Die Konsumentenschutzorganisation Foodwatch vergibt jedes Jahr den Schmähpreis Goldener Windbeutel für die dreistesten Werbelügen der Lebensmittelbranche. Am 3. Dezember wird der diesjährige Gewinner bekanntgegeben. Foodwatch-Kampagnenleiter Manuel Wiemann spricht im Vorfeld der Preisübergabe über die häufigsten Tricks, mit denen Konsumenten getäuscht werden, und warum es für die Nahrungsmittelindustrie so einfach ist, die Unwahrheit zu sagen.

STANDARD: Foodwatch verleiht jedes Jahr den Goldenen Windbeutel. Wie werden Sie fündig? Durchforsten Sie dazu selbst die Regale im Supermarkt?

Wiemann: Seit vorigem Jahr erhalten wir die Produkt-Vorschläge über unsere Plattform, den sogenannten Schummelmelder. Dort können Konsumentinnen und Konsumenten Werbelügen einreichen. Das heißt, Menschen gehen in den Supermarkt, sehen ein Produkt, über das sie sich ärgern, machen ein Foto davon und laden es auf den Schummelmelder hoch. Wir wählen davon die besonders dreisten Werbelügen aus.

Manuel Wiemann deckt für Foodwatch legale Verbrauchertäuschung auf und verleiht einmal im Jahr den Goldenen Windbeutel für die dreisteste Werbelüge.
Foto: Foodwatch

STANDARD: Wie viele Produkte wurden in diesem Jahr eingereicht?

Wiemann: Im Supermarkt sind wir von Werbelügen umzingelt. Insgesamt waren es 350 Vorschläge, der Großteil wäre für eine Nominierung geeignet gewesen, wir hätten also hunderte Produkte für den Goldenen Windbeutel auswählen können statt nur fünf.

STANDARD: Was bringt die Verleihung des Goldenen Windbeutels effektiv? Als Konsument hat man nicht das Gefühl, dass dadurch die Werbeversprechen der Lebensmittelindustrie ehrlicher geworden sind.

Wiemann: Einerseits haben wir Politik und Konsumenten für das Thema sensibilisiert, andererseits haben fast alle Gewinner des Goldenen Windbeutels in den vergangenen Jahren auf unsere Kritik reagiert. Im Jahr 2011 beispielsweise gewann den Preis der Hersteller Ferrero mit seiner Milchschnitte, weil er sein Produkt als "leichte Zwischenmahlzeit" beworben hatte. Als Reaktion auf die Preisverleihung verzichtete Ferrero auf diese Werbeaussage.

STANDARD: Wieso täuschen Lebensmittelproduzenten ihre Kunden?

Wiemann: Der Markt ist extrem übersättigt. Wir haben viel mehr Angebot, als wir konsumieren können. Das setzt Produzenten und den Handel unter enormen Konkurrenzdruck. Um weiterhin Gewinne steigern zu können, werden Produkte als besonders edel, hochwertig oder gesund vermarktet. Tatsächlich sind häufig billiger Zucker oder andere minderwertige Zutaten enthalten.

STANDARD: Was sind die häufigsten Tricks, mit denen Kundinnen und Kunden getäuscht werden?

Wiemann: Wir haben dazu keine konkrete Auswertung. Relativ häufig beobachten wir, dass ein Produkt mit einer Zutat – etwa einem edlen Gewürz – beworben wird, tatsächlich ist dieser Inhaltsstoff kaum enthalten. Weitere beliebte Werbelügen sind Gesundheitsversprechen und versteckte Preiserhöhungen durch das sogenannte Downsizing, bei dem der Preis gleich bleibt, aber die Füllmenge gezielt verringert wird.

STANDARD: Ein aktueller Kandidat für den Goldenen Windbeutel sind "Wasabi-Erdnüsse" von Rewe, die nur 0,003 Prozent Wasabi enthalten. Warum darf das Produkt trotzdem mit dem japanischen Gewürz beworben werden?

Wiemann: Es ist vermutlich rechtlich zulässig, solche geringen Mengen für ein Produkt zu verwenden und es mit dieser Zutat zu bewerben. Was Hersteller nicht tun dürfen: den Inhaltsstoff vollständig weglassen und ausschließlich durch andere Aromen und Farbstoffen ersetzen. Rewe packt also Ersatzstoffe in die Wasabi-Erdnüsse rein, um eine ähnliche Schärfe und Farbe zu erreichen. Zusätzlich wird eine winzige Menge Wasabi beigemischt, damit das Produkt entsprechend bezeichnet werden darf.

STANDARD: Der österreichische Verein für Konsumenteninformation klagt in ähnlichen Fällen wegen irreführender Produktdarstellung und ist damit immer wieder erfolgreich.

Wiemann: In juristisch eindeutigen Fällen ist das so, es gibt aber zahlreiche gesetzliche Schlupflöcher, wie etwa bei den Wasabi-Erdnüssen. Und auch wenn wir ein solches Gerichtsverfahren gewinnen würden – es gibt so viele Werbelügen, wir müssten tausende Klagen anstrengen. Das können wir als kleine Organisation gar nicht leisten. Was wir brauchen sind klarere Gesetze, die Verbrauchertäuschung gar nicht erst möglich machen.

STANDARD: Warum gibt es für die Lebensmittelindustrie so viele Schlupflöcher?

Wiemann: Im Lebensmittelrecht sind die meisten Dinge auf EU-Ebene geregelt, beispielsweise in der Health-Claims- oder der Lebensmittelinformationsverordnung. Darin werden die nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel beziehungsweise die Informationspflicht über das Vorkommen von 14 Hauptallergenen geregelt. Die Lebensmittelindustrie hat mit Lobbyaktivitäten in Brüssel erfolgreich dafür gesorgt, dass die Gesetze alles andere als verbraucherfreundlich sind. Der Politik scheinen die Interessen der Konsumenten nicht so wichtig zu sein wie die Interessen der Industrie. Es gäbe aber auch auf nationaler Ebene Möglichkeiten – etwa, dass Werbung für besonders zuckerhaltige Kinderprodukte untersagt wird.

Werbung für Lebensmittel ist nach wie vor gesetzlich nicht klar geregelt, kritisiert Manuel Wiemann.
Foto: APA/dpa/Julian Stratenschulte

STANDARD: Welche gesetzlichen Änderungen fordern Sie konkret?

Wiemann: Wir brauchen Gesetze, die dafür sorgen, dass nur mehr "ehrliche" Produkte im Regal zu finden sind. Eine Möglichkeit ist, dass auf der Vorderseite der Verpackung klar gekennzeichnet sein muss, mit welchem Anteil die beworbenen Zutaten enthalten sind. Eine weitere Forderung ist, die Lebensmittelampel einzuführen, damit die Konsumenten auf einen Blick sehen, wie gesund oder ungesund ein Produkt ist. Auch die Health-Claims-Verordnung müsste vollendet werden – in dem Sinn, dass beispielsweise Fett- und Zuckerbomben nicht als gesund beworben werden dürfen.

STANDARD: In Ländern wie Frankreich wurde die Lebensmittelampel im Jahr 2018 flächendeckend umgesetzt. Ein Effekt war, dass die Lebensmittelkonzerne die Rezeptur ihrer Produkte mehr in Richtung "ausgewogene Ernährung" änderten. Warum gibt es in Österreich und Deutschland dieses System noch nicht?

Wiemann: Die deutsche Bundesregierung hat sich lange gegen eine Lebensmittelampel gesträubt. Jetzt hat Ernährungsministerin Julia Klöckner ihren Widerstand aufgegeben und angekündigt, die Nutri-Score-Ampel, die es bereits in Frankreich und Belgien gibt, auch in Deutschland einzuführen. Das EU-Recht erlaubt aber nur eine freiwillige Regelung auf nationaler Ebene. Frau Klöckner muss also auf EU-Ebene dafür sorgen, dass der Nutri-Score europaweit Pflicht wird.

STANDARD: Gibt es ein Beispiel, wo die Politik auf Druck von Foodwatch reagiert hat?

Wiemann: Wir fordern schon seit rund zehn Jahren eine Lebensmittelampel, um mehr Transparenz bei der Lebensmittelkennzeichnung herzustellen. Dass die Bundesregierung hier jetzt nach vorne geht, ist in Teilen auch unserer unermüdlichen Arbeit zuzurechnen. (Günther Brandstetter, 2.12.2019)