Seine erste gute Tat morgens, so hat es Boris Johnson neulich im Fernsehen erzählt, sei der Spaziergang im Garten der Downing Street. Mit Dilyn. Während der junge Mischlingshund "sein Geschäft" erledigt, macht sich der Premierminister Gedanken über die Staatsgeschäfte.

Die Demoskopen sehen Boris Johnson (li.) seit Wochen als Umfragekaiser – doch Jeremy Corbyn (re.) hat noch lange nicht aufgegeben.
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Dieser Tage freilich bleibt der 55-Jährige oft allein beim Nachdenken. Dilyn weilt nämlich mit Frauchen Carrie Symonds, Johnsons 31-jähriger Lebensgefährtin, auf Wahlkampftour. Und wie den Chef führt auch den Jack-Russell-Mischling die Reise häufig in den englischen Norden. Dort hofft die konservative Regierungspartei auf die Zugewinne bisher Labour-treuer Wahlkreise.

Gut drei Wochen vor der Wahl hat für die britischen Parteien die heiße Phase begonnen. Bisher deuten alle Umfragen auf einen deutlichen Sieg von Johnsons Tories hin. Im Umfragen liegen sie weit vor Labour und noch deutlicher vor den Liberaldemokraten. Je nach Methode des jeweiligen Instituts haben die Konservativen einen Vorsprung zwischen sechs und 17 Prozent. Im britischen Mehrheitswahlrecht, das die beiden Großen begünstigt, geht damit normalerweise eine Mandatsmehrheit einher.

Allerdings sah das Bild im Vorfeld der Wahl 2017 genauso aus – und am Ende hatten die Konservativen dann doch ihre Mehrheit verloren. Die Nervosität der Spitzenpolitiker ist deshalb mit Händen zu greifen – nicht zuletzt vor dem Fernsehduell zwischen Johnson und seinem Labour-Herausforderer Jeremy Corbyn am Dienstagabend (ab 21 Uhr MEZ).

Streit um Einladungsliste

Über der Sendung des Kommerzsenders ITV lag allerdings zu Wochenbeginn der Schatten des Zweifels: Sowohl die liberale Parteichefin Jo Swinson als auch Nicola Sturgeon, Vorsitzende der schottischen Nationalpartei SNP, riefen die Gerichte an, um ihren Ausschluss von der Debatte rückgängig zu machen. Schließlich handle es sich bei dem Urnengang vor allem um eine Brexit-Wahl, so die Argumentation beider Parteien, weshalb alle wichtigen Positionen bezüglich Großbritanniens geplanten EU-Austritts vertreten sein müssten.

Johnson will möglichst rasch den mit Brüssel vereinbarten Deal durchsetzen, Corbyn hofft auf Neuverhandlungen und einen weicheren Brexit, der dann vom Volk durchgesetzt werden solle. Hingegen wollen SNP und Lib-Dems den Brexit verhindern; Swinson hat im gänzlich unwahrscheinlichen Fall ihres eigenen Wahlsieges sogar angekündigt, sie werde das Austrittsbegehren ihres Landes zurückziehen. Nigel Farages Brexit Party hingegen redet dem chaotischen Austritt ohne Vereinbarung das Wort.

Sollten die Gerichte nicht einschreiten, kommt es also am Abend zum ersten TV-Duell der britischen Politikgeschichte. Anders als seit Jahrzehnten anderswo üblich war dieses Format auf der Insel bisher nicht selbstverständlich. Lange Jahre wich stets der jeweils besser platzierte Kandidat dem Wunsch nach einem Zweier-Schlagabtausch aus. 2010 kamen drei Dreierdebatten zustande, weil Labour-Premier Gordon Brown hoffnungslos zurücklag und der damalige Tory-Oppositionsführer David Cameron auf seine telegene Ausstrahlung setzte. Beiden lief aber der Liberaldemokrat Nick Clegg den Rang als bester Debattierer ab.

Daraufhin stimmte David Cameron, mittlerweile Premierminister, 2015 nur einer einzigen Debatte mit allen sieben im Unterhaus vertretenen Parteiführern zu. Seine Nachfolgerin Theresa May verweigerte sich vor zwei Jahren vollkommen dem Debattenformat, was ihren katastrophalen Wahlkampf aber auch nicht rettete.

Wortwitz gegen Statemanship

Johnson und seine Berater setzen hingegen auf die Schlagfertigkeit und den Wortwitz des Amtsinhabers. Angesichts der niedrigen Erwartungen dürfte schon eine halbwegs staatsmännische Vorstellung für Corbyn als Erfolg gelten. Bereits Ende der Woche soll es eine Debatte der Parteichefs (mit Swinson und Sturgeon) geben, am Nikolaustag – knapp eine Woche vor der Wahl – treffen erneut die beiden Hauptanwärter auf die Downing Street aufeinander.

Am Montag durften die Wahlkämpfer der Jahrestagung der Industrielobby CBI ihre Aufwartung machen. Deren Chefin Carolyn Fairbairn hatte vorab sowohl Labours Pläne zur Nationalisierung von Energieversorgern und Eisenbahn als auch die Tory-Ideen zur Drosselung von Gastarbeitermigration kritisiert. Besonders Corbyn wird von der Wirtschaft misstrauisch beäugt, auch wenn der Altlinke treuherzig beteuerte, er sei gar nicht "anti-business".

Premier Johnson hielt sich hingegen nicht lang mit Freundlichkeiten auf und zog ein Versprechen an die Unternehmen des Landes zurück: Die Reduzierung der Körperschaftssteuer von derzeit 19 auf 17 Prozent könne leider noch nicht im kommenden April vollzogen werden.

Stattdessen wolle er die dadurch zusätzlich in die Steuerkasse kommenden sechs Milliarden Pfund für "die Prioritäten der Nation" verwenden – womit vor allem Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sowie eine Finanzspritze fürs Gesundheitssystem NHS gemeint sind. (Sebastian Borger aus London, 19.11.2019)