Manchmal muss man Lesern antworten. Vor allem wenn sie einem im Brustton der Überzeugung an die private Mailadresse schreiben – und gleichzeitig geknickt und empört sind.

Die letzte Woche hier aufgestellte Behauptung, dass man in Graz ausschließlich bergauf laufen könne, dürfte einigen Menschen in die falsche Kehle geraten sein: Steirerblut ist eben kein Himbeersaft – und wo es um National- oder Heimatstolz geht, kommt überspitztes Fabulieren nicht gut an.

Ich hätte zwar nicht im Traum gedacht, dass diesen Satz irgendwer ernst nehmen würde, aber ... egal. Mein Fehler: Ich sollte mittlerweile wissen, dass Ironie im Netz nicht funktioniert. Weil es immer wen gibt, der alles ernst nimmt. Und daraus den unwiderlegbaren Beweis ableitet, dass der Autor keine Ahnung hat.

Und so kam, was kommen musste, nachdem da letzte Woche gestanden war, dass man in Graz immer, immer nur bergauf laufen kann. Vollkommen klar, dass irgendwer forderte, dass diese Falschmeldung – bitte/gefälligst/umgehend – richtiggestellt zu werden habe. Weil: Falsch ist schließlich falsch. Und auch noch infam. Weil man in Graz sehr wohl brettleben unterwegs sein könne. Das Murufer entlang etwa. Auf beiden Seiten – flussaufwärts und flussabwärts. Und es sei bezeichnend, dass just ein Wiener behaupte, dass ... und so weiter.

Vor ein paar Jahren hätte ich gesagt, dass es derartige Post vom Leser (kaum je von der Leserin) nicht gibt. Heute weiß ich: "Gibt es nicht" gibt es nicht.

Was man mit solchem Feedback tut? Normalerweise ignoriert man es. Oder aber man tritt die Flucht nach vorne an. Etwa indem man beweist, dass man eh weiß, dass man in Graz nicht ausschließlich bergauf laufen kann.

Idealerweise mit einer Geschichte über eben so einen Lauf: flach. Das Ufer entlang. Zuerst durch die Stadt. Aus ihr raus – und zurück. Schön, locker und zügig – aber nicht zu schnell oder zu anstrengend. Jedermann- und jederfraukompatibel. Also das, was wir diesen Sonntag liefen.

Foto: thomas rottenberg

Um dem Ganzen noch eine Botschaft mitzugeben, hätte die Geschichte ein Metathema bekommen. Ein zweites Narrativ. Schließlich soll so ein Text ja auch Nutzwert haben. Wetter, Herbst und Laufen bei "nasskaltwäh" steht derzeit überall auf der saisonalen Laufthemen-Speisekarte.

Eventuell ergänzt durch einen Sidekick zum Themenkomplex "Sichtbarkeit" – also alles über helle und reflektierende Kleidung und Applikationen auf Schuhen und Gewand bei trüben Lichtverhältnissen. (Keine Angst, das kommt in den nächsten Wochen eh noch.)

Oder aber – etwa wenn das Wetter nicht zum Kalender passt – ein bisserl was über das falsche Outfit, weil man (und frau) aufgrund der offiziellen Jahreszeit und des Kalenders die draußen tatsächlich herrschenden Temperaturen falsch einschätzte und sich auf den ersten paar Kilometern wundert, wieso gar nix weitergeht. Und wieso heute alles außer mühsam nur mühsam ist – bis man (und eben auch frau) draufkommt, dass es wieder mal der Einserfehler war: zu viel an. Erstickt im eigenen Hitzestau.

Foto: thomas rottenberg

Und auch wenn jede und jeder da die individuelle Idealabstimmung finden und dann dazu stehen muss (gerade weil Ärmlinge mit ärmellosen Shirts nur bei Eliud Kipchoge nicht peinlich aussehen), bleibt speziell im Herbst und im Frühjahr unterwegs genug Zeit, sich darüber zu wundern, was einem da auf fast jeder Laufstrecke unentwegt entgegenkommt – dampfend, unglücklich und leidend.

Foto: thomas rottenberg

Und irgendwann eben resigniert-gehend. Aber vor allem nie übernasernd, warum das Laufen gerade so mühselig statt federleicht ist: Darauf, dass das bei zwölf Grad plus an der wattierten Daunen- oder Primaloftjacke, den gefütterten Hosen, den Thermomützen und dem Buff über dem Mund liegen könnte, kommt kaum einer. Oder eine.

Foto: thomas rottenberg

All das, das flache Graz und das Zuviel an Gewand, gäbe also an sich genug Stoff für eine feine Geschichte her. Ließe sich leicht und locker dahinerzählen. Und sich zu Beginn des dritten Aktes mit einer kleinen Volte noch einen kurzen Kontraspin geben. Etwa weil man dann, so ungefähr nach zwölf oder 13 flachen Kilometern, spontan umdisponiert – und doch den Schlossberg raufrennt. Und dann wieder runter.

Weil der Hügel halt grad da ist – und es ziemlich leiwand ist, gegen Ende eines feinen Laufes den Rhythmus und die Gleichförmigkeit der Ebene zu durchbrechen und Kopf und Körper zu zeigen, dass ein Alzerl mehr ihn jetzt auch nicht gekillt hat.

Foto: thomas rottenberg

Sondern, ganz im Gegenteil, noch ein paar Glückshormone mehr rauszuschießen mithalf. Und von denen zehrt man dann nicht nur die letzten paar Auslaufkilometer, sondern den ganzen übrigen Sonntag lang.

So gesehen ist es sogar ganz gut, dass da ein paar (es waren drei) beleidigte Grazer ausrückten, um die Ehre ihrer Heimatstadt auch als Ebenen-Laufdorado zu verteidigen: Ich wäre die Runde zwar sowieso gelaufen – aber vermutlich hätte ich ohne die steirische Rüge nicht so ausführlich darüber erzählt. (Thomas Rottenberg, 21.11.2019)

Foto: thomas rottenberg