In der App werden Lehrer anonym bewertet. Anders wäre es gar nicht möglich.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Bildungsdebatten können unser Schulsystem bei weitem nicht so erschüttern wie die Diskussion um die Bewertungsapp „Lernsieg“. Der Schüler Benjamin Hadrigan hat vorletzte Woche eine App veröffentlicht, mit der Lehrer nach Kriterien wie Pünktlichkeit, Fairness oder Respekt bewertet werden. Seither gehen die Emotionen in den Lehrerzimmern hoch.

Für die Bewertung stehen ein bis fünf Sterne zur Verfügung. Eine Kommentarfunktion gibt es nicht. Um Doppelbewertungen durch dieselbe Person zu verhindern, müssen Nutzer bei der Installation der App ihre Handynummer angeben und dann in der App einen Code eingeben, den sie per SMS erhalten.

Die Bewertungen werden anonym veröffentlicht und zudem eine Gesamtbewertung eines jeden Lehrers errechnet. Derzeit ist die App offline – nach Angaben von Hadrigan wegen unzähliger Hass-E-Mails, die er erhalten hat.

Unwahre Tatsachen als Grenze

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gewährt jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Dies gilt nach der Rechtsprechung gerade für kritische und unangenehme Meinungen. Unzulässig ist es lediglich, unwahre Tatsachen zu behaupten, die den Ruf einer Person beeinträchtigen, oder beleidigende Werturteile zu verbreiten (z. B. klassische Beschimpfungen).

Im Fall der Lehrerbewertungsapp ist die Vergabe von einem bis fünf Sternen in einer der vordefinierten Kategorien eine Tatsachenbehauptung – sie ist zulässig, wenn sie der Wahrheit entspricht. Aber auch in Kategorien wie z. B. Pünktlichkeit kann es unterschiedliche Wertungsmaßstäbe geben, die im Rahmen des Zulässigen liegen.

Eine grundsätzlich zulässige Bewertung darf auch öffentlich erfolgen, wenn ein Interesse der Allgemeinheit besteht, sich über die Bewertung zu informieren. Voraussetzung ist allerdings, dass dadurch keine Prangerwirkung entsteht.

Entscheidungsgrundlage

Jeder Schüler, der sich einen Klassen- oder Schulwechsel überlegt, sowie jeder Elternteil, der eine Schule für seine Kinder auszuwählen hat, will eine möglichst informierte Entscheidung treffen.

Wer keine ausreichenden persönlichen Kontakte hat, ist daher auf Informationsangebote wie die vorliegende App angewiesen. Dass die Bewertungen öffentlich erfolgen, ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

In der Lehrerbewertungsapp erscheinen die Bewertungen ohne Nennung des Namens des Nutzers und damit anonym. Häufig wird kritisiert, dass dies dem Missbrauch Tür und Tor öffnen würde. Allerdings ist es realistisch betrachtet Schülern erst aufgrund dieser Anonymität überhaupt möglich, kritische Bewertungen abzugeben.

Die von einem Autoritätsverhältnis geprägte Beziehung zwischen Lehrern und Schülern macht es Schülern typischerweise unmöglich, ohne Furcht vor negativen Konsequenzen offen ihre kritische Meinung mitzuteilen. Will man allerdings, dass gerade kritische Meinungen Eingang in den Diskurs finden, muss man anonyme Meinungsäußerungen zulassen. Nach der Rechtsprechung sind daher auch diese vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit umfasst.

DER STANDARD unterhielt sich vergangene Woche mit Schülern darüber, wie sie "Lernsieg" finden.
DER STANDARD

Berechtigtes Interesse

Dass mit der App nicht nur Schüler, sondern auch Eltern, Großeltern oder ehemalige Schüler einen Lehrer bewerten können, macht die Bewertungen nicht unzulässig. Denn auch die genannten Personen können eine für den Diskurs wertvolle Meinung über einen Lehrer haben. Wer fordert, den Benutzerkreis auf Schüler einzuschränken, vernachlässigt zudem, dass ein Appbetreiber hierfür sowohl die Identität eines jeden Nutzers überprüfen als auch den Besuch einer konkreten Klasse verifizieren müsste.

Abgesehen davon, dass dies praktisch kaum zu bewerkstelligen wäre, wäre es ein Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz aller Nutzer. Diese Verifikation würde Nutzer wohl derart von der Äußerung ihrer Meinung abschrecken, dass das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt wäre.

An der App wurde ebenso kritisiert, dass sie eine Liste aller Lehrer an allen österreichischen Schulen enthält. Dies ist für den Betrieb der App notwendig, um Doppelnennungen derselben Lehrer und damit verfälschte Gesamtbewertungen zu vermeiden.

Da die Daten soweit ersichtlich aus öffentlichen Quellen stammen, ist die Erhebung und Bereitstellung dieser personenbezogenen Daten (Name und Schule des Lehrers) allerdings durch ein überwiegendes berechtigtes Interesse gerechtfertigt.

Haftung des Appbetreibers

Eine Plattform, die nutzergenerierte Inhalte speichert, kann diese Inhalte nicht alle vorab dahingehend prüfen, ob diese richtig bzw. nicht ehrverletzend sind. Weder ist dies wirtschaftlich zumutbar, noch lassen sich Fragen der Rechtmäßigkeit vorab mit Gewissheit beantworten.

Der Gesetzgeber hat daher erstens klargestellt, dass Plattformen, die nutzergenerierte Inhalte speichern, nicht dazu verpflichtet werden dürfen, diese Inhalte bzw. ihre Nutzer allgemein zu überwachen. Zweitens haften derartige Plattformen für rechtswidrige Inhalte grundsätzlich nur, wenn sie tatsächliche Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten haben und die Rechtswidrigkeit auch für einen juristischen Laien offenkundig ist.

Die anonyme Bewertung von Lehrern ist daher vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt. Sieht ein Lehrer seine Persönlichkeitsrechte durch einzelne Bewertungen verletzt, muss er sich an den Appbetreiber wenden und darlegen, inwiefern die Bewertungen rechtswidrig sind.

Bis es gelingt, in Schulen eine moderne Feedbackkultur zu etablieren, die es Schülern und Eltern ermöglicht, offen Kritik zu äußern, sind wir auf Lehrerbewertungsapps angewiesen. (Lukas Feiler, Mirjam Tercero, 25.11.2019)