Das Haarnetz sitzt: Siegfried Walther als Meisterdetektiv Hercule Poirot.

Astrid Knie

Kein anderer Roman fügt dem – dank Flugscham – gerade im Aufwind befindlichen guten Ruf von Fernzugreisen mehr Schaden zu als Agatha Christies Mord im Orient-Express. In den zwischen Istanbul und Paris verkehrenden Luxuswagons mit Restaurant, Bar und edler Ausstattung ließ es sich einst prächtig reisen, wenn da nur nicht gemordet worden wäre! In einer Bühnenfassung von Ken Ludwig (Mord im Orientexpress) ruckelt der in Großbritannien 1934 erschienene Kriminalroman gerade durch die Kammerspiele des Theaters in der Josefstadt.

Der Bühnenbildner Walter Vogelweider verleiht dort dem engen, sprich dramatisch verdichteten Tatort mittels Längsschnitten durch putzige Wagons eine gemütliche, winterlich-warme Atmosphäre. An Vogelweider liegt es also nicht, dass auch nach dieser Inszenierung doch die meisten wieder lieber ins Flugzeug steigen werden. Es geht einfach schneller.

Mittels Drehbühne wird auf der Bühne zwischen Restaurant und Schlafabteilen gewechselt. Diese beherbergen edle Holzablagen, Retrotelefone mit blinkenden Echtmetallohrmuscheln, noble Stoffe und exzentrische Accessoires aus einer Zeit, als Körperkult noch andere Maßstäbe kannte: Schnurrbartglätter, Haarnetz, Schlafrock, Federn und Gamaschen. Jeder Seidenschal, jede Hutpracht sitzt.

Die ÖBB lassen grüßen

Acht Reisende kommen nach dem Mord an Mr. Ratchett als Verdächtige infrage. Nur sie können es gewesen sein, da seit der Tat niemand den Zug neu bestiegen oder ihn verlassen hat – er steckt an einem jugoslawischen Pass in einer Schneeverwehung fest. Die ÖBB, die letzten wackeren Betreiber des Nachtzugwesens, lassen grüßen.

Acht Mal wurde auf das Opfer eingestochen. War es die ruppige Mrs. Hubbard (Ulli Maier), die nächtens gerne tanzt, oder sind es Prinzessin Dragomiroff (Marianne Nentwich) und die sie begleitende Missionarin (Therese Lohner) gewesen? Die Gräfin Nadrenyi (Michaela Klamminger) oder das heimliche Pärchen Oberst Arbuthnot (Paul Matic) und Mary Debenham (Alexandra Krismer)?

An der Seite des Bahndirektors (Johannes Seilern als Harald-Juhnke-Alias) zelebriert der Meisterdetektiv Hercule Poirot seine legendären, sprachgewandten Interpretationsketten. Siegfried Walther stattet den guten Mann mit aller Historizität aus, die Christies Held von Anfang an zu eigen war. Der Belgier pflegt den honettesten Umgang mit seinen Reisegefährten, und es gelingt ihm, mindestens genauso sehr wie der eingestreuten Filmmusik, mit seiner akkuraten Intonation dramatische Stimmung zu erzeugen. Sein „Rrrrrache“ und sein „Trrrragödie“ sowie seine Bekennerlaute auf Französisch lassen keine Wünsche offen.

Die handliche Inszenierung Werner Sobotkas, in der weiters Markus Kofler als ebenso verdächtigter Schaffner und Martin Niedermaier als Assistent des nunmehr Toten zu sehen sind, kommt störungsfrei zu ihrem Ende. Auch wenn es aus heutiger Sicht befremdlich anmutet, dass ein Detektiv Selbstjustiz walten lässt und wider besseres Wissen die Mörder nicht überführt. Ein Akt der Weihnachtsamnestie? Jedenfalls ein Theaterabend für kalte europäische Winterabende. (Margarete Affenzeller, 22.11.2019)