Gerhard Zeiler fordert eine Neuaufstellung der SPÖ, inhaltlich wie auch personell. Pamela Rendi-Wagner sei dennoch die richtige Person an der Stelle.

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Die SPÖ müsse sich als linke, progressive Volkspartei neu erfinden, meint Zeiler.

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Das Interview fand im Presseclub Concordia vor der Buchpräsentation statt. Anwesend waren auch Peter Pelinka, der Zeiler bei der Arbeit an dem Buch unterstützt hat, und Oliver Herrgesell, sein Mitarbeiter, der ihm nach New York gefolgt ist.

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Der Medienmanager beklagt im Interview die Veränderungsunwilligkeit vieler SPÖ-Funktionäre.

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Gerhard Zeiler hat am Montag in Wien sein Buch "Leidenschaftlich rot" präsentiert. Der Medienmanager, der privat in Salzburg und beruflich in New York und London zu Hause ist, sieht die SPÖ sehr kritisch, verteidigt aber Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, die "die Loyalität der SPÖ verdient" habe.

STANDARD: Was gefällt Ihnen derzeit an der SPÖ nicht?

Zeiler: Gestatten Sie mir einmal zu sagen, warum ich dieses Buch geschrieben habe und warum ich es nicht geschrieben habe. Ich habe es nicht geschrieben, um abzurechnen mit der SPÖ. Das heißt nicht, dass ich einzelne Personen oder inhaltliche Positionierungen nicht kritisch sehe. Das Buch ist aber nicht als eine Bewerbung für den Parteivorsitz gedacht.

STANDARD: Es liest sich allerdings so.

Zeiler: Das können Sie so sehen, ich weiß aber, dass es nicht so ist. Ich bin der Meinung, dass die derzeitige Parteivorsitzende die richtige Person ist, um einen Neubeginn zu starten. Sie ist vor einem Jahr Vorsitzende geworden, sie hat das richtige Alter. Ich hoffe, dass sie in den nächsten Monaten ein Team um sich schart, dass eine Verjüngung der Partei auch mit mehr Frauen stattfindet, dass sie auch eine neue inhaltliche Positionierung festlegt. Ganz nebenbei wäre es auch notwendig, dass sich die Parteivorsitzende ein Team schafft, das marketing- und kommunikationsspezifisch auf dem letzten Stand ist.

STANDARD: Sie führen in Ihrem Buch aus, dass es Ihnen rückblickend leidtut, nicht gegen Christian Kern in einer Kampfabstimmung angetreten zu sein. Sie waren schon mehrere Male für den Vorsitz der SPÖ im Gespräch. Hätten Sie das nicht viel offensiver angehen müssen?

Zeiler: 2016, nach dem Rücktritt von Werner Faymann, gab es die Entscheidung, ob Christian Kern oder ich Parteivorsitzender werde. Die Mehrheit der Landesparteien hat sich für Kern ausgesprochen. Damit war das Thema für mich erledigt.

STANDARD: Sie waren auch im heurigen Mai sehr intensiv für den Parteivorsitz im Gespräch.

Zeiler: Das hat mich ausschließlich über Zeitungsartikel erreicht. Ich habe mit niemanden in der SPÖ darüber geredet. Die einzige Situation, wo ich durchaus bereit gewesen wäre, war 2016, und das ist vorbei.

STANDARD: Sie haben in Ihrem Buch ein sehr umfangreiches Programm für die SPÖ vorgelegt. Vieles von dem, was Sie hier skizzieren, findet man bei Rendi-Wagner so nicht. Es gibt die Öffnung nicht, es gibt die Verjüngung nicht, es gibt die Neupositionierung nicht, die breitere Aufstellung nicht.

Zeiler: Lassen Sie ihr doch Zeit. Bruno Kreisky ist 1967 zum Parteivorsitzenden gewählt worden, er hat auch drei Jahre Zeit gehabt, um die Erneuerung der Partei voranzutreiben. In den nächsten Jahren geht es darum, die SPÖ inhaltlich und auch personell neu aufzustellen. Ich finde, dass Rendi-Wagner von allen Personen, die dafür infrage kommen, am besten geeignet ist, das auch umzusetzen.

STANDARD: Sollte die innerparteiliche Diskussion jetzt wieder Fahrt aufnehmen und Rendi-Wagner von sich aus den Parteivorsitz zurücklegen ...

Zeiler: Die Antwort ist Nein.

STANDARD: Und wenn man Sie sehr ersuchen würde ...

Zeiler: Es gibt nur eine Antwort, sie hat vier Buchstaben ...

STANDARD: Was ist konkret Ihre Kritik an der SPÖ?

Zeiler: Die inhaltliche Positionierung ist zu verschwommen. Ich glaube nicht, dass sehr viele Menschen wissen, wofür die SPÖ heute steht. Die Positionierung ist zu eng gesteckt, das richtet sich an Stammwähler. Natürlich muss das Thema der sozialen Gerechtigkeit zentral sein. Aber das alleine reicht nicht. Die Sozialdemokratie war immer dann stark, wenn sie sich als Volkspartei aufgestellt hat. Als linke, progressive Volkspartei, die Koalitionen ermöglicht hat. Was mich an der SPÖ stört, ist diese Veränderungsunwilligkeit. Viele Parteifunktionäre wollen alles nur so belassen, wie es ist. Sie vergessen dabei, dass wir uns in einer gesellschaftlichen Dynamik befinden, in der sich die Welt rasant ändert. Wir können diese Zukunft mitgestalten. Es gibt das Lied der Sozialdemokratie: "Mit uns zieht die neue Zeit." Bei manchen Parteifunktionären hab ich das Gefühl, wenn sie das hören, denken sie: "Bloß nicht mit mir."

STANDARD: Welche Themen fehlen Ihnen bei der SPÖ?

Zeiler: Klimawandel, eine klare Antwort auf die Migration, Bildung. Es fehlt auch, dass die SPÖ immer eine wirtschaftsfreundliche Partei war. Es fehlt das ganz klare Bekenntnis zu Europa. Es fehlt vor allem eines: dieser Zukunftsoptimismus. Die SPÖ muss Zukunftsthemen in einem positiven, optimistischen Zusammenhang beschreiben. Es gibt zwei große Themen bei der Jugend, bei den materiell Orientierten sind es Leistung und Aufstieg, das wird nicht von der SPÖ bedient, bei den anderen ist es die Nachhaltigkeit, der Kampf gegen den Klimawandel, das hat die SPÖ mehr oder minder den Grünen allein überlassen.

STANDARD: Gibt es inhaltliche Überschneidungen mit der ÖVP, etwa in der Migrationsfrage?

Zeiler: Die Antwort der Sozialdemokratie auf die Migration muss eine sozialdemokratische sein. Auf der einen Seite muss allen Versuchen, das Asylrecht auszuhöhlen, entgegengetreten werden. Menschlichkeit kann man nicht an der Grenze ablegen. Auf der anderen Seite müssen die Ängste und Nöte der Bevölkerung ernst genommen werden. Das heißt in erster Linie, Regeln zu schaffen. Regeln, wer zu uns kommen darf und wer nicht, aber auch Regeln für die Integration, für jene Menschen, die bei uns sind. Wir müssen einen Vertrag mit jeder Person, die zu uns kommt, schließen. Einen Vertrag, wo wir als Gesellschaft und als Staat sagen, wir werden unser Allerbestes tun, damit du eine Ausbildung bekommst, die adäquat ist, damit du auch einen Job finden kannst, eine leistbare Wohnung, dass deine Familie nachziehen kann. Aber auf der anderen Seite musst du die Werte unserer Gesellschaft, die Werte des Hauses Europa akzeptieren. Das heißt, Menschenrechte akzeptieren, Meinungsfreiheit, die Gleichstellung von Mann und Frau, die Trennung von Staat und Kirche und die Einhaltung der Gesetze. Der, der glaubt, dass die Scharia das richtige Organisationssystem ist, der ist bei uns fehl am Platz. Ich zitiere hier Sarah Wagenknecht: Wer die Gastfreundschaft verletzt, hat das Gastrecht verloren. Das erwarten sich die Österreicher von einer Regierung, auch von der SPÖ.

STANDARD: Wo sehen Sie die Rolle der SPÖ? In der Opposition oder doch in der Regierung? Ist die Stützung einer Minderheitsregierung von Sebastian Kurz denkbar?

Zeiler: In der jetzigen Position braucht es eine gesamthafte innerparteiliche Diskussion über einen Neuanfang. Ich bin dafür, in der Situation keine Regierungsbeteiligung anzustreben. Bevor allerdings wieder eine türkis-blaue Regierung kommt, muss man sich das natürlich überlegen. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, eine Minderheitsregierung von Kurz etwa auf zwei Jahre zu unterstützen. Da müsste klargestellt sein, dass die zwei wichtigsten Forderungen der SPÖ umgesetzt werden: Mindestlohn von zehn Euro die Stunde und im Kampf gegen den Klimawandel eine sozial abfederte CO2-Abgabe. Wenn das mit Kurz vereinbart werden könnte, würde ich das nicht ausschließen. Aber davon ist heute nicht die Rede. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Türkis-Grün kommt, ist relativ groß. (Michael Völker, 25.11.2019)