Auf Social-Media-Kanälen geht es im Moment hoch her, wenn ein Diskussionspanel nur aus Männern besteht. Die Reaktionen der Veranstaltenden entsprechen meist der Phrase in der Überschrift. Zuletzt habe ich die Nachricht erhalten, dass sich das Male-Only-Panel "leider so ergeben hat". Man würde sich aber über Hinweise, wo mehr Frauen mit der erforderlichen Expertise zu finden seien, freuen. Denkt man die Geschichte aus einer Business-Perspektive, muss man unwillkürlich lachen: Eine Managerin oder ein Manager würde wohl kaum argumentieren, dass es sich "leider so ergeben hat", dass anstatt des als Ziel gesetzten Marktanteils von 50 Prozent nur null erreicht wurden.

Wenn Unternehmen also argumentieren, dass sie – für ein Podium oder auch für Führungspositionen – keine Frauen finden und schon alles versucht haben, stelle ich folgende Fragen:

Habt ihr schon:

1. Gender strategisch verankert? Als Business-Ziel?

Antwort: Irgendwo gibt es dazu etwas, wahrscheinlich im Leitbild. Hat nicht die Gender-Beauftragte letztens so ein Dokument ausgeschickt, wie wir das machen wollen? Ja, eh: irgendwo, irgendwie, irgendwas. Über Gender geredet wird vorwiegend, "wenn die Gleichstellungsbeauftragte den Gender-Bericht präsentiert", "im Zusammenhang mit Gehaltsverhandlungen" oder wenn einzelne Mitarbeiterinnen "mit Gender-Themen kommen".

Die Richtung, das Ziel, die Vision – das sind immer noch die wichtigsten Instrumente, um ein Unternehmen zu steuern. Beim Thema Gender wird gerne auf diese strategische Ausrichtung vergessen.

Business-Ziele lassen sich nicht ignorieren. Sie werden herkömmlich von einem Management-Board oder einem sonstigen Gremium von Entscheidungstragenden definiert und dann in die Teams getragen. Das strategische Verankern von Gender – die bewusste Zielsetzung ein Unternehmen zu sein, das Frauen und Männern die gleichen Teilhabechancen in Bezug auf Status (=Führungspositionen), Macht (=Entscheidungen), und Einkommen (=Gehalt) ermöglicht – ist somit der erste Schritt, um mehr Frauen in ein Unternehmen zu holen. 

Keine Frau im Vorstand? Oft kommt die Ausrede, dass eh alles versucht wurde.
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2. KPIs entwickelt?

KPIs – Key Performance Indicators – sind Kennzahlen, die zeigen, ob ich mein Ziel erreicht habe. Und, frage ich also Unternehmen, die "schon alles versucht haben": Welche Diversitäts- und Gender-Kennzahlen erfasst ihr und wie haben sich diese in den letzten Jahren entwickelt? Mitarbeiteranzahl ist eine Antwort, männlich versus weiblich, Prozentsatz der weiblichen Führungskräfte eine andere, weil das eine Zahl ist, die meist sehr niedrig ist. Auch Gehaltsvergleiche werden manchmal durchgeführt, wenig Konkretes gibt es, wenn ich nach der geschlechtsspezifischen Zuteilung von Aus- und Fortbildungstagen oder etwa der Genehmigung von Zusatzbudgets frage. Und: Kaum ein Unternehmen erfasst, wie die Zusammensetzung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jenseits der binären Unterteilung in Männer und Frauen aussieht – intergeschlechtliche oder non-binary Personen werden also nicht berücksichtigt.

Ein differenziertes KPI-Modell beinhaltet nicht nur die Verteilung von Frauen und Männern in unterschiedlichen Positionen, deren Bezahlung und Arbeitsausmaß, sondern auch die Anzahl von Frauen und Männern bei Bewerbungen, in der Vor- und Endauswahl sowie die geschlechtsspezifische Verteilung von Weiterbildung und Prämien. Ziel ist es in jedem Fall immer, die Ausgangssituation gut zu analysieren und konkrete Soll-Zahlen zu definieren, um Ungleichheiten auf struktureller Ebene auszuräumen.

3. Prozesse auf einen Gender-Bias hin analysiert und verändert?

Die Antwort auf die Frage nach der gender-sensiblen Gestaltung von Prozessen ist im besten Fall: Ja, sicher. Im Recruiting haben wir in den Stellenausschreibungen jetzt bewusst darauf geachtet, Wörter und Bilder einzufügen, die Frauen "auch ansprechen".

Die dahinterliegende Idee ist, dass jede Frau bestimmte Positionen und Karrierewege "wählt" und andere bewusst ausschließt. Unternehmen glauben also immer noch, dass sich in der Bewerbung für einen Job "freie Entscheidungen" abbilden. Dabei übersehen sie die strukturelle Diskriminierung, respektive wem bestimmte Positionen zugestanden werden und wer auf welche Weise gefördert wird, um überhaupt dorthin zu gelangen. Da Männer und Frauen aktuell in spezifischen Positionen oder Fachgebieten tätig sind und es innerhalb dieser Fachgebiete zu einem Ungleichgewicht hinsichtlich Einkommen, Status und Macht kommt, entsteht die Eigen- und Fremdwahrnehmung, sie "können" genau das besonders gut. Diese "biased self-assessments" führen dazu, dass Frauen weniger zugetraut wird, sie sich aber auch selbst weniger zutrauen.

Um Gender-Equality zu erreichen, ist der Blick auf den Gesamtprozess unabdingbar: Wer wird überhaupt für eine Position in Erwägung gezogen? Welche Bilder eines idealen Mitarbeitenden stecken dahinter? Und wer wird von wem für eine Stelle vorgeschlagen? Wie sehen Suche und Auswahl konkret aus? Welche Beurteilungskriterien stecken dahinter und wurden diese auf potentielle Diskriminierungsaspekte hin analysiert? Wer sind die involvierten Entscheidungsträgerinnen und -träger bei der Personalauswahl? Und: Ist diesen Personen die prozesshafte Verankerung von Gender bewusst? Welche Maßnahmen wurden gesetzt, um einen Gender-Bias zu eliminieren? Wie wurden Führungskräfte im Hinblick auf ihre Entscheidung unterstützt?

Harte Arbeit

Beim Thema Gender geht es um gleiche Teilhabechancen. Es geht darum, Prozesse und Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass grundsätzlich alle Menschen die gleichen Chancen haben, ihr Potential auszuschöpfen und in entscheidungsrelevante Positionen zu gelangen, denselben Lohn dafür zu erhalten und gleichzeitig Verantwortung für Kinder und andere Menschen übernehmen zu können.

Um wirklich etwas zu verändern, muss Gender-Equality wie ein Business-Ziel behandelt werden: Strategien definieren, Kennzahlen festlegen, Bestandsaufnahme machen, Prozesse redesignen. Denn: Gender-Equality kommt nicht über Nacht. Es ist harte Arbeit. (Marita Haas, 27.11.2019)

Marita Haas ist Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt Gender Consulting. Neben zahlreichen Positionen in der Wirtschaft forschte die promovierte Wirtschafts-wissenschafterin 2013 bis 2017 zu weiblichen Karriereverläufen an der TU Wien. Sie setzt sich kritisch mit herkömmlichen Women-Only-Formaten auseinander und berät Organisationen zum Thema Sexismusvermeidung sowie zum Aufbau von gender-sensiblen Prozessen und Strukturen.

Anmerkung: In der unbearbeiteten Fassung hat die Autorin das Gender* verwendet um auch jene Menschen sichtbar zu machen, die sich nicht einem Geschlecht zuordnen oder zugeordnet werden wollen. Diese Schreibweise wurde zugunsten einer leichteren Lesbarkeit von der Redaktion abgeändert. 

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