In einem ungarischen Patentverletzungsverfahren ging Bayer Pharma gegen Mitbewerber vor, weil diese vermeintlich eines ihrer Patente verletzende Produkte vertrieben haben.

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Stellen Sie sich vor, jemand behauptet, Sie greifen mit Ihrem Produkt in ein fremdes Patent ein. Daraufhin erwirkt der Patentinhaber eine einstweilige Verfügung, die Ihnen den Vertrieb Ihres Produkts vorläufig verbietet. Das weitere Verfahren gewinnen Sie jedoch, weil dort herauskommt, dass das Ihnen entgegengehaltene Patent niemals hätte registriert werden sollen, also nichtig ist.

Können Sie außer der persönlichen Genugtuung sowie der Möglichkeit, Ihr Produkt – allenfalls nach jahrelanger Verfahrensführung – ohne Hindernisse vertreiben zu können, auch eine Kompensation für den zwischenzeitlichen Vertriebsausfall verlangen?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich in einer aktuellen Entscheidung (C-688/17 Bayer Pharma) mit dieser Frage befasst. In einem ungarischen Patentverletzungsverfahren ging Bayer Pharma gegen Mitbewerber vor, weil diese vermeintlich eines ihrer Patente verletzende Produkte vertrieben haben.

Das ungarische Gericht erließ einstweilige Verfügungen, die später aufgehoben wurden, weil das Patent für nichtig erklärt wurde. Die Beklagten verlangten daraufhin von Bayer Pharma Ersatz für Schäden, die ihnen dadurch entstanden sein sollen.

Ungerechtfertigter Antrag

Da die Vorschriften zur Durchsetzung von Immaterialgüterrechten in der EU weitgehend durch die EU-Rechtsdurchsetzungsrichtlinie harmonisiert sind und diese einen „angemessenen Ersatz“ für derartige Schäden festschreibt, legte das ungarische Gericht den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor.

In seiner Entscheidung vom 12. September legte der EuGH den Begriff „angemessener Ersatz“ dahingehend aus, dass die Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten nicht automatisch und in jedem Fall verpflichtet sind, Schadenersatz zuzusprechen, wenn eine einstweilige Verfügung später aufgehoben bzw. nicht gerechtfertigt wurde, sondern „nur im Falle eines ungerechtfertigten Antrags“.

Das bedeutet, dass er „missbräuchlich“ gestellt wurde, was offenbar eine Art Verschulden aufseiten desjenigen voraussetzt, der die einstweiligen Maßnahmen beantragt. Andernfalls könnten Rechtsinhaber nämlich von vornherein davon abgeschreckt sein, einstweilige Verfügungen zu beantragen, was jedoch den Zielen der EU-Richtlinie zur einheitlichen und leichten Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte entgegenstehen würde.

Konsequenzen für Österreich

Die Entscheidung wirft in Österreich die Frage auf, ob die in § 394 Exekutionsordnung für solche Fälle bisher vorgesehene strikte verschuldensunabhängige Haftung mit den unionsrechtlichen Vorgaben noch vereinbar ist.

Die in dieser Bestimmung normierte reine Erfolgshaftung knüpft im Kern ausschließlich an die Voraussetzung an, dass eine zunächst erlassene einstweilige Verfügung später aufgehoben oder nicht gerechtfertigt wird. Nach den Ausführungen des EuGH soll dies aber gerade nicht ausreichen, um den Antrag der einstweiligen Verfügung als „ungerechtfertigt“ anzusehen. (Michael Woller, Marie Hornyik, 21.11.2019)