Demonstranten verließen die belagerte Universität in Hongkong durch Abflussrohre.

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Im Konflikt um Hongkong ist kein Ende in Sicht. Die jüngste Entscheidung Pekings, die Aufhebung des Vermummungsverbots nicht anzuerkennen, dürfte noch mehr Öl ins Feuer gießen. Zunächst hatte Regierungschefin Carrie Lam auf ein Notstandsgesetz aus der Kolonialzeit zurückgegriffen, um mehr rechtliche Handhabe gegen die Demonstranten zu bekommen. Am Montag aber hatte ein Gericht in Hongkong entschieden, das Vermummungsverbot sei verfassungswidrig – das wäre rund 300 Demonstranten zugutegekommen, die wegen eines Verstoßes dagegen angeklagt sind.

"Chinas Verfassung und das Grundgesetz Hongkongs formen zusammen den verfassungsrechtlichen Boden Hongkongs", hieß es vom ständigen Ausschuss in Peking. "Ob Hongkongs Gesetzgebung mit dem Grundgesetz konsistent ist, kann nur vom Nationalen Volkskongress beurteilt und entschieden werden." Dass Peking dem Urteil widerspricht, macht deutlich, wie wenig der einstige Slogan "Ein Land, zwei Systeme" noch gilt. Autonomie innerhalb Chinas war den rund sieben Millionen Hongkongern 1997 bei der Rückgabe der einstigen britischen Kronkolonie an das Festland versprochen worden.

Dutzende Verletzte

Unterdessen hat sich die Lage rund um die polytechnische Universität etwas entspannt. Mehrere hundert Studenten hatten sich am Wochenende in der Uni verschanzt. Sie waren mit Schleudern, Pfeil und Bogen und Molotowcocktails bewaffnet. Die Polizei reagierte mit Tränengasgranaten. Am Sonntag waren dabei 38 Menschen verletzt worden. Ein Demonstrant traf einen Polizisten mit einem Pfeil ins Bein, ein Polizeiauto ging in Flammen auf. Die Polizei drohte daraufhin mit dem Einsatz scharfer Schusswaffen und blockierte die Ein- und Ausgänge der Hochschule.

Am Montag versuchten mehrere tausend Studenten, Dozenten und andere, den Eingeschlossenen zu Hilfe zu kommen. Inzwischen konnten unter deren Vermittlung rund 600 Demonstranten das Gelände verlassen, nachdem ihre Personalien aufgenommen wurden. Viele von ihnen sollen noch minderjährig gewesen sein. Noch etwa 100 harren aber weiter dort aus. Videoaufnahmen zeigen zum Teil apokalyptische Szenen.

Verkleidete Spezialeinheiten

Präsident Xi Jinping sprach davon, die "Gewalt unter allen Umständen zu beenden". Noch immer sind keine Soldaten der Volksbefreiungsarmee in Hongkong – zumindest nicht offiziell. Wie die "South China Morning Post" berichtet, waren unter den "Freiwilligen", die am Samstag die Straßen von den Protesten säuberten, verkleidete Spezialeinheiten der Xuefeng Special Operations Brigade.

Auf dem Festland ist man nach wie vor davon überzeugt, nur eine Politik der "harten Hand" helfe gegen die protestierenden Studenten in Hongkong. So titelte die "People's Daily", ein Sprachrohr der Kommunistischen Partei, es gebe "keinen Raum für einen Kompromiss mit den Demonstranten". Das Staatsfernsehen CCTV sprach von Terroristen. "Hongkonger Bürger mit Gewissen haben längst erkannt, wie schlimm die Situation geworden ist. Das ist ein Kampf von Gewalt gegen Gewaltfreiheit."

"Verwöhntes Kind"

Eine Gefahr, die Proteste könnten auf das Festland überschwappen, droht nicht. Zwar gelten in Shenzhen, das keine 30 Kilometer von Hongkong entfernt liegt, verschärfte Sicherheitsregelungen. Das aber liegt eher an den dort aufmarschierten Soldaten und der Angst vor Terroranschlägen.

Im zensurierten chinesischen Internet geben Nationalisten den Ton an: So schreibt Userin "IVYYYY_Yueeee": "Hongkong ist wie ein verwöhntes Kind." Andere vermuten ausländische Kräfte hinter den Unruhen: "Hongkong ist der Hinterhof des Westens", schreibt ein User. "Kein Wunder, dass die Hongkonger Kakerlaken keinen Respekt haben." Die meisten sind sich darin einig: Die Regierung in Peking müsse alle Chinesen gleich behandeln und den Sonderstatus der ehemaligen britischen Kolonie beenden.

Peking betont immer wieder die Rolle der "schweigenden Mehrheit" in Hongkong, der bürgerlichen Mittelschicht, die mit den krawalligen Protest nichts zu tun haben wolle. Für den kommenden Sonntag sind in Hongkong Bezirkswahlen geplant. Eigentlich von geringer Bedeutung, legen Umfragen doch nahe, dass die Pro-Peking-Fraktion deutlich Stimmen verlieren könnte. Pekings Argumentation mit der schweigenden Mehrheit dürfte sich damit als hohl erweisen. Gut möglich ist es deshalb, dass die Wahl abgesagt wird. Genau das aber dürfte die Wut der Hongkonger weiter anwachsen lassen. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 19.11.2019)