Es ist der neueste "flotte" Spruch, den jüngere Generationen älteren Menschen entgegenwerfen, wenn diese mal wieder den belehrenden Zeigefinger erheben. "Ok, Boomer" wurde von der neuseeländischen Politikerin Chlöe Swarbrick während einer Parlamentsrede verwendet und verbreitete sich – katalysiert vom Internet – in Windeseile international.

Freilich ist es nicht die erste Floskel, die es auf diesem Wege aus dem Netz in unsere Sprache schafft. Die elektronische Vernetzung der Welt wirkt sich in vielerlei Hinsicht auf unsere Kommunikation aus. DER STANDARD hat dazu den Sprachforscher Manfred Glauninger interviewt.

STANDARD: Der aktuell wohl bekannteste Sager, der sich maßgeblich über das Netz verbreitet, ist "OK, Boomer". Sehen Sie eine Chance, dass dieser es in unsere Alltagssprache schaffen könnte – oder ist das eher ein kurzlebiger Hype?

Glauninger: Die Voraussetzung für eine nachhaltige Integration eines solchen Sagers in die Alltagssprache ist oft die Verwendung vonseiten einer prominenten Persönlichkeit aus dem Bereich der Populärkultur beziehungsweise durch eine fiktive Figur aus einem Film oder einer Serie. Das ist bei "Ok, Boomer" – zumindest im deutschsprachigen Raum – noch nicht der Fall, deshalb tippe ich eher nicht auf Nachhaltigkeit beziehungsweise breite alltagssprachliche Verankerung.

Manfred Glauninger ist Soziolinguist. Er forscht am Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, lehrt am Institut für Germanistik der Universität Wien und verwendet gerne Emoticons.
Foto: Sandra Lehecka/CC-BY 4.0

STANDARD: Was sind Ihrer Meinung nach gute Beispiele für Netzjargon, der es in unsere gesprochene deutsche Sprache geschafft hat?

Glauninger: Akronyme wie LOL oder FAQ. Wobei Letzteres – in der geschriebenen Sprache – inzwischen in allen möglichen Textsorten auch abseits des Internets vorkommt. Zu beobachten ist weiters, dass man zunehmend Emoticons und Smileys in die gesprochene Sprache einbaut, indem man zum Beispiel Zwinkersmiley sagt und das zusätzlich mittels Mimik und Gestik verdeutlicht. Auch der Ausdruck Nerd ist alltagssprachlich geworden. Ursprünglich stammt er ja aus der amerikanischen Jugendsprache, wo er die Bedeutung Streber hatte. Er hat dann im Kontext des Internets die Bedeutung Computerfreak bekommen und sich von da aus in der Alltagssprache verbreitet. Auch die Ableitung "(sich in eine Sache) hineinnerden" wird zunehmend allgemein gebräuchlich.

STANDARD: Was sind die Voraussetzungen dafür, dass es solche Wörter und Redewendungen vom Begriff in Messengern, Foren und Memes in die Offline-Kommunikation schaffen? Und welche Voraussetzungen gibt es, damit diese nicht nur in ihrer jeweiligen Subkultur, zum Beispiel viele Abkürzungen und Begriffe aus dem Gaming, kursieren?

Glauninger: Wichtig sind einerseits die schon erwähnten populären Sprachvorbilder. Man denke etwa an die "Vong-Sprache", deren – freilich nicht sehr nachhaltige – Verbreitung beim Gangsta-Rapper Money Boy ihren Ausgang nahm. Andererseits durchdringt das Internet natürlich längst sämtliche beruflichen und privaten Lebensbereiche aller Altersklassen, sodass sich allein dadurch Begriffe und Wendungen über ihre ursprünglichen subkulturellen Bereiche hinaus verbreiten können. Heutzutage ist bis auf eine verschwindend kleine Minderheit die gesamte Bevölkerung online.

Der Geburtsmoment von "OK, Boomer".
Bloomberg TicToc

STANDARD: Die Verbreitung neuer Begriffe endet sehr oft an den Grenzen ihres ursprünglichen Sprachraums. Verhält sich das bei Netzjargon anders? Ist er internationaler?

Glauninger: In diesem Zusammenhang zeigt sich generell eine interessante Ambivalenz im Internet: Einerseits ermöglicht es praktisch grenzenlose internationale Kommunikation, andererseits führt das offenbar auch zu einer neuen Sehnsucht nach dem Überschaubaren, Regionalen. Es wird im Netz sehr viel innerhalb spezifischer "Blasen" kommuniziert. Sprachlich passt dazu, dass auch regionale Sprachformen, also Dialekte und Umgangssprachen, im Internet sehr präsent sind. Dennoch ist zu sagen: Das Englische, das schon vor dem Internet die erfolgreichste und meistverwendete Sprache der Geschichte gewesen ist, hat durch das Netz noch zusätzlich an Bedeutung und Verbreitung gewonnen. Der ursprüngliche Netzjargon ist per se Englisch und in diesem Sinn international. Nationale oder regionale Ausprägungen basieren meist auf entsprechenden Übernahmen aus dem Englischen. Das zeigt sich auch daran, dass englische Begriffe formal "eingedeutscht" werden, etwa downloaden oder googeln.

STANDARD: Gibt es, wenn es um das Aufgreifen von Netzjargon geht, signifikante Altersunterschiede? Ist er eher bei jüngeren Generationen gebräuchlich?

Glauninger: Heutzutage ist selbst die Generation 60 plus regelmäßig online, nicht zuletzt, um zu shoppen, mit weit entfernt lebenden Enkeln zu kommunizieren oder auf Partnersuche zu gehen. Der Netzjargon wird aber – so wie die Jugendsprache – von älteren Menschen weniger positiv und eher als Sprachverfall wahrgenommen. "Non digital natives" oder "silver surfer" achten im Vergleich zu "digital natives" auch eher auf eine möglichst korrekte Orthografie, wenn sie E-Mails schreiben oder auf Whatsapp chatten.

STANDARD: Hat das Internet Ihrer Meinung nach die Veränderung unserer Sprache beschleunigt?

Glauninger: Das Internet ist die gewaltigste qualitative und quantitative Potenzierung der Kommunikation seit dem Buchdruck. Man kann heute innerhalb von Sekundenbruchteilen hunderte Millionen, wenn nicht sogar Milliarden von Menschen erreichen. Dazu kommen die Multimodalität und Multimedialität der Kommunikation im Internet. Das heißt, Sprache im Netz ist fast immer eingebettet in zugleich ablaufenden visuellen und auditiven Codes. Ein weiterer Aspekt ist, dass es noch nie eine Generation von jungen Menschen gegeben hat, die so viel lesen und vor allem auch schreiben wie die heutigen Jugendlichen. Mittels Internet am Smartphone lesen und schreiben die jungen Leute praktisch nonstop. Sie schreiben schon fast mehr, als sie sprechen. Von wegen: "Die jungen Leute lesen nicht mehr" – das ist ein typisch kulturpessimistisches Missverständnis. Alles das wird Auswirkungen auf die Dynamik und den Wandel der Sprache haben. Welche genau, werden wir in ein, zwei Generationen genauer sehen. Noch eine Anmerkung zum vielen Lesen und Schreiben im Internet: Das dürfte nur eine Übergangsphase sein. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, und wir werden unsere Computer und Smartphones mittels gesprochener Sprache steuern.

"OK, Boomer" wird in unserem Sprachraum wohl keine nachhaltige Verbreitung finden.
Foto: Chloe Swarbrick / Beschriftung: STANDARD

STANDARD: Sehen Sie den Einfluss des Internets als Bereicherung für die deutsche Sprache, oder verliert sie dadurch auch an prägenden Merkmalen? Oder trifft beides zu?

Glauninger: Was als "Bereicherung" oder "Verfall" wahrgenommen wird, ist eine Frage des Standpunkts beziehungsweise der Ideologie. Fakt ist: Sprache wandelt sich per se ununterbrochen. Wenn sich eine Sprache nicht mehr verändert, ist sie "tot". Gerade die deutsche Sprache ist seit ihrer Entstehung permanent massiv durch den Kontakt mit anderen Sprachen geprägt – zum Beispiel Latein, Französisch und dann eben Englisch –, und das hat ihr gutgetan. Viele heute als typisch "deutsch" angesehenen Wörter stammen ursprünglich aus fremden Sprachen. Der Netzjargon ist nur eine der vielen Facetten der deutschen Sprache – wenn auch eine im gesamtgesellschaftlichen Diskurs auffällige, weil relativ neue Entwicklung. Ich persönlich empfinde sprachliche Innovationen immer als etwas eher Positives.

STANDARD: Haben Sie einen Lieblingsbegriff aus dem Netzjargon?

Glauninger: Ich verwende gern Leetspeak-Formen wie "4u" oder "cu". Das hat wohl ursprünglich auch damit zu tun, dass ich die Band U2 mag. Und ich verwende sehr häufig Emoticons und Smileys, selbst wenn ich mit dem Stift auf Papier schreibe. (Georg Pichler, 2.12.2019)