Seiner Partei traue er einen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in Polen zu, sagte Donald Tusk. Sich selbst nicht: Er verzichtete auf seine Kandidatur in Polen und trat stattdessen für den EVP-Vorsitz an.

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Donald Tusk bleibt in Brüssel. Das stand fest, noch bevor der scheidende EU-Ratspräsident den Vorsitz der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) übernehmen sollte. Die Wahl stand auf dem Parteitag der europäischen Christdemokraten am Mittwoch in Kroatiens Hauptstadt Zagreb auf dem Programm. Rund 50 Parteien aus ganz Europa gehören der mächtigen EVP an, darunter die österreichische ÖVP, die deutsche CDU und CSU sowie auch zwei polnische Parteien: die Bürgerplattform PO, die Tusk einst mitgründete, und die gemäßigte Bauernpartei PSL. Die EVP gab die Zustimmung mit 93 Prozent an. Tusk tritt sein Amt am 1. Dezember an. Am Tag zuvor scheidet er als Ratspräsident aus.

Tusk hat sich die Entscheidung nicht leichtgemacht. Monatelang rang der 62-Jährige mit sich, ob er nach den fünf Jahren in Brüssel in seine Heimat Polen zurückkehren und sich dort in den Präsidentschaftswahlkampf stürzen oder ob er doch in Brüssel bleiben und den EVP-Chefposten übernehmen sollte. Am Ende entschied kühle Vernunft: Der eine Posten galt als sicher, der andere nicht.

Politischer Gestaltungsspielraum

Zudem wird Tusk an der Spitze der EVP, die seit Jahren die größte Fraktion im Europäischen Parlament stellt, wesentlich mehr Macht und politischen Gestaltungsspielraum innerhalb der EU haben denn als Präsident Polens – wo der Wahlsieg keineswegs sicher wäre. Eigentlich zog es ihn in die Heimat. Umfragen zu seinen Wahlchancen hatte er bereits in Auftrag gegeben. Das Ergebnis war eine kalte Dusche. Viel Aussicht auf einen Sieg hätte der ehemalige Ministerpräsident Polens (2007– 2014) demnach nicht. Die jahrelange gezielte Propaganda rechter Parteien gegen ihn hat ihre Spuren hinterlassen.

Viele Polinnen und Polen sehen in Tusk keinen erfolgreichen Politiker. Sie assoziieren ihn eher mit einer bereits vergangenen Epoche des Neoliberalismus. Auf die meisten Stimmen kommt Umfragen zufolge der Amtsinhaber Andrzej Duda, der für 2020 von der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt wird. Anfang November gab Tusk daher seinen Verzicht bekannt. Es brauche einen Kandidaten "ohne Ballast unpopulärer Entscheidungen", sagte er mit Blick auf die von ihm einst als Premier durchgesetzte Erhöhung des Pensionseintrittsalters: "Und ich trage einen solchen Ballast."

Danziger Spuren

Als EVP-Chef wird Tusk Polen erhalten bleiben. Zum einen wird er nun wieder enger mit der PO und der PSL zusammenarbeiten, deren Abgeordnete seit vier Jahren die Oppositionsbank drücken. Zum anderen wird er versuchen, die Tradition der Gewerkschafts- und Freiheitsbewegung Solidar ność von Lech Wałęsa an der Spitze stärker im Bewusstsein der EU-Parlamentarier zu verankern. Tusk ist in dieser Tradition groß geworden. Danzig, die Wiege der Soli dar ność, ist seine Heimatstadt. Hier machte er die ersten politischen Schritte: gründete einen Studentenverein, der gegen das kom munistische Regime rebellierte; schrieb als Historiker und Journalist für Untergrundzeitschriften; bekam Berufsverbot und musste als Fensterputzer sein Geld verdienen. Jahre später, nach der von der Solidarność erkämpften Freiheit und Unabhängigkeit Polens, initiierte er das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig.

Es sollte die Geschichte des Krieges aus der Perspektive aller Opfer, über das nationale Narrativ hinaus, erzählen. Die PiS-Partei versuchte umgehend, der Einrichtung den eigenen Helden- und Opfer-Kult überzustülpen und sie zu einem polnischen Museum zu machen. Wenn es aber auf europäischer Ebene Wege geben sollte, das weltweit einmalige Museum zu retten, wird Tusk sie finden. (Gabriele Lesser aus Warschau, 20.11.2019)