Unter dem Titel "Schulgespräche. Junge Muslim*innen in Wien" sprechen Schülerinnen und Schüler in 15 Videos über die angeblichen Konfliktfelder zwischen den Religionen.

Foto: Screenshot aus den Ausstellungsvideos / Traska

Ist eine Frau, die kein Kopftuch trägt, eine nicht so gute Muslimin? Die beiden Schülerinnen vor der Kamera tragen Kopftuch und sind sich einig: „Ich kenn viele Frauen, die kein Kopftuch tragen und wahrscheinlich viel religiöser sind als ich“, ruft die eine. „Das Kopftuch repräsentiert nicht, wie religiös ein Mensch ist!“ Selbstbewusstsein sei ein Thema, das damit zu tun hat. Man muss bereit dafür sein, die Entscheidung für sich zu treffen.

Schwarz-Weiß-Denker in Medien und Politik haben das Kopftuch zum Symbol in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Debatte gemacht. Damit müssen auch die Schülerinnen und Schüler zurechtkommen, die dabei sind, persönliche Entscheidungen zu treffen.

Wie die jungen Menschen in einem kulturell und religiös diversen Umfeld ihren Weg finden, davon handelt die Ausstellung Schulgespräche. Junge Muslim*innen in Wien, die derzeit im Volkskundemuseum zu sehen ist.

In Kurzfilmen von insgesamt etwa drei Stunden Länge erzählen über 60 Schüler, aber auch Lehrende und Schulvertreter von ihren Erfahrungen und Positionen. Die Kopftuchfrage bekommt naturgemäß viel Aufmerksamkeit.

Aber auch viele andere Themen: die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, die Vorfreude auf den Ramadan oder wie man es mit der Evolutionstheorie hält.

Vier Wiener Schulen

Die Schüler stammen aus vier Wiener Schulen im zehnten, 15. und 21. Wiener Gemeindebezirk. Sie sind alle zumindest 16 Jahre alt und waren bereit, in ihrer Freizeit für diese sozialanthropologisch-kulturwissenschaftliche Forschung zur Verfügung zu stehen.

Georg Traska vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und seine Kollegin Valeria Heuberger vom Institut für Sozialanthropologie starteten bereits 2017 mit dem Projekt, das im nun auslaufenden Sparkling-Science-Programm des Wissenschaftsministeriums gefördert wurde.

„Das Forschungssetting war gar nicht so einfach zu kommunizieren“, blickt Projektleiter Traska zurück. Als partizipativer Prozess mit einer offenen und beweglichen Methodik sollte das Projekt keine eng gesteckten Fragestellungen abarbeiten. Die Themen sollten aus der Interaktion heraus entstehen.

Man ließ die Schüler Interviewfragen erarbeiten, die sie dann ihren Mitschülern aus anderen Klassen oder Schulen stellten. Wer wollte, wurde auch von den Wissenschaftern direkt befragt. Die Diskussionen vor der Kamera stehen für sich selbst. Keine Off-Kommentare helfen bei der Einordnung.

Behutsamer Umgang

„Wir waren überrascht, wie behutsam die Schüler miteinander umgehen“, betont Traska. Religion sei kein wichtiges Thema, und man wolle nicht, dass es deswegen zu Konflikten komme, sei der Tenor. Wenn es aber zu Konflikten kommt, könne man den Schülern durchaus zutrauen, ihre eigene Lösungen zu finden, ist Traska überzeugt.

„Die Schüler machen sich vieles selbst untereinander aus. Man muss sich nicht ständig einmischen.“ Die Geschichte einer polnischstämmigen Schülerin in einem Video illustriert das: Nachdem sie ein Kreuz in der Klasse haben wollte, vereinbarte sie mit muslimischen Mitschülern, dass Zeichen beider Religion aufgehängt werden sollten.

Doch die Vereinbarung hielt nicht. Zuerst wollten die Muslime das Kreuz doch nicht, dann wurde auch das Islamplakat abgerissen. Es gab Streit, und man traf die neue Vereinbarung, gar nichts mehr aufzuhängen. Traska: „Und damit war das Thema gegessen.“

Evolutionstheorie

Auch die Ablehnung der Evolutionstheorie ist in den Schulen ein Thema – in Diskussionen, aber auch in stiller Verweigerung. Dabei gehe es weniger um die Akzeptanz der tatsächlichen wissenschaftlichen Fakten, sondern um die Wahrnehmung als Einschränkung, glaubt Traska. „Es entsteht in den Menschen das Gefühl, dass die Wissenschaft ihnen etwas wegnehmen möchte. Der Konflikt findet weniger auf einer religiösen als auf einer institutionellen, machtpolitischen Ebene statt.“

Diversität ist auch hier das bestimmende Merkmal: „Eine Schülerin, die nicht akzeptieren wollte, dass Menschen Säugetiere sind, hat später in Biologie maturiert“, gibt Traska ein Beispiel. Manchmal können sich Stereotype regelrecht umdrehen, was offenbar wurde, als junge Muslime aus der Familie eines Imams gegenüber einer fundamentalistischen Position eines evangelikalen Schülers für die Naturwissenschaften argumentierten.

Die Schau macht die Menschen hinter den stereotyp diskutierten Kulturdebatten sichtbar – und zeigt damit nicht zuletzt, wie fehlgeleitet viele öffentlichen Debatten sind. Und sie zeigt die Potenziale einer neuen Generation: „In der Schule sind die Studierenden so tolerant, wie man es sich in der Gesellschaft außerhalb der Schule wünschen würde“, resümiert eine Lehrerin in einem der Videos. (Alois Pumhösel, 24.11.2019)