollzieht der Land Rover Defender mit einem Ruck: den Paradigmenwechsel vom rustikalen Arbeitstier zum Luxusgeländewagen. Die Engländer kalkulieren damit ein, dass sie die bisherige Klientel nachhaltig verschrecken, ja vergraulen. Viele Puristen, die mit dem simplen, aber genialen Komme-überall-hin-Gerät groß geworden sind, werden sich in der Neuauflage kaum wiederfinden.

Hierzulande sind davon prinzipiell 5007 Menschen betroffen, so viele alte Defender – seit 1948 verkaufte die Geländelegende sich weltweit über zwei Millionen Mal – sind nämlich noch zugelassen, wobei die ersten Fahrzeuge noch mit der 1955 abziehenden Besatzungsmacht ins Land gekommen waren. Gekommen, um zu bleiben, solange Rost und Zerfall es wollte, denn ja, zwischendurch war die Qualität richtig lausig.

Ob Schnee, ob Sand, ob Stock, ob Stein, ob Berg, ob Tal – überall fühlt sich der Defender zu Hause. Diese Kernkompetenz musste er allerdings auch unbedingt beibehalten.
Foto: Jaguar Land Rover

Günstig oder Opulent?

Man kann sich nun vorstellen, wie die Ladys und Gentlemen in der Geschäftsführung von Jaguar Land Rover an die Nachfolgersache herangegangen sind. Entweder etwas komplett Stimmiges, Günstiges und überragend Geländetaugliches aus dem Hut zaubern, wie das Suzuki beim Jimny gemacht hat – schwierig, damit groß Geld zu verdienen. Oder den Schritt in Richtung Opulenz und Reich-und-schön-Kundschaft vollziehen, wie man das eben bei der G-Klasse beobachten konnte – und was satte Margen garantiert. Und jetzt dürfen Sie tippen, wie lange die Richtungsentscheidung auf sich hat warten lassen.

Insofern erkundet der Defender eine ganz neue Form von Gelände, die Welt des Luxus, und eines ist schon einmal gewiss: Wo immer das Auto auftaucht, ist größtes Interesse garantiert. Wie waren die Leute aus dem Häuschen, als der Defender im September auf der IAA in Frankfurt debütierte. Man kam kaum ran an das neue Objekt der Begierde, und das ist überall so, wo der Land Rover zum ersten Kennenlernen vorfährt.

Zwei Versionen der Legende

Getreu der neuen Positionierung gibt’s den Defender II nicht geschenkt. Wie beim Vorgänger werden eine fünftürige Version angeboten mit langem Radstand und der historisch tradierten Bezeichnung Defender 110 (Gesamtlänge 5,02 m, Radstand 3,02 m) sowie eine dreitürige mit kurzem namens 90 (4,58 m, Radstand 2,59 m). Der 110er kommt im April 2020, der 90er folgt im Juli, die meisten Preise stehen schon fest: Von 65.700 bis 120.200 Euro reicht die Palette beim Großen, der Kleine startet bei 59.000, die First Editions lassen wir beiseite.

Den Defender II gibt es als Drei- und Fünftürer. Preislich? Der Kleine startet bei 59.000 Euro.
Foto: Jaguar Land Rover

Motorenprogramm? Zwei Diesel stehen zur Auswahl (200 und 240 PS), ein Benziner (300 PS) und ein Mildhybrid (400 PS). Ein Jahr später komplettiert jene Plug-in-Hybrid-Version, die schon von Range Rover und Range Rover Sport her bekannt ist, das Angebot, Systemgesamtleistung: 404 PS.

So. Und damit zum Eingemachten. Zur Kern-, zur Geländekompetenz. Die durfte ja auf keinen Fall verlorengehen, und was von der Versicherung Land Rovers zu halten ist, der Neue sei im Gelände im Vergleich zum Vorgänger mindestens gleichwertig, Betonung auf „mindestens“, wissen wir nach dem ersten Ausritt ins Abseits. Vorerst gibt es dazu nur nüchterne Daten und Fakten.

Leiterrahmen ade

Nein, das heißt nicht: So klein ist die Welt geworden, sondern dass es im neuen Defender auch einen Tatsch-Bildschirm mit Zoom- und Wisch-Funktion gibt. So tickt die Autowelt heute.
Foto: Jaguar Land Rover

Eines davon wird bei den eingangs erwähnten Puristen für anhaltendes Kopfschütteln gesorgt haben, hoffentlich trug niemand ein Schleudertrauma davon oder fungiert seither als Wackeldackel. Es geht um den Umstand, dass der Defender statt einer Leiterrahmenkonstruktion nun eine selbsttragende, laut Hersteller "extrem stabile" (Alu-)Karosserie aufweist – "für Beanspruchungen weit jenseits der üblichen SUV-Standards".

Permanenter Allrad ist klar, getriebeseitig setzt der Defender einzig und allein auf die fantastische 8-Gang-Wandlerautomatik von ZF, mit Geländeuntersetzung, versteht sich. Drei mechanische Sperren wie die G-Klasse kann der Defender nicht vorweisen, aber ein sperrbares Mitteldifferenzial – und wer will, ordert auch noch das Geländepaket und bekommt damit eine aktive Hinterachssperre. 29 Zentimeter maximale Bodenfreiheit erlauben eine maximale Wattiefe von 90 Zentimetern, und damit: ab ins Gelände. Aber ja nichts zerkratzen! (Andreas Stockinger, 08.12.2019)