Sebastian Kurz steht für "Wettbewerbsfähigkeit" und "Kampf gegen illegale Migration". Und neuerdings auch für den "respektvollen Umgang mit der Schöpfung" – also für Grün.
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Sebastian Kurz ließ den Chef warten: Fünf Minuten zu spät tauchte er beim Tête-à-Tête mit dem scheidenden EU-Ratspräsidenten Donald Tusk auf, den die Europäische Volkspartei (EVP) soeben zum neuen Frontmann erkoren hat. Zu viele Delegierte im Saal baten den vorbeieilenden Österreicher um ein Selfie – man kennt das.

Im Backstagebereich der in schummriges Blaulicht getauchten Halle bleibt Kurz ein begehrtes Motiv – diesmal der professionellen Fotografen. Abgesehen vom Treffen mit Tusk absolviert er auch Vieraugengespräche mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, der designierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dem Brexit-Chefverhandler Michel Barnier und Manfred Weber, EVP-Fraktionsführer im Europaparlament. Kein selbstverständliches Programm für den Parteichef aus einem kleinen Land.

Erfolg zieht eben an: Strahlende Wahlsieger sind in der einst so dominanten christdemokratischen Parteienfamilie, die sich in Zagreb zur Wahl ihres neuen Vorsitzenden getroffen hat, selten geworden. Mit ihren 37 Prozent ist die ÖVP nach dem ungarischen Fidesz und der griechischen Nea Dimokratia drittstärkste Kraft in der EVP, wobei die Ungarn nach ihrer Suspendierung wegen autokratischer Umtriebe nicht gerade zum Vorbild taugen.

Nimbus des Rolemodels

Kurz beschert aber auch noch ein anderer Umstand den Nimbus des Rolemodels: Der Versuch, mit den Grünen eine Koalition zu schmieden, löst hier Faszination aus. Daran ändert auch die ironische Ermahnung des scheidenden EVP-Präsidenten Joseph Daul nichts: "Sebastian, werde nicht allzu grün!"

Ein ORF-Beitrag über das EVP-Treffen.
ORF

Das gilt gerade für Deutschland, wo CDU und CSU in ungeliebter Koalition mit den Sozialdemokraten stecken. "Ich freue mich, dass Sebastian diesen attraktiven Ansatz versucht", sagt Manfred Weber, CSU-Vizechef und starker Mann in der EVP. Schwarz-Grün sei zwar keine "Liebesheirat", in die man blauäugig hingehen solle, sagt er zum STANDARD, doch allemal "das Zukunftsmodell, um Spaltungen in der Gesellschaft" zu überbrücken: In dieser Konstellation könnten Gegensätze – Autoverkehr und umweltschonende Mobilität, Landwirtschaft und Tierschutz – miteinander versöhnt werden.

.Jene Kraft, die für einen ganz anderen Brückenschlag – und zwar mit Rechtspopulisten – steht, spielt beim auf Harmonie getrimmten Gipfel keine Rolle: Viktor Orbáns Fidesz bleibt suspendiert, der Bericht des Weisenrats für den weiteren Umgang soll erst im Frühjahr vorliegen. Orbán habe zwar seine Anti-EU-Kampagne gestoppt und sich auch dafür entschuldigt, nicht aber die dritte Bedingung erfüllt, befindet Weber: Im Streit um die Central European University vermisse er das Einlenken.

Den Klimaschutz entdeckt

Apropos ausgeblendet: Auf die Affäre um die Casinos Austria angesprochen, beschränkt sich Kurz auf den Hinweis, am Freitag vor einer Woche bereits alles gesagt zu haben. Damals sprach er von einer "Systematik": Erst gebe es eine anonyme Anzeige, dann würden sich die Behauptungen "in Luft auflösen".

Der alte EVP-Präsident Joseph Daul (li.) und sein Nachfolger Donald Tusk. Daul empfahl Kurz: "Sebastian, werde nicht allzu grün!"
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Unhinterfragt zu Wort kommt Kurz aber auch: Bei seiner Rede erhebt er neben "Wettbewerbsfähigkeit" und "Kampf gegen illegale Migration" den "respektvollen Umgang mit der Schöpfung" zur dritten großen Herausforderung. Analog dazu beschließt die EVP eine Klimaschutzresolution, die nicht zu verschrecken versucht. Schlüsselsatz: "Die Konsumenten und der Markt werden bestimmen, welche Lösungen machbar sind."

Ist Schwarz-Grün die logische Konsequenz des Öko-Hypes? Abgesehen vom Hindernis, dass die Grünen in Süd- und Osteuropa keine große Rolle spielen, sind auch nicht alle EVPler so enthusiastisch wie Weber: Zu groß sei die Diskrepanz zu den Grünen mit ihren "partiell utopischen" Ideen und dem ewigen Ruf nach Verboten, sagt Florian Hahn, Bundestagsmandatar und stellvertretender CSU-Generalsekretär. Er habe keine Koalitionspräferenz: "Für mich ist Schwarz-Grün sicher nicht das Zukunftsmodell." (Gerald John, 21.11.2019)