Mattia Santori (stehend) und seine Freunde beim Flashmob gegen Salvini in Bologna.
Screenshot: Youtube / Pubblisole

Mattia Santori fand schon seit Tagen keine Ruhe mehr, konnte kaum noch schlafen. Der 32-jährige Ex-Student wollte sich nicht damit abfinden, dass der rechtsnationale Lega-Chef Matteo Salvini den Wahlkampf für die Regionalwahl in der Emilia-Romagna ausgerechnet in seiner Heimatstadt Bologna, der "roten Hochburg" Italiens, beginnen würde.

Die Sportarena Paladozza würde mit 5.570 Salvini-Fans bis auf den letzten Platz belegt sein, vermeldeten die italienischen Medien schon seit Tagen. Also griff Santori zu seinem Handy und schickte seinen drei besten Freunden aus Studienzeiten eine SMS: "Wir müssen reden."

Am Küchentisch besprach er dann mit seinen ehemaligen WG-Mitbewohnern Roberto Morotti, Giulia Trappoloni und Andrea Garreffa, wie man der Öffentlichkeit zeigen könne, dass es auch ein anderes, nämlich ein "nichtrechtes" Italien gibt. Eines, das den hasserfüllten Slogans Salvinis nicht auf den Leim geht.

Bis zu 15.000 bei Flashmob in Bologna

Rasch war die Idee eines Flashmobs geboren: Während Salvini in der Sportarena zu 5.570 Anhängern sprechen würde, sollten auf der zentralen Piazza Maggiore mindestens 6.000 Menschen zusammenkommen zu einem Protest gegen den Lega-Chef und ehemaligen Innenminister. Wie ein Sardinenschwarm werde man stumm bleiben und sich eng zusammenstellen. Aus Karton würde man Fische herausschneiden und diese in die Höhe halten. Werbung für den Flash Mob würde man über eine Facebook-Gruppe und über Telefonate mit Freunden und Bekannten machen. Und wenn es die Zeit erlaubt, würde man auch noch von Tür zu Tür gehen – wie bei Wahlkämpfen in alten Zeiten.

Der erste Flashmob in Bologna am 14. November 2019 (Untertitel über "Einstellungen" verfügbar).
Notizie.it

Nun, es kam anders: Statt der erhofften 6.000 Menschen kamen am vergangenen Donnerstag zwischen 10.000 und 15.000 "Sardinen" auf die Piazza Maggiore. Die Polizei erwartete sie schon mit Schlagstöcken und Wasserwerfern, doch außer ein paar wenigen Provokateuren hielten sich alle an die Vorgaben der Organisatoren und blieben ruhig und friedlich.

"Danke, dass ihr unserer Einladung gefolgt seid!", rief Santori ins Megafon. "Tut mir leid, dass wir nur für 6.000 Personen gedeckt haben, und jetzt sind wir doch eher 12.000! Ein schönes Zeichen, dass es etwas bringt, wenn man nicht alles hinnimmt und einmal zur Abwechslung den Arsch bewegt." Plötzlich stimmte die Menge einen Sprechchor an und skandierte: "Bologna non si lega!" Bologna lässt sich nicht fesseln, ein cleverer Slogan, der mit Salvinis Parteinamen Lega ein Wortspiel anstellt. Danach ertönte noch das Partisanenlied "Bella Ciao" – und die Menge löste sich auf.

Tags darauf erzählte ein sichtlich gut gelaunter Mattia Santori für die TV-Nachrichtensendungen, dass er und seine Freunde nicht mit einem solchen Erfolg gerechnet hatten. "Wir sind ja nur ganz normale Leute" – ein Kommunikationswissenschafter, der als Sportcoach jobbt, ein Ingenieur, der sich um Umweltschutz kümmert, ein Soziologe, der als Reiseführer sein Geld verdient, und eine Physiotherapeutin. Alle Anfang 30, keiner war bisher politisch aktiv.

Mattia Santori: "Es ist etwas Neues entstanden" (Untertitel über "Einstellungen" verfügbar).
Pubblisole

"Ja, klar, wir machen weiter", sagt er auf eine entsprechende Frage. "Wir wurden gebeten, mit dieser Idee auch in andere Städte zu gehen. Und das tun wir." Man werde in den nächsten drei Monaten eine sehr schwere Zeit haben – allerdings auch Salvini.

Versprechen eingelöst: Am Montagabend kamen in Modena trotz strömenden Regens rund 7.000 Menschen zusammen, um der Lega klarzumachen, dass sich auch diese Stadt nicht fesseln lassen will. Am kommenden Sonntag steigt ein Event im Badeort Rimini, am 30. November findet in Florenz (auch in der Toskana wird 2020 gewählt) ein Gastspiel statt, doch dann wollen sich Santori und seine Freunde wieder auf die Emilia-Romagna konzentrieren.

Timelapse-Video des Flashmobs in Modena vom 18. November 2019.
La Repubblica

Und Salvini? Der Rechtspolitiker, der im vergangenen Sommer als Vizepremier und Innenminister eine Chance für sich witterte, aus Wahltaktik mutwillig eine Regierungskrise vom Zaun brach und mit einem Misstrauensantrag scheiterte, versucht ein Comeback auf regionaler Ebene. Vor wenigen Wochen räumte er schon bei der Wahl in der mittelitalienischen Region Umbrien ab. 2020 will er nicht nur in der Emilia-Romagna und in der Toskana, sondern auch in Kalabrien, in Kampanien, in Ligurien, in den Marken und in Apulien alles auf den Kopf stellen – und dann bald einmal Ministerpräsident werden, wenn die jetzige Regierung zerbricht. So weit zumindest sein Kalkül.

"Lauter Idioten"

Für die Bewegung der "6.000 Sardinen" hat der Lega-Chef erwartungsgemäß wenig freundliche Worte übrig: "Lauter Idioten aus Sozialzentren", wetterte er in einem Video. Was für die Organisatoren fast wie Lob klingen muss, wenngleich: Fürs Erste wird Santori nur noch allein als Sprecher der Bewegung in Erscheinung treten. "Wenn ihr mich allein hier im Studio seht, dann deshalb, weil die Rechte bereits ihre Schlammschlacht-Maschinerie angeworfen hat", erklärte der 32-Jährige in einer TV-Frühstückssendung am Dienstag. "Es ist hart, in solch einer Situation in der Öffentlichkeit zu stehen." In der Tat hat sich Italiens Rechte bereits auf Santori und seine Freunde "eingeschossen", sie wirft ihnen unter anderem vor, aus dem Hintergrund vom ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Romano Prodi (80) – einem berühmten Sohn der Stadt Bologna – unterstützt zu werden.

Trost kommt indes von Beppe Severgnini, dem politischen Kommentator der linksliberalen Tageszeitung "La Repubblica": "Man kann Sardinen panieren. Man kann sie frittieren. Aber man wird sie niemals ertränken können." (Gianluca Wallisch, 19.11.2019)