Sieben Minuten stürmischer Applaus – das ging Annegret Kramp-Karrenbauer ans Herz.

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Man muss gleich am Anfang die Weichen stellen – oder es zumindest versuchen. Als eine „Art Familientreffen“ preist CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak den CDU-Parteitag bei der Begrüßung in Leipzig. Die Intention ist klar: Er will die Latte tief hängen, von einem „Duell“ zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz soll keine Rede sein. Aber es nutzt nichts. Auch wenn jede Menge Anträge verabschiedet werden: Im Mittelpunkt steht doch die „Redeschlacht“ von Kramp-Karrenbauer und Merz.

Doch zuerst spricht Angela Merkel, die an diesem 22. November exakt seit 14 Jahren Kanzlerin ist. So haben sich die Zeiten geändert: Von ihr kommt keine große Rede mehr, bloß noch ein Grußwort von gut zehn Minuten, in dem sie Digitalisierung und Klimawandel als Herausforderungen nennt.

„Es waren 14 gute Jahre für Deutschland – und darauf können wir stolz sein“, dankt Kramp-Karrenbauer, als sie dann an der Reihe ist, und setzt gleich den ersten Punkt gegen Merz, ohne ihn zu erwähnen: Man könne nicht immer nur Regierungsarbeit schlechtreden, sagt sie und ruft: „Das ist keine gute Wahlkampfstrategie, und das sollen wir uns auch gar nicht angewöhnen!“

Ein ORF-Beitrag aus Leipzig.
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„Wir halten das aus“

Der Applaus ist enorm. Die Delegierten haben sehr wohl verstanden. Vor einem Jahr, in Hamburg, ist AKK zu Merkels Nachfolgerin als CDU-Chefin gewählt worden. Danach folgte ein schwieriges Jahr, „das gebe ich offen zu“, sagt Kramp-Karrenbauer und geht auch auf die viele Kritik an ihr ein: „Die gab es in der CDU immer schon.“ Aber, so AKK: „Wir halten solche Diskussionen aus. Wir lassen uns nicht in den Ruin hineinschreiben.“ Dafür gibt es mehr als freundlichen Applaus.

Nach einem kraftvollen Start skizziert die CDU-Vorsitzende dann in ihrer Rede, was sie für Deutschland erreichen will: Weniger Steuerlast, Wohlstand für alle, Vollbeschäftigung, es soll wieder mehr Kinder geben, „mehr vier eigene Wände“, und die Bürokratie soll abgebaut werden. „Ich habe die Nase voll davon, dass wir immer die Langsamsten von Europa sind“, ruft sie.

Lange spricht sie, fast eineinhalb Stunden, über weite Strecken merkt man, dass die Aufmerksamkeit der Delegierten verlorengeht. Doch plötzlich, am Schluss, sind alle wieder hellwach: Sie wolle ihren Weg weitergehen, sagt Kramp-Karrenbauer. Aber wenn die Delegierten der Meinung seien, das sei nicht der richtige, „dann lasst es uns heute aussprechen, dann lasst es uns heute auch beenden. Hier und jetzt und heute!“ Doch falls „wir diesen Weg gehen sollten“, dann sollten heute „alle die Ärmel aufkrempeln und es anfangen“.

Kaum hat sie diese Schlussworte gesprochen, stehen die Delegierten auch schon auf und überschütten Kramp-Karrenbauer mit Applaus. Er dauert sieben Minuten lang. AKK ist sichtlich ergriffen und gerührt und schaut zum ersten Mal seit langem glücklich aus. Sie verteilt Luftküsse und greift sich immer wieder ans Herz.

„Der Applaus zeigt, heute wird nicht Schluss gemacht, es geht erst richtig los“, sagt der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der den Parteitag leitet.

Defensiver Merz

„Aussprache“ nennt sich der Tagesordnungspunkt danach, und wie geplant meldet sich auch der ehemalige Fraktionsvize Friedrich Merz, der auf dem Parteitag in Hamburg vor einem Jahr Kramp-Karrenbauer bei der Vorsitzenden-Wahl ja knapp unterlegen war.

Seine Rede ist sehr defensiv, viele witzeln, dass er sie nach der starken Ansage von AKK wohl noch schnell umgeschrieben hat. Merz lobt die „kämpferische und mutige und nach vorne zeigende Rede“ der „lieben Annegret“ und sagt: „Dafür sind wir ihr alle richtig dankbar.“ Er spricht auch von Illoyalität, meint damit aber die SPD. Dort gebe es eine „strukturelle Illoyalität“; bei der CDU hingegen „sind wir loyal zu unserer Vorsitzenden und zur Bundesregierung“. Es ist ein leichtes Stöhnen da und dort im Saal zu hören – schließlich hat Merz erst kürzlich das Erscheinungsbild der Koalition als „grottenschlecht“ bezeichnet.

Nun erinnert er aber daran, dass er 2003 in Leipzig, auf dem legendären Reform-Parteitag der CDU, seine „Bierdeckel-Steuer“ erwähnt habe: Die Steuererklärung solle so einfach sein, dass sie auf einen Bierdeckel passt. Warum die Leute immer noch darüber reden, fragt Merz. Seine Antwort: Weil der Bierdeckel das „Symbol für etwas Verständliches“ ist. Gern wolle er dazu beitragen, Politik verständlich zu machen. „Wenn Sie wollen, dass ich dabei bin, bin ich dabei“, sagt er. Auch er bekommt kräftigen Applaus, aber Begeisterungsstürme löst er nicht aus. Es klingt, als solle Merz durchaus bleiben – aber bitte nicht am Stuhl von Kramp-Karrenbauer sägen. (Birgit Baumann aus Leipzig, 22.11.2019)