Alle aus Teil eins sind wieder vereint, aber Königin Elsa steht die Sorge ins Gesicht geschrieben: "Die Eiskönigin 2" schickt die Titelheldin auf einen Selbstfindungstrip.

Foto: Disney

Eine Bestimmung ist wie ein Vermögen, von dem man erst eine dunkle Ahnung besitzt. Für Königin Elsa hat sie einen beunruhigenden, zugleich ungemein verführerischen Klang. Nur ihre Ohren können die leicht gespensterhafte Melodie vernehmen. Auch der Polster auf dem Kopf hilft nicht, um sich abzuschirmen. Als sie dann nächtens auf den Balkon des Schlosses heraustritt und die Tropfen sich in tausende Kristalle verwandeln, ist der erste Schritt getan. Into the Unknown, der nächste Hit für das globale Kinderzimmer, bringt die Bewegung von Die Eiskönigin 2(Frozen 2) als heimliches Begehren der Titelheldin auf den Punkt.

Die Hinwendung zum Unbekannten ist normalerweise nicht das, was man vom Sequel eines Welthits erwartet. Mit einem weltweiten Umsatz von rund 1,3 Milliarden Dollar war Die Eiskönigin der erfolgreichste Animationsfilm aller Zeiten. So etwas erzeugt selbst bei einer Supermacht wie Disney Erwartungsdruck, schließlich wollen die Franchise-Artikel der jungen Fans, die seitdem zu Hause herumliegen, noch um neue ergänzt werden. Um die Handlung der Fortsetzung gab es vonseiten des Regie- und Drehbuchduos Jennifer Lee und Chris Buck viel Geheimniskrämerei – und umso mehr Gerüchte. Sogar von einer gleichgeschlechtlichen „Affäre“ Elsas wurde geflüstert.

Walt Disney Animation Studios

Trotz aller Bestimmtheit, mit der Disney-CEO Bob Iger für Erneuerung durch Diversität eintritt – so weit hinaus aufs Eis hat man sich dann doch nicht getraut. Als grüblerische Heldin, die mit ihrer Rolle hadert und ihre Umwelt eher hinterfragt, als sie hinzunehmen, ist sie zweifellos unkonventionell. Die am Ende von Teil eins herbeigeführte Ordnung, so der geschickte Weiterdreher von Die Eiskönigin 2, wird nun nicht so sehr von außen erwirkt, sondern rührt aus dem Gefühl einer inneren Entfremdung her.

Neckisches Herbstlaub

Elsa ist in ihrem Reich Arendelle nicht am richtigen Platz. Sie ahnt, dass es um ihre Gabe noch ein Geheimnis gibt. Den Kontrast zu Anna, der magiebefreiten, unbeschwerten der beiden Schwestern, weitet das Sequel damit ins Strukturelle aus. Der Weg in die Selbstbestimmung führt zurück zu einer Natur, die der Film als paradiesischen Wald imaginiert, in dem allerdings nicht alles rechtens zugeht. Das Herbstlaub tänzelt mit eigenem, neckischem Willen durch den Wald. Flammen nehmen die Form eines winzigen Feuersalamanders an, der alles rosafarben auflodern lässt, so man ihn nicht rechtzeitig befriedet.

Inhaltlich liegt man damit am grünen Puls der Zeit. Einem durch Klimawandel (und dessen Leugner) geplagten Planeten hält der Film eine mythenhafte Welt entgegen, in der eine geisterhaft beseelte Natur Balance einklagt. Das Unbekannte, von dem Elsa anfangs singt, wartet als dunkles Vermächtnis, es erfordert eine aktivere Erinnerungskultur. Auffallend oft ist von Brücken die Rede, die zur Vergangenheit geschlagen werden müssen. Dass diese fragmentarisch als Eisskulpturen greifbar werden, ist übrigens eine der originellen visuellen Ideen des Films.

Kalkuliertes Mischmasch

Doch allzu spezifisch sollen die Anspielungen nicht werden. Wie in James Camerons in puncto Naturmystik ähnlich gelagertem Avatar neigt man zu Allegorien, was den Film am Ende eher esoterisch als engagiert wirken lässt. Die Disney-Logik ist eine der kalkulierten Durchmischung. Ein aus Wellen geformtes Eisross, das gezähmt werden will, sorgt für Schauer. Olaf, der Schneemann, schmilzt die Sache auf der anderen Seite mit komischem Charme zurecht.

Als Sequel, das sich von mancher Märchentradition lossagen will, geht Die Eiskönigin 2 dennoch nicht weit genug. Es würde sich gern als modern verkaufen. Aber dafür, dem Kitsch mit ein bisschen mehr Ruppigkeit zu trotzen, fehlt dann doch der Mut – oder sogar der Wille. (Dominik Kamalzadeh, 20.11.2019)