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Die britische Monarchie in der Krise: Nach tagelangem Dauerfeuer der Medien und zunehmender Ungeduld der wahlkämpfenden Spitzenpolitiker hat das Königshaus den umstrittenen Prinzen Andrew aus der Öffentlichkeit verbannt. Der 59-jährige Lieblingssohn der Queen werde alle seine Funktionen "auf absehbare Zeit" ruhen lassen, hieß es am Mittwochabend.

Der Herzog von York steht seit vielen Jahren wegen seiner Freundschaft zu Multimillionär Jeffrey Epstein in der Kritik, der wegen sexueller Ausbeutung Minderjähriger angeklagt war. Laut Staatsanwaltschaft hatte Epstein mit seiner damaligen Freundin Ghislaine Maxwell einen Sexhandelsring betrieben und hunderte Mädchen und junge Frauen ausgebeutet, missbraucht und zur Prostitution angestiftet. Seitdem der New Yorker Finanzjongleur im vergangenen August tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden wurde, tobt in den USA ein Rechtsstreit um Ansprüche gegen den Nachlass des 66-Jährigen, dessen Vermögen zuletzt mehr als eine halbe Milliarde Dollar betragen haben soll.

Immer wieder kam dabei, trotz aller Dementis, auch Andrews Name ins Spiel. Nicht nur hatte sich der Prinz Anfang der 2000er-Jahre immer wieder von Epstein in dessen New Yorker Anwesen einladen und um die Welt fliegen lassen. Ganz konkrete Vorwürfe richtete Virginia Roberts Giuffre, heute Mutter dreier Kinder, gegen ihn: Sie sei "zur Sexsklavin gemacht" und zum Sex mit dem Herzog gezwungen worden, so ihre seit mehreren Jahren verbreiteten, vom Königshaus stets dementierten Vorwürfe.

Interview ohne Mitgefühl

Dem Vernehmen nach bereitet das BBC-Magazin Panorama ein ausführliches Interview mit Giuffre vor. Dadurch gewannen Andrews Verhandlungen mit der BBC-Nachrichtensendung Newsnight an Fahrt. Dass der Herzog aber ausgerechnet zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase der Befragung durch Starmoderatorin Emily Maitlis zustimmte, in dem Interview vage Phrasen verwendete und jedes Mitgefühl mit Epsteins Opfern vermissen ließ, darf zu den schlimmsten Fehlentscheidungen in seinem an Peinlichkeiten reichen Leben gezählt werden.

Die Briten haben beim dritten Kind der Königin lange Jahre ähnlichen Langmut gezeigt wie später bei seinem Neffen Prinz Harry. Die beiden Männer teilen das Schicksal des "Zusatzes" zum männlichen Erben, der bis 2011 in der Königshausnachfolge vorgeschrieben war. Bei seiner Geburt 1960 stand Andrew auf Platz zwei der Thronfolge, mittlerweile ist er auf Nummer acht abgerutscht.

Admiral und Frauenheld

Wie Harry diente auch Andrew jahrelang in den Streitkräften, in seinem Fall bei der Royal Navy, deren Konteradmiral er ehrenhalber ist. Unvergessen bleibt der Einsatz des Frauenhelden (Spitzname: "Randy Andy", der geile Andy) als Hubschrauberpilot im Falkland-Krieg 1982.

Seine Ehe mit Sarah Ferguson ging rasch in die Brüche, immer wieder mussten Downing Street und Buckingham Palace das Lieblingskind der Queen verteidigen. Urlaubfotos mit barbusigen Schönheiten, Helikopterflüge zum Golfen, auf offiziellen Auslandsreisen eine üppige Begleitgruppe von Dienern – solche Peinlichkeiten wurden zu Beginn des Jahrhunderts gern weggewischt, weil der "offizielle Handelsbeauftragte" eine wichtige Funktion als königlicher Türöffner für britische Exporteure wahrnahm.

Als solcher agierte Andrew beispielsweise in Kasachstan, das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion lang vom korrupten Clan des Diktators Nursultan Nasarbajew regiert wurde. Mit dessen Schwiegersohn Timur Kulibajew fädelte der Prinz einen lukrativen Privatdeal ein: Andrews Anwesen am Rande von Windsor Park ging 2007 für viele Millionen in Kulibajews Besitz über. Der Deal sorgte auf dem überhitzten britischen Immobilienmarktfür Aufsehen, weil der Preis um mehrere Millionen über der ursprünglichen Forderung lag. Anschließend stand es jahrelang leer.

Firmen wandten sich ab

Seit seinem Rückzug von der Rolle als Handelsbeauftragter 2011, schon damals im Schatten der Epstein-Vorwürfe, absolvierte Andrew vor allem karitative Einsätzen. In den vergangenen Tagen wandten sich allerdings Unternehmen wie Firmenberater KPMG, Kommunikationsriese BT und die Investmentbank Standard Chartered von den Organisationen des Prinzen ab; mehrere australische Unis kappten die Verbindung zu ihm.

Zudem geriet die Kontroverse in den Wahlkampf. Wie die Monarchie dastehe, wollte die Moderatorin des TV-Duells der Spitzenkandidaten der Tories und der Labour Party am Dienstag wissen. "Könnte besser sein", erwiderte Labour-Chef Jeremy Corbyn unter Beifall des Publikums. Premier Boris Johnsons loyale Einschätzung einer "tadellosen Institution" traf hingegen auf eisiges Schweigen. Die Szene soll im Palast für helle Aufregung gesorgt haben. Aus dem Umfeld des Buckingham Palace heißt es, vor allem Andrews älterer Bruder, Thronfolger Prinz Charles, habe auf eine Frontbegradigung gedrängt.

Die tags darauf vollzogene Demütigung des Herzogs – ein historischer Schritt für eine normalerweise loyale Institution – wurde dadurch verschleiert, dass die Erklärung in seinem Namen abgefasst war. Er selbst habe Königin Elisabeth II. um den Schritt gebeten, die 93-jährige Monarchin habe zugestimmt. Anders als in seinem BBC-Interview vom vergangenen Samstag teilte der Prinz diesmal eindeutig sein Mitgefühl mit den Opfern des verurteilten Sexualtäters und Multimillionärs Jeffrey Epstein mit. Er stehe, "falls notwendig", für Auskünfte an die beteiligten Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung, ließ der Prinz wissen.

"Niemand steht über Gesetz"

Die Anwältin mehrerer mutmaßlicher Opfer im Fall Epstein, Lisa Bloom, will Prinz Andrew zu dessen Verbindungen zu dem verstorbenen Millionär befragen. "Wir denken, dass niemand über dem Gesetz steht", sagte Lisa Bloom, die fünf mutmaßliche Epstein-Opfer vertritt, am Donnerstag dem Sender BBC Radio 4. Jeder, der sachdienliche Hinweise zum Fall des wegen vielfachen Missbrauchs von Minderjährigen und Sexhandels verdächtigen Epstein machen könne, müsse befragt werden – und Prinz Andrew "hat ganz klar sachdienliche Informationen". Deshalb solle er auch von Opfer-Anwälten befragt werden. Bloom forderte Andrews Mitarbeiter auf, "Informationen und Beweismittel" wie E-Mails, Telefonlisten, Kalender und Reiseunterlagen auszuhändigen. (Sebastian Borger aus London, 21.11.2019)