Am 25. November ist Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen. Für Betroffene von häuslicher Gewalt ist eine Trennung ein schwieriger Schritt, der auch durch viele Regelungen erschwert wird.

Foto: Heribert Corn

Gleich zwei brutale Fälle häuslicher Gewalt haben die Öffentlichkeit im Oktober schockiert: In Kitzbühel ermordete ein 25-Jähriger seine Ex-Freundin, ihren neuen Partner, ihre Eltern und ihren Bruder. Wenige Wochen später tötete ein 31-Jähriger in Kottingbrunn seine Frau und die gemeinsamen Kinder. Das Opfer in Kottingbrunn wollte sich trennen, die Frau in Kitzbühel hatte sich vor wenigen Monaten getrennt – das bestätigt einmal mehr die Einschätzung von Expertinnen: Eine Trennung kann für Frauen tödlich sein.

Anspruchs- und Besitzdenken, mangelnde Impulskontrolle: Das sehen viele als Teil dessen, was es für sie heißt, ein Mann zu sein. „Toxische Männlichkeit“ ist der Begriff, der in diesem Zusammenhang immer öfter fällt. Es ist ein Begriff, der zwar ermöglicht, kritisch auf stereotype Geschlechterrollen zu blicken und unsere Vorstellung von Männlichkeit grundsätzlich zu hinterfragen. Doch läuft man Gefahr, tiefgreifende Einstellungen, die sich quer durch die gesamte Gesellschaft ziehen, auf eine individuelle Ebene zu verlagern – und damit zu verharmlosen.

Problematische Individualisierung

Es entstehe der Anschein, dass es sich um einzelne Männer oder Gruppen von Männern handelt, die sich durch problematisches Verhalten auszeichnen, sagt Paul Scheibelhofer, Assistenzprofessor für Kritische Geschlechterforschung am Institut für Erziehungswissenschaft an der Universität Innsbruck. Dieses Bild entspreche aber nicht der Realität. „Männlichkeit ist in einer Gesellschaft, in der männliche Dominanz herrscht, grundsätzlich problembehaftet“, sagt Scheibelhofer.

Wer als Mann in dieser Gesellschaft lebe, habe die Grundstrukturen toxischer Männlichkeit in sich, es gebe nur unterschiedliche Ausprägungen. Die extremste davon sei Mord, am anderen Ende stehe etwa ein Verständnis für Gewalt, weil das Opfer den Täter angeblich betrogen habe.

Profitable toxische Männlichkeit

Wenn toxische Männlichkeit als gesamtgesellschaftliches Problem erkannt wird, geht damit jedoch häufig eine Form von Psychologisierung einher: wenn etwa betont wird, wie sehr Männer unter stereotypen Bildern leiden, weil sie stark sein müssen und nicht über ihre Gefühle sprechen dürfen. Scheibelhofer sieht diesen Ansatz kritisch, weil dabei der Eindruck entstehe, dass Männer genauso stark wie Frauen unter der Geschlechterhierarchie leiden würden. Doch dies sei ein Irrtum. Noch immer wird die Fürsorge den Frauen zugewiesen, während die Sphäre der Männer dort ist, wo Macht und Geld ist, wo Konkurrenz zählt und man dafür auch Unangenehmes in Kauf nimmt wie endlose Überstunden. „Vieles was wir als toxische Männlichkeit benennen, bringt in der herrschenden Arbeitswelt Profite“, sagt Scheibelhofer.

Aus diesem Ungleichgewicht entstehen Abhängigkeiten, die im Diskurs über toxische Männlichkeit wenig präsent sind, für Betroffene aber drastische Folgen haben. „Die Frage wer von wem in Beziehungen abhängig ist, ist ganz zentral damit verbunden, wer schlagen kann und wer Schläge ertragen muss“, sagt Scheibelhofer.

Diese Ungleichheiten könnte die Politik regulieren, tut dies bisher aber wenig: Frauen leisten noch immer zu einem weitaus größeren Teil gratis Fürsorgearbeit, der Gender-Pay-Gap besteht nach wie vor. Weder gibt es ein strenges Lohntransparenzgesetz, das Unternehmen sanktioniert, wenn sie keine Einkommensberichte vorlegen, noch gibt es Karenzmodelle, die die Sorgearbeit verpflichtend auf Väter umverteilt.

Viele Frauen, die eine Trennung erwägen, stehen vor der Wahl, Beziehungen fortzusetzen oder in massive Geldsorgen zu geraten. Sie müssen sich trotz erlebter Gewalt oft harte Fragen stellen: Wie viel Geld haben sie nach einer Trennung für ihre Kinder zur Verfügung? Bekommen sie überhaupt Unterhalt von ihrem Ex? Und wie viel? Und was, wenn er nicht zahlt?

Keine Unterhaltsgarantie

Im Wahlkampf 2017 waren sich noch alle Parteien einig, dass man Alleinerzieherinnen damit nicht im Stich lassen soll. Trotzdem gibt es noch immer keine staatliche Unterhaltsgarantie, die Kindern und Frauen ein wichtiges Sicherheitsnetz bieten könnte. Grundsätzlich springt der Staat zwar ein, allerdings nur mit einem Unterhaltsvorschuss, der dann gezahlt wird, wenn er sich das Geld vom Unterhaltsschuldner zurückholen kann. Zudem dauert es oft Monate, bis der Staat mit der Unterhaltsfeststellung fertig ist und Geld überweist – und dann reicht es oft bei weitem nicht.

Auch das Scheidungsrecht birgt für Frauen viele Hürden: Willigt der Gefährder etwa nicht in eine einvernehmliche Scheidung ein, muss man Klage einbringen – und eine strittige Scheidung kann teuer werden und sich über Jahre ziehen. Zwar besteht in der ersten Instanz kein Anwaltszwang, doch sobald eine Person anwaltlich vertreten wird, empfiehlt sich das auch für die andere Partei. Kann sich der Mann also einen Anwalt leisten, ist eine strittige Scheidung für Frauen ein finanzielles Risiko.

Besonders schwierig ist eine Trennung für geflüchtete Frauen. Wenn sie im Rahmen der Familienzusammenführung nach Österreich gekommen sind, verlieren sie mit einer Scheidung ihren Aufenthaltstitel „Familienangehörige“. Zwar gibt es für von Gewalt durch ihren Partner betroffene Frauen die Möglichkeit, einen eigenständigen Aufenthaltsstatus zu bekommen, allerdings wird dieser oft nur für ein Jahr genehmigt und muss immer wieder neu beantragt werden. Daraus ergibt sich eine rechtliche Abhängigkeit, die Ursache vieler Probleme ist, heißt es in einem Tätigkeitsbericht der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie.

Gewaltschutz erst seit 1997

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, warum es bis heute so schwierig ist, Schutz vor häuslicher Gewalt zu bieten. Die Schutzrechte, die im 19. Jahrhundert in liberalen Demokratien entwickelt wurden, etwa der Schutz der Intimsphäre, sollten das Private frei vom Zugriff des Staates halten. Doch das hatte die negative Auswirkung, dass das staatliche Gewaltmonopol innerhalb der Familie nicht gegriffen hat, erklärt Birgit Sauer, Politikwissenschafterin an der Universität Wien. Erst mit der zweiten Frauenbewegung ab den 1970ern wurde das Bewusstsein geschaffen, dass der Staat in vermeintlich private Konflikte eingreifen soll. Auf juristischer Ebene wurde schließlich in den 1990er-Jahren nachgezogen, als durch das Gewaltschutzgesetz von 1997 etwa Wegweisung und Betretungsverbot als Schutzmaßnahmen ermöglicht wurden. Dadurch wurde zwar viel erreicht, sagt Sauer, „aber die Vorstellung von einem Vorrecht des Mannes in der Familie, dass er es verhindern darf, wenn eine Frau ihn verlassen will, ändert sich nicht in ein paar Jahrzehnten“.

Statt diese tiefergehenden Probleme anzugehen, setze die Regierung auf eine „selektive Law-and-Order-Politik“, kritisiert Scheibelhofer. Mit einem höheren Strafmaß, wie im neuen Gewaltschutzpaket vorgesehen, munitioniere man sich auf, um „einzelne schwarze Schafe zur Strecke zu bringen“. Das sei der falsche Weg, denn toxische Männlichkeit und Gewalt gegen Frauen seien strukturelle Probleme.

Frauenquote gegen Gewalt

Eine Arbeitssphäre, in der Männer überdurchschnittlich oft in Machtpositionen sind und die männliche Seilschaften begünstigt, müsse durch Frauenförderung in der Wirtschaft und Quoten durchbrochen werden. Auch müsste endlich etwas gegen die "heillose Unterfinanzierung" der opferschutzorientierten Täterarbeit getan werden. Eine Täterarbeit, betont Scheibelhofer, die nicht nur die psychologische Seite berücksichtigt, sondern auch die Frage, wie Gewalt in ungleiche Geschlechterverhältnisse eingebunden ist. Und schließlich dürfe man auch nicht auf die nächste Generation vergessen, auf Bildungsangebote wie eine zeitgemäße Sexualpädagogik.

Das Thema verlockt dazu, nur die Spitze des Eisbergs als Problem wahrzunehmen und im eigenen Umfeld keinen Handlungsbedarf zu sehen. Doch es geht auch um Eigenverantwortung: „Die Gesellschaft ändert sich nur, wenn man sich selbst ändert“, sagt Scheibelhofer. Anstatt zu betonen, selbst nicht gewalttätig zu sein, sollte reflektiert werden, wo man selbst Teil toxischer Männlichkeit ist und wie man anders handeln kann. „Das kann auch bedeuten, das nächste Mal, wenn der Chef einen blöden Witz macht, nicht mitzulachen.“ (Beate Hausbichler, Noura Maan, 23.11.2019)