Sie kreisen um ihre Kinder wie ein Helikopter: Eltern, die ihren Nachwuchs überbehüten und überwachen. Ihn zur Studienberatung und Inskription begleiten oder gar am ersten Unitag zur Hochschule bringen. Nach Kindergarten und Schule sind die Helikoptereltern nun auch auf Österreichs Unis gelandet. Einige Universitäten berichten der APA, dass junge Erwachsene im Studium immer häufiger von Mama und Papa an der Hand genommen werden.

Zahlen, wie viele Studierende das betrifft, gibt es nicht. In einer deutschen Studie von 2014 wurden über 2000 Studierende dazu befragt. Das Ergebnis: Rund 2,4 Prozent der Befragten stuften ihre Eltern als Helikoptereltern ein. Und: Je geringer das Bildungsniveau der Eltern, desto weniger überbehüten sie ihre Kinder.

Eltern würden vor allem Studieninformationsveranstaltungen besuchen, die manche Unis extra für sie organisieren. Zum Beispiel gibt es an der Uni Graz einen zusätzlichen Infovortrag, die Uni Klagenfurt, die Fachhochschule und die Pädagogische Hochschule Kärnten laden Eltern zur gemeinsamen Veranstaltung.

An der Uni Wien begleiteten Eltern ihre Kinder zum Teil auch zu Aufnahmeprüfungen für zugangsbeschränkte Fächer. Dort heißt es aber ab einem bestimmten Punkt: Einlass nur für Bewerber. Einige rufen auch an – etwa bei der Uni Salzburg –, "von Banalitäten bis zur Intervention", sagt Johann Pinezits, Leiter der dortigen Studienabteilung, der APA. Die Inskription werde "durch das permanente Einmischen und Fragen der Eltern" deutlich verzögert. Die Unis Innsbruck und Wien sowie die Wirtschaftsuni sprechen sich dagegen aus. Wohl auch, weil es zur Uni gehört, selbstständig und eigenverantwortlich zu studieren.

Jasmin Senay informierte sich mit Vater Karl zum Studium.
Foto: Christian Fischer

Jasmin Senay: "Wir wissen nicht, was auf mich zukommt"

Jasmin Senay: Ich bin die Erste in meiner Familie, die studieren wird. Wir haben keine Vorstellung davon, was da auf mich zukommt. Deshalb bin ich mit meinen Eltern zur Studienmesse angereist.

Karl: Ich will wissen, wie die Unis überhaupt so sind, wie das ist, wenn sie im Ausland studieren will. Vor allem sind auch die Kosten für uns interessant.

Jasmin: Meine Eltern unterstützen mich mit ihrer realistischen Einschätzung. Ist die Uni zu teuer? Ist die Entfernung zu weit? Sie stellen Fragen, die ich so nicht gestellt hätte – wie die nach den Kosten. Derzeit verdiene ich ja nichts. Ich mache erst im Sommer meine Matura an einer HTL für Bauwesen.

Karl: Ich glaube nicht, dass jemand ein Studium ohne finanzielle Hilfe von den Eltern schafft.

Jasmin: Neben dem Finanziellen erwarte ich mir im Studium schon ein wenig Unterstützung. Etwa lerne ich am besten, wenn mich Mama abprüft oder mir Ratschläge gegen den Stress in der Schule gibt, wenn ich dort Stress habe. Aber ich bin schon jetzt recht selbstständig, und meine Eltern rennen mir nicht nach, ob ich schon für den Test gelernt habe.

Karl: Das erwarte ich mir auch von einer 21-Jährigen. Ich werde mich natürlich angesprochen fühlen, wenn sie uns braucht. Aber studieren muss sie schon selber.

Jasmin: Meine Eltern sind keine Helikoptereltern. Es interessiert sie einfach, was ich mache und wie es weitergeht. Aber sie würden mich nie an der Hand zum ersten Unitag begleiten. Das fände ich peinlich.

Jasmin Senay (21) maturiert 2020 an der HTL für Bauwesen in Linz. Sie möchte etwas mit Architektur studieren.

Julia Huemer organisiert die Schnupperuni und einen Infovortrag für Eltern an der Universität Graz.
Foto: Uni Graz/Leljak

Julia Huemer, Uni Graz: "Helikoptereltern sind eine Seltenheit"

Julia Huemer: Seit 2014 bieten wir an der Uni Graz eine Schnupperuni für Studieninteressierte an. Da ein paar Eltern auch teilnehmen wollten, haben wir einen extra Infovortrag für sie geschaffen. Jährlich melden sich etwa 20 Personen an. Sie erhalten Infos zur Uni, welche Voraussetzungen man braucht, wie Aufnahmeverfahren ablaufen und welche finanzielle Unterstützung es gibt. Sie fragen vor allem nach der Studienvorbereitung, Finanziellem und wollen oft Fristen im Auge behalten.

Warum sollte man ihnen die Infos vorenthalten? Es kommt uns ja entgegen, wenn sie ihren Kindern sagen, dass sie bei uns Hilfe bekommen, oder sie an Fristen erinnern. Das sind aber keine Helikoptereltern. Meist sind es Nichtakademiker-Eltern, die genauso wenig wissen wie ihre Kinder.

Helikoptereltern nehmen wir eher unter jenen Eltern wahr, die mit ihren Kindern in unsere Beratung kommen. Erstberatungsgespräche mit Eltern haben wir regelmäßig, die Helikoptereltern sind aber selten. Das ist auch kein wachsendes Phänomen. Sie sind im Gespräch dominant, nehmen sich oft den näheren Sessel zum Berater oder zur Beraterin, stellen die Fragen für ihre Kinder. Vielen ist es peinlich, dass Papa oder Mama dazwischenredet. Manche scheinen das auch zu wollen.

Es ist normal, dass Studieninteressierte ihre Eltern fragen – solange sie selbstständig sind. Dafür sollte man nicht belächelt werden. Wenn sie dann Studierende sind, haben wir ohnehin weniger Kontakt mit den Eltern.

Julia Huemer arbeitet beim 4students Studien Info Service der Uni Graz und organisiert dort die Schnupperuni.

Victoria: "Ich bin behütet aufgewachsen"

Victoria: Ich wäre genauso allein auf die Bachelormesse, bin dann aber mit meinen Eltern hin, weil es ihnen ein Anliegen ist, mich gut ins Studium zu bringen. Wohl auch, weil ich mich bisher für kein Fach entscheiden konnte.

Mutter: Genau. Als sie im Frühjahr von ihrem Jahr in Neuseeland zurückgekommen ist, war es zu spät für alle Anmeldefristen. Jetzt wollen wir uns informieren, was es gibt, damit wir das im Oktober spätestens starten können.

Victoria: Bei der Studienwahl habe ich aber die Entscheidung in der Hand. Der Rat von den Eltern ist da nicht so entscheidend, dafür wissen sie, was mir liegt.

Vater: Wir kennen ihre Talente, momentan kommen die nicht zum Zug. Die Frage ist: Was macht Spaß, und welcher Job schaut dabei raus? Letztlich geht es ja um das Leben meines Kindes.

Victoria: Im Studium selbst möchte ich mental unterstützt werden, mich ausheulen können, wenn es mir einmal schlecht geht.

Mutter: Da will ich mich auch anders gar nicht einmischen. Das kann sie schon ganz gut allein.

Victoria: Trotzdem habe ich das Gefühl, meine Mama ist ein bisschen Helikopter. Sie macht sich viele Sorgen, auch vom Auslandsjahr musste ich sie lang überzeugen. Das Gute daran: Ich bin behütet aufgewachsen. Gleichzeitig will ich selbstständig sein, werde aber noch wie ein Kind behandelt. Es hat sich aber schon gebessert.

Mutter: Das ist mir eben wichtig. Aber sie ist jetzt in eine WG gezogen– das ist die erste Abnabelung.

Victoria (21) will etwas mit Medien studieren oder einen fächerübergreifenden Bachelor in Politik und Philosophie machen.

Psychologe Franz Oberlehner: "Vor 20 Jahren gab es das noch nicht"

Franz Oberlehner: Vor 20 Jahren gab es das Phänomen nicht. Auch bei uns in der Beratungsstelle kommt es hin und wieder vor: Eltern, die für ihre Kinder anrufen oder mitkommen, gerade bei Studienwahlberatungen. Kürzlich regte sich eine Mutter auf, weil ihr Kind nicht sofort einen Termin bekommen hat. Oft sind es Akademiker oder Eltern, die ihre Macht beweisen wollen. Noch neuer ist aber, dass Junge ihre Eltern mitnehmen wollen. Das wäre früher undenkbar und beschämend gewesen.

Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Erstens sind Kinder allgemein für die Eltern wichtiger geworden. Helikoptereltern empfinden sie oft als Teil des eigenen Selbst statt als eigenständige Person. Zweitens steigt der Leistungsdruck und damit der Druck auf die Eltern, ihre Kinder erfolgreich zu machen. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass mit den sozialen Medien der Draht zu den Eltern nie wirklich gekappt ist.

Man sollte den Kindern nichts abnehmen, sondern im Hintergrund bleiben als jemand, auf den man zählen kann. Ist das nicht so, erschwert das den Abnabelungsprozess wesentlich. Auch zu studieren wird schwieriger, weil man nicht gelernt hat, mit Rückschlägen oder Schwächen umzugehen.

Die Kinder denken oft, sie seien was Besonderes oder müssten es sein. Das löst ein Selbstbild aus, alles super schaffen zu müssen, und kann, wenn es nicht so ist, dazu führen, dass sie Dinge vor sich herschieben, um die Ausrede zu haben: Hätte ich schon früher gelernt, wäre ich bei den Besten.

Franz Oberlehner ist klinischer Psychologe und leitet die psychologische Studierendenberatung in Wien. (Selina Thaler, 22.11.2019)