Die Gondeln mit Touristen sind schon wieder unterwegs.

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Nach der Sturmflut ist in Venedig inzwischen wieder so etwas wie Normalität eingekehrt. Am Donnerstag feierten die Venezianer in der Lagunenstadt wie jedes Jahr das Fest der Madonna della Salute. Die religiöse Tradition erinnert an das Ende der Pestepidemie, bei der zwischen 1630 und 1631 etwa 80.000 Menschen starben. Zwar stand am Freitag die Piazza San Marco und mit ihr rund 30 Prozent der Stadt unter Wasser. Doch das erleben die Venezianer jedes Jahr etwa zehnmal. Am 12. November hingegen waren 90 Prozent des Stadtgebiets überflutet worden.

Zum Ausmaß der Schäden gibt es weiterhin nur Schätzungen. Bürgermeister Luigi Brugnaro sprach von einer Schadensumme von bis zu einer Milliarde Euro. Fest steht hingegen, dass die verheerende Überschwemmung hätte verhindert werden können: Die Stadt mit ihren Kulturgütern sollte eigentlich längst durch eine bei den Laguneneingängen auf dem Meeresboden installierte aufklappbare Sperre aus Stahltanks vor Hochwasser geschützt werden. Doch das Modulo Sperimentale Elettromeccanico, im Volksmund nur Mose genannt, war nicht einsatzbereit: Die Laguneneingänge blieben offen, der stürmische Südwind, der Scirocco, konnte das Meerwasser ungebremst in die Lagune pressen.

Korruption und Bürokratiewahnsinn

Bei Mose handelt sich um Italiens größtes Infrastrukturprojekt der Nachkriegszeit – und zugleich um die große Unvollendete des Belpaese: ein Symbol für politische Gleichgültigkeit, Korruption und Bürokratiewahnsinn. All das hat dazu geführt, dass Mose bis heute nicht fertig ist.

Insgesamt, haben italienische Medien ausgerechnet, sind Schmiergelder in der Höhe von 250 Millionen Euro geflossen. Verzögerungen und Projektanpassungen haben die Kosten für das Werk im Lauf der Jahre von den ursprünglich veranschlagten fünfeinhalb auf sieben Milliarden Euro anwachsen lassen.

Nach dem Rekordhochwasser vom 12. November soll nun einmal mehr eine Sonderkommissarin das Wunder vollbringen, die ewige Baustelle auf dem Meeresgrund zum Erfolg zu führen. Die Architektin und Managerin Elisabetta Spitz soll dafür sorgen, dass der Hochwasserschutz nun endlich fertiggestellt und in Betrieb genommen werden kann. Angeblich ist Mose bereits zu 94 Prozent fertiggestellt.

400 Millionen fehlen noch

Als neue Deadline ist nun Anfang 2021 vorgesehen. Es heißt, dass für die Fertigstellung noch rund 400 Millionen Euro erforderlich seien. Um die Kredite leichter freigeben zu können, hat die Regierung von Giuseppe Conte über Venedig den Notstand verhängt.

Das jüngste Acqua alta hat in Venedig auch die Diskussionen über den Massentourismus und ganz besonders die Invasion der riesigen Kreuzfahrtschiffe neu entfacht. Die Lagunenstadt wird nicht nur regelmäßig von Hochwassern überschwemmt, sondern auch von Touristen. Im vergangenen Jahr wurden 33 Millionen Besucher gezählt. Das sind durchschnittlich etwa 90.000 am Tag und damit fast doppelt so viele, wie die Altstadt Einwohner zählt.

Kein Kindergarten mehr

Für die Kreuzfahrtschiffe und für die Öltanker, die zum Industriehafen von Mestre fahren, wurden in der empfindlichen Lagune tiefe Fahrrinnen ausgebaggert. Dies erleichtert bei Sturmfluten das Eindringen des Wassers. Der Overtourism, wie das Phänomen der täglichen Invasion genannt wird, schadet aber auch den Kulturgütern und nicht zuletzt den Bewohnern: Die Einrichtung von immer mehr Gästebetten hat die Immobilienpreise explodieren lassen. Vor allem junge Venezianer können sich eine Wohnung in ihrer Stadt nicht mehr leisten und ziehen nach Mestre. Die Stadt überaltert, der letzte Kindergarten Venedigs ist schon vor Jahren geschlossen worden.

Abhilfe gegen die Invasion der Tagestouristen soll ab Juli ein Eintrittsgeld von drei bis zehn Euro schaffen. Aber ob das wirklich Touristen abschreckt, bezweifeln viele Venezianer. (Dominik Straub aus Rom, 23.11.2019)