Bei einem Flug von Wien nach Hanoi in Vietnam und wieder retour kommt man auf 350 Buchen. Laubbäume sind nun schon eine ganze Weile die gängige Währung für all jene, die auf dem Luftweg ans Urlaubsziel gelangen und dafür möglichst plakativ Abbitte leisten wollen. Die Rede ist von Kompensationszahlungen für den bei Flügen verursachten CO2-Ausstoß, die häufig für das Pflanzen von Bäumen verwendet werden. 80 Buchen, heißt es, binden in einem Jahr rund eine Tonne Kohlendioxid.
Hinausgeblasen ist diese Tonne schnell, verursacht doch schon ein Flug nach Hanoi und retour 4.372 kg CO2-Ausstoß pro Person, wie man von Kompensationsrechnern à la Atmosfair ausgespuckt bekommt. Um nur 12,5 kg CO2 wieder zu binden, benötigt eine ausgewachsene Buche allerdings ein ganzes Jahr. Dass das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen insgesamt nur 2.300 kg CO2 beträgt, will man dann gar nicht mehr wissen.
Auch Elias Bohun hat solche Rechnungen mit Bäumen schon öfter angestellt – er kam dabei aber nie auf einen grünen Zweig ...
Storno aus Flugscham
Nach der Matura buchte der heute 19-Jährige einen Flug in die Ferne. Er wollte mit seiner Freundin einige Monate in Ostasien verbringen. Doch von einem Tag auf den anderen entschied sich Elias dafür, den lange im Voraus gebuchten Flug zu stornieren. Er schämte sich dafür, durch diese Reise die Umwelt zu belasten, ist er doch als Klimaaktivist engagiert.
Danach begann er ein halbes Jahr lang nach Alternativen zu suchen und schlug seiner Freundin vor: „Lass uns doch mit dem Zug nach Vietnam fahren!“ Als Antwort bekam er zunächst nur zu hören: „Das ist vollkommen verrückt und kann doch niemals gutgehen.“ Kein Reisebüro der Welt stellt Tickets für so lange Strecken durch mehrere Länder aus.
Wochen der Organisation
Um seiner Freundin (und so ziemlich jedem in seinem Freundeskreis) das Gegenteil zu beweisen, suchte er in allen Transitländern zwischen Österreich und Vietnam per Internet nach Menschen, die den beiden Zugtickets besorgen und vor Ort hinterlegen. „Das fühlte sich auf unserer Reise wie eine Lotterie an. Wir wussten nie, ob die Person vertrauenswürdig ist und tatsächlich das Ticket im Hotel hinterlegt“, erzählt Elias.
Zudem musste bereits vor der Fahrt klar sein, dass die beiden gültige Tickets besitzen, um für die besuchten Länder auch Visa organisieren zu können. Nach Wochen der Organisation hatte Elias schließlich die einzelnen Bahntickets beisammen. Über Warschau, Riga, Moskau, Kasachstan und China fuhren sie nach Vietnam.
Größeres Unterfangen
Nach ihrer Rückkehr, gut vier Monate später, begann Elias seinen Zivildienst beim Verkehrsclub Österreich (VCÖ), einen auf Mobilität und Transport spezialisierten, gemeinwohlorientierten Verein. Als er seinen Arbeitskollegen von der Zugreise nach Vietnam erzählte, bekam er von den Spezialisten auf diesem Gebiet zu hören: „Wir wussten gar nicht, dass das möglich ist.“
Agenturen, die länderübergreifend Zugtickets für so weite Strecken anbieten, gibt es nämlich nicht. Elias’ erster Gedanke nach dieser Rückmeldung: Ich könnte mein Know-how doch klimabewussten Freunden anbieten, die auf der Fernstrecke vom Flieger auf den Zug umsteigen wollen. Die Sache wuchs sich allerdings rasch zu einem wesentlich größeren Unterfangen aus.
Individuelle Verbindungen
Ein paar Monate später sitzen Elias und Matthias Bohun in einem Wiener Kaffeehaus und berichten: „Wenn alles gutgeht, macht unser Reisebüro noch in diesem Dezember auf.“ Elias hatte nicht nur seine Freunde mit der Idee angefixt, individuelle Fernzugverbindungen für Europa und Asien anzubieten, sondern auch seinen Vater.
Der 47-jährige Lehrer ist selbst schon seit zwei Jahren nicht mehr geflogen, weil ihn die Argumente seines Sohnes Elias überzeugt haben: Dieser meint, es würden nur noch mehr Leute fliegen, wenn sie sich durch Kompensationszahlungen „freikaufen“ könnten. Also absolvierte Matthias kurzerhand die Befähigungsprüfung zur Eröffnung eines Reisebüros, obwohl er seinen Beruf als Lehrer auch in Zukunft ausüben möchte.
Persönliches Netzwerk
Elias ist durch seine Recherche für die Zugverbindung von Wien nach Hanoi zu einem wahren Bahn-Freak geworden. Dinge wie die Wiederaufnahme des Eisenbahnverkehrs in Kambodscha oder neue Hochgeschwindigkeitsverbindungen in China bleiben ihm nicht verborgen.
Derzeit bauen er und sein Vater ein Vertriebsnetz mit regionalen Bahnticket-Agenturen in vielen Staaten Europas und Asiens auf. „Dass es darunter auch weniger vertrauenswürdige gibt, habe ich bei meiner Reise nach Vietnam rasch kapiert“, sagt Elias.
Ticketpaket
Als Erstes möchten sich die beiden mit der Eröffnung von Traivelling, so der Name ihres Reisebüros, um individuelle Anfragen für Zugreisen kümmern. Es geht ihnen nicht um Luxuspauschalreisen wie mit dem Orient-Express, sondern um Zugfahrten von A nach B mit einem Gestaltungsspielraum.
Wer etwa mit der Bahn von Wien nach Japan fahren will, was in Kombination mit einer kurzen Fährpassage durchaus möglich ist, bekommt von ihrem Büro ein gesamtes Ticketpaket, bei dem auch die Aufenthalte in den Zwischenstationen individuell planbar sind. Ihr Angebot ist laut eigenen Angaben konkurrenzlos, auch die Reisebüros der Bahngesellschaften bieten so etwas nicht an. „Die ÖBB haben bereits insofern reagiert, als sie angeboten haben, uns als Partner in ihr Ticket-Distributionssystem aufzunehmen“, sagt Matthias Bohun erfreut.
Vorbildwirkung
Dass Zeit der wichtigste Faktor ist, um bei Fernreisen vom Flieger auf die Bahn umzusteigen, ist den beiden sehr wohl bewusst. So beträgt die reine Reisezeit von Wien nach Hanoi etwa acht Tage – die Strecke in einem Stück ohne Aufenthalte hinter sich zu bringen würden sie niemandem empfehlen.
„Es geht ja gerade darum, unterwegs etwas zu sehen. Und anders als bei einem Fernstreckenflug hat die Seele im Zug eine Chance, hinterherzukommen“, meint Matthias. Elias geht es noch um etwas anderes: „Es fehlen bislang die positiven Erfahrungen. Solange niemand vormacht, wie man eine Fernreise mit dem Zug gestaltet, wird es auch keine Nachahmer geben.“ (Sascha Aumüller, RONDO, 22.11.2019)