Sieht so ein Architekturbüro aus? Eine fünfzehnjährige Cosplayerin druckt sich Teile eines Game of Thrones-Kostüms aus. Jemand schneidet per Laser Muster aus einem Perserteppich, bis er aussieht wie Brüsseler Spitze. Ein Nachbar kommt vorbei und baut sich ein neues Regal. Der FabPub im Londoner Stadtteil Hackney ist eine lustige Mischung aus Roboterlabor, Werkstatt und Volkshochschule.

Und ja, er ist Teil eines Architekturbüros, nämlich des Büros von Arthur Mamou-Mani. "Ich finde es großartig, wenn ich morgens zur Arbeit komme, und irgendjemand stellt gerade etwas her", erzählt der 36-jährige Franzose, der seit 2003 in London lebt und vorige Woche zu einem Vortrag in Wien gastierte. "Wir haben heute die Verbindung zur physischen Welt verloren. Hier lernt man wieder, den Wert der Dinge zu schätzen."

Arthur Mamou-Mani in seiner Londoner Werkstatt FabPub.
Foto: David Azia

Robotik, 3D-Druck und offene Türen

Für ihn ist das Nebeneinander von Arbeit und Werkstatt das ideale Architekturbüro des 21. Jahrhunderts. "Als ich vor acht Jahren FabPub gründete, war es mehr ein Nebenprojekt. Viele ermahnten mich, ich solle jetzt bald mal anfangen, richtige Architektur zu machen und Projekte zu akquirieren." Tat er aber nicht. Denn was richtige Architektur ist, bestimmt man immer noch selbst.

Mamou-Mani, der einige Jahre im Büro von Zaha Hadid arbeitete, wusste vor allem, was er nicht wollte. Nicht Tische voller Computerbildschirme hinter geschlossenen Türen, sondern Robotik, 3D-Druck und offene Türen. Man kann es als konstruktiven Versuch sehen, die Deutungshoheit über das digitale Entwerfen seinem früheren Arbeitgeber zu entreißen.

"Beton ist natürlich verführerisch"

Denn die von Hadids notorisch egomanem Büropartner Patrik Schumacher propagierte parametrische Architektur litt schon immer an einem offensichtlichen Widerspruch: Sie lehnt sich mit großer Geste an Formen der Natur an und suggeriert fluide Veränderbarkeit, doch am Ende werden diese Formen mit enormem Material- und Kostenaufwand in Stahl und Beton gegossen, erstarrt in Ewigkeit. Mamou-Mani will dem eine andere Art parametrischen Denkens entgegensetzen. Eine, die sich tatsächlich an natürlichen Prozessen orientiert.

"Mich interessiert eine nichtpermanente Architektur," betont er. "Eine, die wieder verschwinden kann, auch wenn das natürlich eine Bedrohung für das Ego des Architekten ist. Es kann auch schön sein, die Kontrolle abzugeben." Sagt er und lächelt jungenhaft, als hätte er nicht soeben das Geschäftsmodell seiner Ex-Chefs für null und nichtig erklärt. "Beton ist natürlich verführerisch, weil man ihn skulptural formen kann", fügt er noch, wie nebenbei, hinzu. "Aber das Zeitalter des Betons geht definitiv zu Ende."

Kein Tech-Bro

Mamou-Mani ist keineswegs der Einzige, der sich die Frage stellt, wie sich Architektur im digitalen Zeitalter verändert. Das vernetzte Building-Information-Modelling (BIM) ist bereits auf dem Vormarsch, was Architekten entweder mit Begeisterung oder mit Angst quittieren. Und der Hype um 3D-Drucker wird seit Jahren von zahllosen Start-ups befeuert, von denen man dann bald nichts mehr hört.

Doch ein ins Digitale vernarrter Tech-Bro will Mamou-Mani gar nicht sein, trotz seiner Begeisterung für Robotik. "Seit Jahren wird behauptet, man könne jetzt bald ein Haus auf Knopfdruck aus dem 3D-Drucker lassen. Aber wer will das denn? Das ist ja ein Albtraum!"

Für ihn liegt die Chance darin, Hightech und Handwerk zu fusionieren, und er bevorzugt den Begriff "digital fabrication". Architekten, sagt Mamou-Mani, müssten die Maschinen verstehen lernen, ihre Hardware und Software. Eine hat er schon selbst gebaut: den Polybot, ein spinnenartiges Ensemble aus Kabeln und kleinen Kisten. "Er ist ein Schritt zur Verwirklichung meines Traums einer universellen Baumaschine. Eine, die man choreografieren kann, die Bauteile wie eine Bricolage zusammenstellt. Spannend wäre es auch, wenn die Maschine einen Rückwärtsgang hätte und Bauten wieder auseinandernehmen könnte!" Eine Vorstellung, bei der die Architekten des 20. Jahrhunderts vor Entsetzen erblassen würden.

"Ich habe bemerkt, wie ehrlich emotional die Leute dort auf die temporären Tempel reagieren, und das hat mich sehr bewegt."
Foto: Jamen Percy

Keine Grenzen

Noch mehr Entsetzen? Bitte schön: "Viele der heute etablierten Architekten wie Rem Koolhaas oder Bjarke Ingels arbeiten mit starken Konzepten, aber sie denken kaum daran, wie furchtbar die Menschen ihre Gebäude auch finden könnten. Als Notre-Dame brannte, war es unglaublich, zu sehen, wie emotional die Menschen reagiert haben, und ich finde es wichtig, dass emotional auf Architektur reagiert wird."

Mamou-Mani dagegen will die Grenzen zwischen Architekten, Ingenieuren, Baustelle und Benutzer auflösen. Eine Fusion der Technik von morgen mit dem mittelalterlichen Modell einer Kathedralenbauhütte. Stellt sich die Frage: Ist es nicht ein Widerspruch, mehr Handlungsmöglichkeiten für Architekten zu eröffnen, um sie dann zu großen Teilen an andere abzugeben?

Ja, sagt Mamou-Mani. Das sei ein Widerspruch, den er auch nicht auflösen könne. Auch manche seiner Projekte sind noch reine Laborexperimente oder Installationen im geschützten Rahmen zahlungskräftiger Finanziers wie zum Beispiel seine luftige Raumskulptur Conifera für das Modelabel Cos bei der Mailänder Design Week 2019. Doch lieber schwärmt er vom Wissen, das er gerade eben von Bauarbeitern aus Bangladesch gelernt hat, mit denen er in Saudi-Arabien neue Formen aus Sand konstruiert.

Happy End in der Wüste

Eine Bauhütte im Sand und die Bündelung seiner Idee von einer Architektur, die entsteht und wieder zerfällt, wurde kollektiv unter seiner Leitung in Nevada errichtet: Galaxia, der Tempel des Burning-Man-Festivals, das mit seiner jährlichen Tabula rasa inzwischen als eine Art Labor für neue Ideen der Architektur und Stadtorganisation gilt.

Arthur Mamou-Manis Tempel "Galaxia" beim Burning-Man-Festival 2018 in Nevada.
Foto: Alex Medina

Dabei war Mamou-Mani anfangs kein Fan dieses nicht ganz unesoterischen Neo-Hippie-Events. "Als ich das erste Mal dort war, war ich noch befremdet, fand es zu verrückt, zu oberflächlich. Dann bemerkte ich, wie ehrlich emotional die Leute dort auf die temporären Tempel reagieren, und das hat mich sehr bewegt." 2018 durfte er selbst den Tempel planen: eine aus 3D-gedruckten Holzmodulen zusammengesetzte Spiralform, die sich aus einzelnen Nischen zu einem kollektiven Zentralraum auftürmt.

Für ihn ist dies die perfekte Kombination aus Technologie und Spiritualität – auch wenn sie ihn einige Nerven gekostet hat. "Es war eine enorme Belastung, für ein globales Team verantwortlich zu sein, ohne finanzielles Backing. Aber ich habe von allen Teilnehmern enorm viel gelernt." Es wurde ein mehrfaches Happy End: Nicht nur wurde der Tempel plangemäß fertig, der Architekt heiratete darin auch gleich seine Freundin. Emotionen in 3D. (Maik Novotny, 24.11.2019)