Ein Initialbild der Strömung: 1910 malte Max Pechstein seine "Junge Dame mit Federhut".

Foto: Renate und Friedrich Johenning Stiftung, Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger; Pechstein–Hamburg/Tökendorf/Bildrecht Wien, 2019

Nackedeien: Erich Heckels "Fördeufer – Badende am Förde" von 1913.

Foto: Fondazione Gabriele e Anna Braglia, Lugano, Foto: Roberto Pellegrini; Bildrecht Wien, 2019

Gabriele Münter fand im Ort Elmau Abkehr von der Industriegesellschaft.

Foto: Fondazione Gabriele e Anna Braglia, Lugano, Foto: Christoph Münstermann; Bildrecht Wien, 2019

Mystische Berge: Marianne von Werefkins "das Duell" (um 1933).

Foto: Fondazione Gabriele e Anna Braglia, Lugano, Foto: Christoph Münstermann

Das kleinformatige Aquarell "Sommergäste" zählt zu Emil Noldes sogenannten "ungemalten Bildern" (1938-45). Der Künstler wollte daraus nachträglich eine heroische Geschichte des Nazi-Widerstands stricken.

Foto: Nolde Stiftung Seebüll

Im Büro von Angela Merkel ist für ihn kein Platz mehr, aber hier darf Emil Nolde hängen: Ein Viertel der Exponate der Schau zum deutschen Expressionismus im Leopold-Museum stammen von dem Maler. Allerdings hängen nicht die blonden Hünen aus den nordischen Sagen, die Kurator Ivan Ristic auch erwähnt, sondern Dahlien und Klatschmohn, Sonnenblumen und Chrysanthemen, wunderschön vom "Farbmagier" aufs Blatt aquarelliert. Das versteht man. Wer würde schon unter Naziverdacht stehende Recken und "Kahn fahrende Nordmänner" zeigen wollen?

Außerdem lautet der Titel der Schau nicht "Nolde ja oder nein", obwohl die Problematik unter dem Motto "Makel im Blumengarten" natürlich angerissen wird: Nolde war überzeugtes Mitglied der NSDAP. Doch Adolf Hitler konnte, obwohl Nolde unter Nazis Fürsprecher fand, mit dessen Bildern nichts anfangen. Trotzdem er in der Nazi-Schau Entartete Kunst gezeigt wurde, hoffte Nolde bis zuletzt, Hitler würde seinen Fehler einsehen und ihn doch als Staatskünstler etablieren.

Opportune Mär

Nach dem Ende des Regimes legte sich Nolde eine opportunere Lesart dieser Jahre zurecht: die "ungemalten Bilder". 1-300 solcher kleinen Aquarelle hat Nolde während des Krieges gemalt. Er deutete sie im Nachhinein zum Beweis seines Widerstands gegen die Nazis um, habe er diese Blätter doch halb versteckt und fast ohne Material den Umständen abgetrotzt.

Sommergäste heißt eines dieser Blätter im Leopold-Museum. An der Wand daneben hängt ein großes Sommergäste von 1946 in Öl – die kleine Version ist in Wahrheit als Skizze dafür entstanden, klärt die Schau auf. Noldes Mär vom "Malverbot" war überspitzt.

Aber Schluss jetzt mit "Nazi-Nolde". Es geht in Deutscher Expressionismus um viele Protagonisten des farbkräftigen Stils, der für unsere Nachbarn in den Nullerjahren des vorigen Jahrhunderts die Moderne anbrechen ließ. Kirchner, Schmidt-Rottluff, Marc, Macke, von Jawlenski, von Werefkin, und wie sie alle heißen, hängen an den Wänden. Solches hatte die deutsche Kunst bis dahin nicht gekannt: Wohin man schaut, poppen Farben auf, wabern Blau, knallen Rot, leuchten Orange.

Gegenbürgerliche Tendenz

Die Expressionisten wollten der spießbürgerlichen Denke und der industrialisierten Gesellschaft entkommen. Natürliche Farben und Formen reichten dazu nicht, der Impressionismus war den Malern der Gruppen Brücke und Blauer Reiter allerdings zu heiter, der Symbolismus zu esoterisch. Farbflächen zerfallen unter ihren Fingern nun also zu Farbauftragsspuren: Alexej von Jawlensky setzt grobe Pinselstriche wie Hiebe, bei Nolde ziehen wolkige Farbflecken über Gesichtern und nordfriesischen Landschaften auf. Die Kunst ahmt nicht mehr nach, sie schafft eine subjektive Gegenwelt des Erlebens. Alles muss raus.

Die Ausstellung versammelt rund hundert Werke, sie hängen nach Motiven zu thematischen Grüppchen zusammengefasst. Die Sehnsucht nach dem "wilden" Leben und der Südsee trieb besonders die Maler der Brücke um. Nur zwei schafften es tatsächlich in die Ferne, doch wie man sieht, gab es auch im deutschen Wald, an deutschen Seeufern und in Flensburg Frauen oben ohne zu malen.

Andererseits lockte "roaring" Berlin die Künstler mit Bars und Varietés. Marianne von Werefkin malt den Tänzer Sacharoff so bunt, als wäre er in sein Schminkdöschen gefallen. Ernst Ludwig Kirchners Akte im Atelier haben ohne Höschen etwas Verruchtes an sich und halten Zigaretten in Händen.

Alles sehr hübsch

Etwas Argwohn gegenüber dem modernen Leben verströmen Lyonel Feiningers 44 elegante Schirm- und Zylinderherren. Wie eine Armee marschieren sie in ihren Anzügen anonym um eine Hausecke. Der fiebrige Stress und Taumel, wie ihn andere Werke des deutschen Expressionismus fühlen machen, fehlt indes weitgehend.

Überwiegend bestückt aus den beiden Privatsammlungen Braglia und Johenning folgt die Schau keiner größeren inhaltlichen Idee, sondern fährt – kuratorisch passiv – eine Parade der üblichen Namen auf: Gabriele Münter und Wassily Kandinsky vom Blauen Reiter finden noch Reize in ländlichen Orten wie Murnau. Franz Marc schmiegt derweil im dritten Ausstellungsraum Katzen und Pferde harmonisch in Kreisformen, denn Tieren eignet wie dem Landleben und der Südsee etwas Unverdorbenes. Zuletzt winkt als Zaungast des Stils noch Paul Klee.

Als Einführung in den Expressionismus ist die Ausstellung gut gemeint und hübsch anzusehen. Die unentschlossene Breite wird mit der Zeit aber ermüdend kursorisch. Allein zwei Privatsammlungen zu verquicken ergibt noch kein spannendes Konzept. (Michael Wurmitzer, 20.11.2019)