Mit lila Spruchbändern und Plakaten marschierten am Wochenende tausende Menschen durch die Straßen von Paris.

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Auch in Rom wurde demonstriert

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Selbst für Pariser Verhältnisse war der Umzug imposant: Etwa 49.000 Menschen zogen am Samstag über die Boulevards, wie ein unabhängiges Umfragebüro errechnet hat. Die mitgeführten Transparente sprachen für sich: „In 48 Stunden wird die nächste Frau umgebracht“, informierte eine Frau auf einer Tafel. Und immer wieder die Zahl 137: So viele Morde an Frauen sind in Frankreich seit Jahresbeginn geschehen.

Die Pariser Demo strahlte auch in zahlreiche Regionalstädte aus, wo kleinere Demos stattfanden. „Das war die größte Mobilisierung von Frauen in unserem Land“, freute sich die Feministin Caroline de Haas, die auch im Organisationskomitee von Nous toutes, „Wir alle“, sitzt. Viele Slogans waren auch auf mehr oder weniger direkte Art politisch: „Nieder mit dem Patriarchat“, forderte eine Demonstrantin, eine andere teilte mit: „Frau und Opfer, ich glaube dir.“ Auch andere Teilnehmerinnen verlangten eine radikale Umkehrung der Beweislage.

Promis demonstrieren mit

Darunter waren konservative Abgeordnete wie Valérie Boyer oder prominente Schauspielerinnen wie Sandrine Bonnaire, die von einem Angriff auf sie selbst durch einen Ex-Partner berichtete. Zu sehen war auch Julie Gayet, die im Ausland als Partnerin des früheren Staatspräsidenten François Hollande bekannt geworden ist.

Sehr präsent war auch die Forderung „eine Milliarde“: So viel Geld verlangt die Nationale Union der Feminizid-Familien (UNFF) an den sogenannten Generalständen gegen Gewalt in der Ehe, die in Paris seit September stattgefunden haben.

Druck auf die Regierung

Zum Abschluss dieser Megaveranstaltung will Premierminister Edouard Philippe konkrete Maßnahmen vorlegen. Die Kundgebungen hatten denn auch zum Ziel, ein letztes Mal Druck auf die Regierung auszuüben. Und er scheint Früchte getragen zu haben. Wie am Sonntag durchsickerte, will Philippe weitgehende Gesetzesänderungen lancieren.

Die konkreteste: Männer müssen schon nach der ersten Gerichtsklage der Frau, also noch vor jeder Verurteilung oder auch nur Beweisaufnahme, ihre Schusswaffen abgeben. 32 Prozent aller Frauenmorde werden mit einer solchen Waffe begangen werden. Das genügt Frauenrechtlerinnen nicht: Sie verlangen darüber hinaus, dass die Kontrollen schon ab der ersten Beschwerde auf einer Polizeiwache einsetzen. Dafür gibt es aber laut Regierung keine ausreichende juristische Grundlage.

Und was weniger offen gesagt wird: Für solche Eingriffe, die oft in die Einweisung in Auffangzentren mit allen Kindern münden, fehlen bei den zehntausenden Fällen schlicht die Mittel. Daher auch die Forderung nach einer Milliarde Euro.

Rechtsrahmen anpassen

Philippe dürfte dafür den Rechtsrahmen anpassen. Schon vor einer rechtskräftigen Verurteilung soll der Verdächtige die Obsorge über die Kinder und jedes Besuchsrecht verlieren. Nach einem Mord an seiner Frau verlöre er automatisch alle Rechte über die Kinder, nicht aber die Alimentenpflicht.

Elektronische Fußfesseln sollen ferner schon früher angeordnet werden. Philippe will auch die Vermittlungsversuche vor Friedensrichtern einschränken. Denn Anwälte berichten immer wieder, dass die Frauen dabei unter dem Druck ihrer Männer stünden – und später oft für ihren Befreiungsversuch „zahlen“ müssten. Einen Partner zum Suizid zu treiben soll in Frankreich in Zukunft härter bestraft werden – mit bis zu zehn Jahren Haft.

„Nicht eine weniger“

Unter dem Motto „Nicht eine weniger“ gingen auch in Rom tausende Menschen auf die Straße. An der Spitze marschierten Vertreterinnen von Frauenhäusern und Beratungsstellen. Sie versammelten sich auf der zentralen Piazza della Repubblica und schwenkten Plakate mit Slogans für die Sicherheit der Frauen.

An jedem dritten Tag wird einer Studie des Institutes Eures eine Frau in Italien ermordet. Seit Jahresbeginn wurden laut jüngsten Angaben 94 Frauen in Italien ermordet, die meisten davon von Ehemännern oder Lebensgefährten. Erst am Freitag wurde eine 30-jährige Frau in Palermo von ihrem Liebhaber erstochen.

„Es scheint leider wie ein Virus zu sein, eine schreckliche Sache, die da geschieht, und die nicht den gesellschaftlichen Skandal auslöst, den sie auslösen sollte“, sagte Ex-Parlamentspräsidentin Laura Boldrini als eine der Prominenten unter den Demonstrantinnen. (Stefan Brändle aus Paris, 24.11.2019)