Wo die Arbeit von Biobauern endet, beginnt die von Jan Niessen. Der Deutsche war als Marketingleiter beim Bioanbauverband Bioland. Er kümmerte sich darum, Biolebensmittel in die Supermärkte und Discounter zu bringen. Seit letztem Jahr beschäftigt er sich wissenschaftlich mit der Biobranche. Im aktuellen Edition Zukunft-Podcast spricht er ausführlich über raue Töne zwischen Bauern und Handel, darüber, wie Digitalisierung und ökologische Landwirtschaft zusammenpassen, und warum man nur schwer auswärts biologisch essen kann. Das vollständige Gespräch hören Sie unter hier, bei Spotify, Google Podcasts oder Apple Podcasts.

STANDARD: In Österreich werden auf 25 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen Biolebensmittel angebaut. In Deutschland sind es rund zehn Prozent. Wieso?

Niessen: Österreich ist viel kleiner strukturiert und landschaftlich vielfältiger. Wegen der Berge und Hanglagen ist es geografisch gar nicht möglich, die Landwirtschaft so stark zu industrialisieren. Außerdem ist Österreich ja relativ spät der EU beigetreten. Danach hat man die heimische, kleinstrukturierte Landwirtschaft sehr klug gefördert – auch um die Überproduktion zu drosseln. Zum anderen sind die Handelsunternehmen sehr früh, vor 25 Jahren, in Bio eingestiegen, haben eigene Marken aufgebaut. Da wird auch heute noch viel ausprobiert.

STANDARD: Außer den Linien der Supermärkte gibt es in Österreich kaum Biomarken. Konzentriert das nicht sehr viel Macht bei den Ketten?

Niessen: Stimmt, die Vielfalt an Marken und die Unabhängigkeit nimmt dadurch ab. Trotzdem können Sie hier österreichische Hirse, Kiwis und sogar Ingwer kaufen. In Deutschland hat die Biobranche lange eher im Naturkosthandel verkauft. Das hat dazu geführt, dass sich Bio nicht so stark durchgesetzt hat wie in Österreich. Die Oligopole im Lebensmittelhandel sind allgemein ein Problem, in der EU wurde das in den letzten Jahrzehnten einfach zugelassen.

"Bio heißt nicht per se, dass mein CO2-Fußabdruck ein anderer ist", sagt Jan Niessen.
Foto: Sonja Herpich

STANDARD: Bei Milch liegt der Bioanteil in Österreich bei 25 Prozent, bei Fleisch und Wurst unter fünf. Warum?

Niessen: Zum einen, weil bestimmte Produkte wie Milch nicht sehr viel teurer sind in der Produktion als konventionelle. Bio-Eier dagegen sind deutlich teurer als konventionelle. Aber wenn ich für eine Zehnerpackung Bio-Eier statt zwei Euro vier zahle, tut das selbst mit kleinem Budget nicht wirklich weh. Und die Hühner scheinen deutlich glücklicher. Anders sieht es beim Schweinefleisch aus, das das Drei- bis Fünffache kosten kann. Oft konnten sich die Wertschöpfungsketten nicht etablieren. Und es gibt sogenannte Eckartikel, bei denen den Menschen Bio wichtig ist: Eier, Milch, auch Gemüse und Obst wie Äpfel oder Bananen.

STANDARD: Stichwort Bananen: Wie nachhaltig ist Bio vom anderen Ende der Welt?

Niessen: Kunden erwarten sich von Bio oft auch andere Qualitäten, vor allem Nachhaltigkeit. Aber Bio heißt nicht per se, dass mein CO2-Fußabdruck ein anderer ist. Ich bin sehr froh, dass ich Bananen essen kann, die noch dazu ohne Spritzmittel und idealerweise auch unter fairen Bedingungen angebaut werden. Bei ägyptischen Kartoffeln bin ich kritischer. Das Wüstenwasser, das man so importiert, kann man vor Ort sicher besser verwenden.

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In der Landwirtschaft sei Kreislaufwirtschaft einfacher umzusetzen als in anderen Branchen, sagt Niessen.
Foto: AP/Esteban Felix

STANDARD: Müsste Bio nicht der Standard sein und es stattdessen Nicht-Bio-Siegel geben?

Niessen: Aus Sicht der Nachhaltigkeit auf jeden Fall. Man müsste die externen Effekte, die ein bestimmtes Wirtschaften verursacht, internalisieren. Also den Wasserverbrauch, die Auswirkungen auf die Bodenfruchtbarkeit, das Tierwohl und den Boden bepreisen. Wir haben die natürlichen Ressourcen in den letzten Jahrzehnten extrem ausgebeutet, jetzt werden sie knapp. Sie müssen einen Preis bekommen, damit der Markt das über Knappheits-und Preissignale regulieren kann. Dann könnten Bioprodukte in einigen Bereichen billiger werden als konventionelle, und den Siegel-Schnickschnack könnten wir uns sparen. Als Konsument könnte ich dann sagen: Dieses Produkt ist günstiger, und deshalb kaufe ich es. Über die Natur und Ressourcen brauche ich mir dann keine Gedanken zu machen, weil die sind ja eingepreist. Mit True-Cost-Accounting oder "Richtig rechnen" gibt es bereits konkrete Ansätze. In der Biolandwirtschaft geschaffene Werte wie Biodiversität, Humusaufbau oder Ausbildung können bis in die Buchführung hinein bewertet und eingepreist werden.

STANDARD: Aber kann Bio die Welt ernähren?

Niessen: Das ist eine sehr umstrittene Frage. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau sagt Ja – wenn wir unsere Konsummuster ändern. Also weniger Fleisch essen, weniger Essen wegwerfen. Aber das müssen wir sowieso, egal ob bio oder konventionell. In allen Branchen! In der Landwirtschaft geht das sogar noch einfacher, da ist Kreislaufwirtschaft schon verbreitet. Und Digitalisierung kann zu mehr Nachhaltigkeit beitragen.

STANDARD: Inwiefern?

Niessen: Roboter können heute schon sehr präzise arbeiten und viel energieeffizienter als massige Traktoren. Es ist zwar kein sehr romantisches Bild von biologischer Landwirtschaft. Aber wer schon einmal einen Monat auf dem Acker herumgekrochen ist, wird es okay finden, wenn in Zukunft vielleicht ein solarbetriebener Roboter über das Feld fährt und mit einem Laser das Unkraut abschießt. (Philip Pramer, 22.11.2019)