Die Frage, ob Youtube Einfluss auf Inhalte nimmt und daher für diese verantwortlich ist, hat der OGH dem EuGH vorgelegt. Im Fall Glawischnig hat der EU-Gerichtshof zuletzt gegen Facebook entschieden.

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Mit der E-Commerce-Richtlinie wurde auf EU-Ebene im Jahr 2000 eine weitgehende Haftungsfreistellung für Intermediäre im Internet etabliert: Hostprovider sind demnach zivilrechtlich nur dann für Rechtsverletzungen auf ihren Plattformen haftbar, wenn sie davon oder von Umständen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit ergibt, aktive Kenntnis hatten und dennoch nicht unverzüglich gehandelt haben.

Eine proaktive Suchpflicht nach Verstößen bestand ausdrücklich nicht. Hintergrund der weitreichenden Haftungsfreistellungen war der ausdrückliche gesetzgeberische Wunsch, im E-Commerce den Anschluss an die damals führenden USA nicht zu verlieren.

Über die Jahre ist die Sonderstellung von Hostprovidern zunehmend erodiert. So hat sich auch mit Billigung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) etabliert, dass die Haftungsbeschränkungen etwaige Unterlassungsansprüche nicht verhindern.

Dazu kamen Entscheidungen, wonach Plattformbetreiber zukünftig gleiche Rechtsverletzungen proaktiv verhindern müssen. Damit ging für Plattformbetreiber die Pflicht einher, nach Kenntnis einer konkreten Rechtsverletzung wie beispielsweise dem Verkauf gefälschter Rolex-Produkte einen weiteren Vertrieb von Fake-Uhren zu unterbinden.

In zwei neuen Fällen – einer davon mit Ausgangspunkt Österreich – wird nun aber weiter an der Privilegierung von Hostprovidern gerüttelt: Jahrelang galt als Dogma, dass Youtube & Co als Hostprovider von der oben dargelegten Haftungsbefreiung profitieren. Nunmehr gibt es aber zwei Fälle beim EuGH, die diese rechtliche Qualifikation von Plattformen hinterfragen.

Im österreichischen Anlassfall wurde hinterfragt, ob Youtube aufgrund seiner Tätigkeiten rund um die von Usern hochgeladenen Inhalte überhaupt noch als Hostprovider zu qualifizieren ist. Ist das nicht der Fall, greift das Haftungsprivileg nicht und wäre die Plattform unmittelbar für die Rechtsverletzungen Dritter verantwortlich. Sie müsste diesfalls mit Filtern proaktiv etwaige Verstöße zur Vermeidung der eigenen Haftung verhindern.

Fragliches Haftungsprivileg

Nach dem Handelsgericht Wien habe Youtube aufgrund der vorgenommenen Sortierungen, Filterungen, Verlinkungen der Drittinhalte, Erstellung von Inhaltsverzeichnissen nach Kategorien und dem Vorschlag ähnlicher Inhalte einen Einfluss auf den konsumierten Inhalt.

Zudem würde die Plattform durch ihre Bannerwerbung, aber auch der den Usern eingeräumten Möglichkeit der Kommerzialisierung des von ihnen hochgeladenen Contents wirtschaftlich profitieren. Youtube würde dadurch seine neutrale Rolle verlassen und verliere dadurch das Haftungsprivileg unter dem E-Commerce Gesetz.

Das Oberlandesgericht (OLG) Wien hielt dem entgegen, dass die dargestellten Aktivitäten geradezu typisch für Hostprovider seien. Ohne diese wäre die Plattform nicht nutzerfreundlich. Youtube würde aber keinen aktiven Einfluss auf den Content selbst nehmen und sei diesbezüglich daher sehr wohl weiterhin neutral. Dementsprechend würde das Haftungsprivileg sehr wohl greifen.

Der Oberste Gerichtshof (4 Ob 74/19i) hat in seiner Vorlage der Rechtssache an den EuGH die Rechtsansicht des OLG gestützt. Auch aus seiner Sicht können nur Handlungen, die auf den Content selbst Einfluss nehmen, zu einem Entfall des Haftungsprivilegs führen. Angesichts der europaweit relevanten Grundsatzfrage hat der OGH die Sache schließlich dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt (C-500/19).

Am 26. November wird nun auch eine ähnlich gelagerte deutsche Entscheidung (C-682/18) vor dem EuGH verhandelt: Deutsche erst- und zweitinstanzliche Gerichte hatten Youtube hinsichtlich konkreter Tonaufnahmen zur Unterlassung der öffentlichen Wiedergabe, insbesondere auch zu Zwecken der Werbung, verurteilt.

Weiters sollte die Plattform zur Ermöglichung von Schadenersatzansprüchen die Namen und Adressen der Nutzer, die den Content hochgeladen hatten, preisgeben. Der EuGH soll nach Vorlage des Bundesgerichtshofs nun prüfen, ob eine Wiedergabe im Sinne der InfoSoc-RL vorliegt.

Der BGH nähert sich dem Thema dogmatisch also von einer anderen Seite, zielt aber inhaltlich auch auf die Frage der (Un-)Anwendbarkeit des Haftungsprivilegs nach der E-Commerce-RL ab. Der EuGH wird nun auf Basis beider Vorlagen umfassend klären, in welchem Ausmaß Tätigkeiten des Plattformbetreibers für sein Haftungsprivileg schädlich sind.

Glawischnig gegen Facebook

Unabhängig vom Ergebnis der Vorabentscheidungsverfahren hat sich die Situation der Plattformbetreiber jüngst weiter verschärft: In der Rechtssache C-18/18 hat der EuGH in einer weiteren Entscheidung mit Österreich-Bezug Facebook dazu verpflichtet, nicht nur identische, sondern auch sinngleiche, zuvor als rechtswidrig erklärte Äußerungen zu unterbinden.

Ausgangspunkt war eine Klage der ehemaligen Grünen-Politikerin Eva Glawischnig gegen die Plattform wegen beleidigender Äußerungen. Sie wollte verhindern, dass bereits als rechtswidrig erkannte Postings so oder ähnlich wieder aufscheinen – ohne jeweils vorher abmahnen zu müssen. Der EuGH gab dem Begehren recht, schränkt aber ein: Der Hostprovider sei nicht verpflichtet, autonome Beurteilungen vorzunehmen. Er könne auf automatisierte Techniken und Mittel zur Nachforschung zurückgreifen.

In der Praxis stellt sich daher die Frage, wie weit diese ausgedehnte Prüf- und Löschpflicht tatsächlich geht. So ist gerade eine semantische Suche unausgereift und fehleranfällig. Die Entscheidung legt aber dennoch zumindest den Grundstein einer weitergehenden, auch proaktiven Prüfpflicht. Es wird deutlich, dass unabhängig von der Urheberrechtsrichtlinie und der damit entbrannten Diskussion über Upload-Filter Plattformbetreibern zunehmend ein eisiger Wind ins Gesicht bläst.

Angesichts der Tatsache, dass sich die globale Konkurrenzsituation mit dem erstarkten China für Europa nicht verbessert hat und die E-Commerce-Richtlinie durch die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte rein faktisch untergraben ist, ist die politisch schon angestoßene Novellierung dieser Mutter der Internetregelung dringend geboten. Entgegen dem Trend der Einzelfallentscheidungen und Sektorenregulierungen wäre dabei wieder ein grundsätzlicher Regelungsansatz für E-Commerce-Aktivitäten wünschenswert. (Axel Anderl, 21.11.2019)