Sie ist so etwas wie ein Star der Globalisierungskritiker: Die indische Wissenschafterin und Aktivistin Vandana Shiva (67) veröffentlicht seit den 1980er-Jahren beinahe jährlich Bücher über Umwelt, Nachhaltigkeit und Ernährung. Neben mehreren Ehrendoktortiteln erhielt sie 1993 den „Alternativen Nobelpreis“ (Right Livelihood Award).

In Indien gründete sie ein interdisziplinäres Institut für Wissenschaft, Technik und Ökologie sowie eine ökologische Organisation namens Navdanya („neun Samen“), die landesweit unter anderem die Einrichtung von Saatgutbanken bewirkte. Vergangene Woche war Shiva auf Einladung der Akademie der bildenden Künste in Wien zu Gast, wo sie die diesjährige Otto-Wagner-Lecture hielt.

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Vandana Shiva, hier bei einer Rede in der Carnegie Hall in New York, verfocht kürzlich in Wien solidarischen Handel, Biodiversität und ökologischen Ackerbau.
Foto: Getty Images / Kevin Kane

Das Hauptthema, das im Mittelpunkt ihres Konzepts einer besseren Welt steht, ist die nachhaltige Produktion von Nahrungsmitteln. Dass sich dies als ihr Spezialgebiet herausstellt, hat sich nicht von Anfang an abgezeichnet.

An der Universität hatte sie sich für Physik, genauer für die Quantentheorie, entschieden, die sie in Indien und Kanada studierte und als Thema ihrer Doktorarbeit wählte. 1984, ein für Indien und für sie selbst einschneidendes Jahr, kam die Wende: „Es gab zwei Megadesaster, die mich dazu gebracht haben, mich mit Landwirtschaft auseinanderzusetzen.“

Grüne Katastrophen

Dabei handelte es sich einerseits um die bisher schlimmste Chemikalienkatastrophe der Geschichte, bei der in Bhopal aus einer US-amerikanischen Pestizidfabrik mehrere Tonnen Giftgas entwichen.

Andererseits kam es in diesem Jahr nach der Ermordung der Premierministerin Indira Gandhi zu Aufständen in Punjab, welche Shiva auch auf die Umsetzung der grünen Revolution zurückführt: Unter amerikanischem Druck wurden industrieller Dünger, Pestizide und neues Saatgut importiert, die einen höheren Ertrag versprachen, aber auch die Bauern in ein Abhängigkeitsverhältnis brachten, Umweltschäden verursachten und so die Bevölkerung belasteten.

Sie sagt: „Ich wollte verstehen, wie Landwirtschaft so brutal geworden war, dass sie für den Tod tausender Menschen sorgte. Daher beschloss ich, den Rest meines Lebens herauszufinden, wie man gewaltfreie Landwirtschaft betreiben kann.“

Loslösung von alten Hierarchien

Ihre Erkenntnisse aus dem Studium hatten langfristige Nachwirkungen: „Das, was ich durch die Quantentheorie lernte, beeinflusste meine gesamte ökologische Arbeit. Dazu gehört das Prinzip der Nichtlokalität – dass zwei Partikel, die sich trennen, trotzdem immer miteinander verbunden bleiben. Die Quantentheorie lehrte mich auch: Alles ist Potenzial.“

Das ließe sich nicht nur auf Saatgut, sondern ähnlich auf den Menschen anwenden: „In der Menschheitsgeschichte wurde ein ganzes System der Ungerechtigkeit aufgebaut, das Personen nach angeblicher Primitivität, Hautfarbe und Geschlecht in Überlegene und Unterlegene einteilt. Wenn man aber die richtigen Umstände schafft – etwa mehr Möglichkeiten für Frauen kreiert oder eine gute Lernumgebung für ein schwarzes Kind –, können diese ihr Potenzial ausschöpfen und brillant werden.“

Die Loslösung von solchen Hierarchien, etwa zwischen Industrie- und indigenen Kulturen, ist ihr ein Anliegen.

TEDx Talks

Ihr ideales System für Landwirtschaft basiert demnach auf Fair Trade und solidarischem Handel sowie auf Biodiversität und ökologischem Ackerbau. Dies solle weltweit umgesetzt werden.

Daten der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO weisen darauf hin, dass es mit Biolandwirtschaft möglich wäre, die Welt zu ernähren. Hier spielt hinein, dass 80 Prozent der Nahrungsmittel weltweit nicht von großen Industriebetrieben stammen, in deren Rahmen Bioproduktion schwierig ist, sondern von kleinen Bauernhöfen.

Wichtig sei dabei auch, nicht nur den Ernteertrag als Maßstab heranzuziehen: „Nahrungsmittel aus Monokulturen sind weniger nahrhaft als die des Bio-Anbaus, etwa in Bezug auf Spurenelemente“, sagt Shiva. Zudem werde aktuell der Großteil der Ernten für Tierfuttermittel und Biotreibstoff aufgewendet.

Prominente Zielscheibe

Die Tatsache, dass sich Shiva seit Jahrzehnten vehement gegen Monsanto (mittlerweile von Bayer aufgekauft) und gentechnisch veränderte Organismen (GMOs) einsetzt, macht sie auch zu einer prominenten Zielscheibe für Angriffe. Diese kommen mitunter von Journalisten und Organisationen wie dem umstrittenen Genetic Literacy Project, denen teils eine finanzielle Unterstützung durch Monsanto nachgewiesen wurde.

Auf beiden Seiten bedient man sich mitunter rabiater Ausdrucksweisen, die zwar deutlich sind, aber wissenschaftliche Differenziertheit vermissen lassen.

Die Aktivistin warnt insbesondere vor Lobbyismus und der Finanzkraft des „Giftkartells“. So nennt sie Unternehmen, die auf Grundlage fossiler Rohstoffe in großem Stil Pestizide herstellen oder dies in der Vergangenheit taten – und so auch eng mit der Produktion von chemischen Waffen für Kriege verknüpft waren, was gegen eine gewaltfreie Landwirtschaft spricht.

„Diese Unternehmen versuchen, Regierungen, Forscher und Landwirte zu beeinflussen und zu attackieren. Dadurch hat die vorherrschende Wissenschaft ihre Unabhängigkeit verloren.“ Während die Sorge um Lobbyarbeit gerechtfertigt sein mag, ist der Skandal um den Molekularbiologen Gilles-Éric Séralini und seine Studie zu angeblich krebsauslösendem Glyphosat, den sie als Beispiel anführt, aus wissenschaftlicher Sicht eindeutig. Die Studie war wegen schwerer Mängel schlicht nicht aussagekräftig.

Vernetzte Lösungen

Shiva plädiert dafür, mehr systemwissenschaftliche Forschung zu betreiben, die sich auf das Analysieren von Zusammenhängen konzentriert. Dies zeige sich auch bei den Protesten in Chile, wo die diesjährige UN-Klimakonferenz hätte stattfinden sollen: „Solche Ereignisse zeigen, wie verwundbar und fragil die Welt im Moment ist. Wir wissen nicht, wann der nächste Sturm, Frost, die nächste Hitze oder Feuersbrunst kommen wird; aber auch nicht, wann die nächste soziale Explosion kommt. Wir müssen erkennen, wie schwerwiegend die ökologische, politische und wirtschaftliche Katastrophe ist, die wir durchleben. Und wir müssen vernetzte Lösungen für Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Demokratie finden, denn man kann keinen dieser Punkte verändern, ohne die anderen zu berühren.“ (Julia Sica, 21.11.2019)