Foto: Harper Collins

When it all began again ... was für passende Einleitungsworte! Mit "The Andromeda Evolution" erhält nicht irgendein Buch ein Sequel, sondern kein geringeres als Michael Crichtons 1969 veröffentlichtes "The Andromeda Strain" – also jenes Werk, das im Ruf steht, das Genre Wissenschaftsthriller in seiner heutigen Form überhaupt erst begründet zu haben. (Ein Genre, das sich seitdem auch nicht wesentlich verändert hat ...)

Der Neue

Dass der Name des 2008 verstorbenen Starautors flächendeckend übers Cover gezogen ist, als hätte er den Text über ein Ouija-Brett diktiert, zeigt zweierlei: zum einen, dass sein Name immer noch zieht, und zum anderen, dass seine Erben großen Wert auf die Würdigung seines Vermächtnisses legen. Im Nachwort ist denn auch von "den Autoren" die Rede; tatsächlich geschrieben hat "The Andromeda Evolution" aber Daniel H. Wilson, den wir spätestens seit "Robocalypse" kennen.

Die Entscheidung, das Sequel nicht von einem der vielen Crichton-Epigonen wie etwa Douglas Preston oder Lincoln Child schreiben zu lassen, sondern von einem Autor, der eher der Science Fiction zugeordnet wird, war mutig. Und hat sich ausgezahlt: Wilson war zwar immer schon technothrilleraffin, aber er kann das Ganze auch auf eine neue Ebene weiterführen. Stichwort Big Dumb Object! Mit diesem klassischen SF-Motiv werden es Wilsons Romanfiguren nämlich zu tun bekommen – aber nicht nur. Ein Leser hat zu Recht auf Parallelen zur beliebten "Leviathan"-Reihe James Coreys hingewiesen. Stellen wir uns also darauf ein, das Korsett eines klassischen Wissenschaftsthrillers etwas zu lockern.

Damals und heute

Zur Erinnerung: In "The Andromeda Strain" bringt ein abgestürzter Satellit eine vermutlich außerirdische Mikrobe (AS-1) auf die Erde, die beim Kontakt jedem Betroffenen buchstäblich das Blut stocken lässt. In Windeseile versucht ein kleines Grüppchen von Wissenschaftern zu verhindern, dass sich die tödliche Epidemie über die Quarantänezone hinaus verbreitet. Das gelingt auch – am Ende des Romans mutiert das Ding jedoch in eine neue Form (AS-2), die Kunststoff frisst. Es steigt in die obere Atmosphäre auf und zeichnet sich als künftiges Hindernis für die Raumfahrt ab.

Nun springen wir 50 Jahre weiter und kommen in der Gegenwart an. Überraschenderweise – angesichts des Endes von "The Andromeda Strain" – ist es unsere Gegenwart, Raumfahrt inklusive. Durch geeignete Ersatzmaterialien konnte die AS-2-Barriere überwunden werden und sämtliche 1969 noch nicht absehbaren Weltraummissionen sind so abgelaufen, wie wir es aus der Geschichte kennen. Allerdings – hier zeigt Wilsons Roman Züge einer Secret History – mit einigen Abweichungen im Detail: So dienten die ISS und alle früheren Raumstationen "in Wahrheit" dem Zweck, die Mikrobe in der Schwerelosigkeit zu studieren. Leider auch die chinesische Tiangong-1, denn deren Absturz im Jahr 2018 bringt die Mikrobe auf die Erde zurück.

Und sie hat schon wieder etwas Neues in petto: Drohnenaufnahmen zeigen, wie mitten im Amazonasdschungel eine seltsame schwarze Mega-Struktur wächst. Da sie die chemische Signatur des Andromeda-Organismus aufweist, schrillt beim Projekt Eternal Vigilance der Alarm. – An dieser Stelle wollen wir uns die Zeit nehmen, eine Figur zu würdigen, die leider nur ein Kapitel lang eine Rolle spielt: Colonel Stacy Hopper von Eternal Vigilance setzt den notwendigen Aktionsplan nämlich so unbeirrbar in Gang, wie es Ellen Ripley in den "Alien"-Filmen nicht besser hätte machen können. Applaus für Hopper! Doch nach Erfüllung ihrer Aufgabe überlässt sie gleichermaßen konsequent anderen das Feld.

Die Hauptfiguren

Wie schon im Ursprungsroman wird unter dem Namen "Project Wildfire" ein kleines Team von Spezialisten zusammengestellt – diesmal jedoch deutlich internationaler besetzt. Missionsleiterin Nidhi Vedala ist eine aus Indien stammende Nanotechnologin, Harold Odhiambo ein kenianischer Xenogeologe, Peng Wu eine chinesische Taikonautin (plus Medizinerin, plus Soldatin). Von Bord der ISS aus erhalten sie Unterstützung von der Nano-Expertin Sophie Kline, und im letzten Moment wird noch jemand ins Team hineininterveniert, der eine ganz besondere Beziehung zur Andromeda-Mikrobe hat: Ist der Robotiker James Stone doch der Sohn des wissenschaftlichen Leiters in Band 1 ...

Dass der "Laie" Stone dem Team kurzfristig aufgepfropft wurde, sorgt für einige Spannungen, speziell mit Vedala. Und ganz generell beeinflussen persönliche Traumata und Konflikte die wissenschaftliche Arbeit wieder mehr, als angesichts einer Bedrohung für die ganze Erde wünschenswert wäre. Auf wen man dabei besonders aufpassen sollte, darüber lässt uns Wilson übrigens keineswegs im Unklaren: Niemandem sollte zu viel Macht in die Hände gegeben werden, heißt es unheilschwanger bei der Vorstellung von Kline.

Epische Erzählung mit dokumentarischen Anteilen

Womit wir auch schon mitten in der Erzählweise von "The Andromeda Evolution" wären. Wilson tritt hier als Autor eines Buchs-im-Buch auf (sogar die Danksagung ist noch Teil der Fiktion!). Und dieses mit vielen dokumentarischen Elementen angereicherte Buch soll eine accurate and detailed reconstruction von Ereignissen sein, die zwar nicht uns Lesern, aber dem Rest der (fiktiven) Welt bereits bekannt sind. Dadurch kann Wilson der Handlung immer wieder ein verlockendes bisschen vorgreifen – mal erwähnt er ein Foto, das später noch ikonischen Status erlangen würde, mal streut er ein, dass eine bestimmte Ahnung letztlich drei bis vier Milliarden Leben retten würde. Man sollte meinen, dass das die Spannung killt – tatsächlich stachelt es sie aber noch weiter an.

Obwohl "The Andromeda Evolution" mit einer gewissen Distanz erzählt wird, hält einen der Kern-Plot um die Erkundung des mysteriösen Objekts in Atem. Was nicht heißen soll, dass wir die ganze Zeit im Dschungel bleiben würden: Im letzten Drittel wird's nämlich ordentlich knallig – da werden Stunts abgezogen, bei denen selbst Hollywood Bedenken zur Durchführbarkeit hätte. Leser, die ihre Wissenschaftsthriller gerne konventionell haben, werden mit dem Szenario, das sich dann auftut, vermutlich mehr Probleme bekommen als SF-Fans, die von Haus aus etwas mehr für möglich halten. Aber sei's drum: Alles in allem ist das ein würdiger Nachfolger des Crichton-Klassikers.