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Der Preis für den unzutreffendsten Blurb des Monats geht an Ann Leckie, die sich auf dem Cover von "Im Herzen des Imperiums" mit "Großartig und faszinierend! Eine Space Opera, die ihresgleichen sucht!" verewigt hat. – Erstens einmal ist es keine Space Opera. Dafür müssten nennenswerte Anteile der Handlung im Weltraum stattfinden, was nicht gegeben ist. Und was das "ihresgleichen sucht" anbelangt: Na, allzu weit kann sich Leckie ja nicht umgeschaut haben. Ein Blick auf ihre eigene "Imperial Radch"-Trilogie hätte schon gereicht, zu der gibt es nämlich Ähnlichkeiten zuhauf.

Die Ausgangslage

US-Amerikanerin AnnaLinden Weller, die unter dem Pseudonym Arkady Martine schreibt, gibt an, eine Historikerin mit Schwerpunkt Byzanz zu sein. Ohne in Klischees verfallen zu wollen, erwartet man sich da von ihrem Romandebüt bürokratische Hierarchien und verschlungene Intrigenspiele. Und das wird auch geliefert. Schauplatz des Romans ist die planetenumspannende Stadt Teixcalaan, Zentrum eines gleichnamigen interstellaren Imperiums. Als die Hauptfigur des Romans dort eintrifft, befindet sich das Imperium allerdings gerade in einer unruhigen Phase: Die Thronfolge ist unklar, Terroranschläge erschüttern die Stadt, ein Bürgerkrieg droht.

Trotzdem (oder vielleicht sogar deswegen, als Ablenkung) bereitet das Imperium nach längerer Zeit des Friedens mal wieder die Annexion benachbarter Sektoren vor. Das könnte diesmal auch das Gebiet um die autonome Raumstation Lsel betreffen, von der Hauptfigur Mahit Dzamare stammt. Als neue Botschafterin Lsels nach Teixcalaan geschickt zu werden, ist für sie ein Traumjob, immerhin hat sie sich seit ihrer Kindheit für die dortige Kultur begeistert. Allerdings muss sie erst einmal herausfinden, was aus ihrem Amtsvorgänger Yskandr Aghavn geworden ist. Wie sich bald herausstellt: ein Mordopfer. Nun gilt es also, das Wer und Warum aufzuklären.

Das ergibt eine durchaus vielversprechende Ausgangslage, irgendwo zwischen Lois McMaster Bujolds "Barrayar"-Reihe und Leckies "Imperial Radch". Während Mahit noch damit beschäftigt ist, herauszufinden, wem sie auf Teixcalaan vertrauen kann, muss sie zur Kenntnis nehmen, dass sich Yskandr mehr in die imperiale Politik eingemischt hatte, als man es einem bloßen Botschafter zutrauen würde. Und dass – Stichwort Intrigen – auch im heimischen Lsel nicht alle an einem Strang ziehen.

Die Imago-Technologie

Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Technologie der Imago-Kopien, die Lsel bisher vor seinem mächtigen Nachbar verborgen hat. Es handelt sich dabei um Implantate mit den aufgezeichneten Erinnerungen eines anderen Menschen, die sich zu einer Quasi-Persönlichkeit summieren. Diese kann mit dem Träger eines solchen Implantats kommunizieren – bis die beiden letztlich zu einem neuen, mit umfassenden Erfahrungen ausgestatteten Geist verschmelzen. So trägt Mahit die Erinnerungen Yskandrs in sich – wenn auch leider auf einem Stand 15 Jahre vor seiner Ermordung.

Das ist vielleicht kein völlig neues Konzept in der SF, denken wir etwa an die Reverend Mothers der Bene Gesserit oder an die Trill aus "Star Trek". Aber es ist immer noch originell genug, dass die "interne Kommunikation" zwischen Mahit und Alt-Yskandr interessant zu lesen gewesen wäre. Doch der erleidet beim Anblick "seiner" Leiche einen Schock, taucht ab und lässt Mahit damit für den Großteil des Romans allein im Schädel zurück wie einen ganz normalen Menschen. Da wurde eine erzählerische Chance vertan. Yskandr wird zwar im letzten Fünftel des Romans wieder aktiv werden – dann, wenn generell endlich ein bisschen was weitergeht –, aber das kommt ehrlich gesagt irgendwie zu spät.

Kulturelle Feinheiten

Von McMaster-Bujold wandert der Roman sukzessive auf Leckie zu, soll heißen: Wir lernen auf Soiréen und in Teesalons ausführlich die teixcalaanische Kultur kennen. Die Teixcalaaner lieben den poetischen Wettstreit und kodieren ihre Kommunikation gerne durch Verweise auf die Literatur. Machen wir uns also gefasst auf Action-Elemente wie eine Schlacht, die ausschließlich mit Stegreifversen geführt wurde. Begonnen hatte es als eine Art Spiel. Eine von Drei Seegras' über die Maßen klugen Freundinnen griff die letzte Zeile von Vierzehn Turms langweiligem Siegergedicht auf und sagte: "Lasst uns spielen, ja?" Dann benutzte sie diese letzte als ihre erste Zeile und verfasste einen Vierzeiler, der den Rhythmus vom geläufigen politischen Versmaß zu etwas anderem verschob, das vor Daktylen nur so wimmelte.

Wer sich in diesem Zitat über die Begriffe "Drei Seegras" und "Vierzehn Turm" gewundert hat: Teixcalaanische Personennamen setzen sich immer aus einer Zahl und einem Wort für eine Pflanze oder ein unbelebtes Objekt zusammen (Drei Seegras wird übrigens zu Mahits engster Vertrauter werden). Meine persönlichen Favoriten im Buch sind "Neunundzwanzig Infograf" und "Drei Kapuzinerkresse". Allerdings kennt auch die teixcalaanische Kultur Grenzen: Wie sich herausstellte, hieß der Mann jetzt "Sechsunddreißig Allrad-Tundrafahrzeug", was Mahit und Drei Seegras vorübergehend die Sprache verschlug. "Niemand würde seinem Kind so einen Namen geben", klagte Drei Seegras nach einem Moment. "Das ist völlig geschmacklos." – Eine Dosis Humor ist im Roman also durchaus enthalten, immerhin.

Bilanz

Dass sämtliches Geschehen in literarischen Referenzen gespiegelt und linguistisch reflektiert wird, ist natürlich nicht gerade ein Handlungsbeschleuniger. Erst auf den letzten 100 Seiten kommt etwas Bewegung in die Sache, was aber die Frage aufwirft: Warum nicht schon vorher? Und darauf aufbauend die Frage: Warum ermuntert ein Verlag eine Autorin dazu, als Debüt unbedingt gleich ein XL-Format zu veröffentlichen? Das noch dazu nach 600 Seiten nicht einmal abgeschlossen ist, sondern nur der Auftakt einer Reihe?

Rein technisch gesehen ist Arkady Martines Roman ein gediegenes Debüt, aber auch nicht mehr. Im Schwedischen gibt es das schöne Wort småtråkig, das die Bedeutung "ein bisschen langweilig" auch klanglich sehr gut transportiert. Linguistik-Fan Martine müsste davon eigentlich begeistert sein.