Die deutsche Feministin und Publizistin Alice Schwarzer wird an der Universität für angewandte Kunst Wien über die Kraft von Kampagnen reden – auch mit jenen, die eigentlich nicht wollen, dass sie dort spricht.

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Angloamerikanische Universitäten haben damit schon einige Erfahrung, in Österreich ist es ein relativ neues Phänomen: der Ruf von studentischer Seite nach "safe spaces", also sicheren Orten, "trigger warnings", also Warnungen vor potenziell verstörenden Textstellen (eine Oxford-Dozentin berichtete laut "FAZ" davon, dass viele ihrer Studierenden "gewarnt werden wollen, wenn eine Stelle naht, die irgendetwas in ihnen anrichten könnte", zum Beispiel die Vergewaltigung Lavinias in Shakespeares "Titus Andronicus"), oder aber Proteste gegen Veranstaltungen, weil der oder die Vortragende aus unterschiedlichsten Gründen nicht passt, weil das Thema nicht passt oder weil sich schlicht jemand "unwohl fühlt" mit dem, was auf universitärem Boden passiert.

Die "FAZ" listete erst unlängst ein paar Fälle aus Frankreich auf, die zu einem Aufruf prominenter Intellektueller geführt hatten, die akademische Freiheit notfalls auch mit "polizeilichen Mitteln" zu schützen. So durfte etwa in Bordeaux eine Philosophin nicht gegen die Leihmutterschaft argumentieren, weil das homophob sei. An der Sorbonne wurde ein Seminar über die "Anzeichen von Radikalisierung" und die Aufführung eines Stücks von Aischylos mit schwarzgeschminkten Darstellern verboten: Islamophobie und Rassismus.

Einen, wenn auch etwas anders gearteten Zwischenfall gab es in Österreich vergangene Woche. Studierende haben eine Vorlesung des Historikers Lothar Höbelt an der Uni Wien gestört und "Nazis raus" skandiert. Anlass der Protestaktion war ein Vortrag, den der außerordentliche Professor und FPÖ-Historiker bei der rechtsextremen "Herbstakademie" des Freiheitlichen Akademikerverbands Steiermark (FAV) halten soll.

ÖH will "sicheres Umfeld für alle"

Montagabend (25. November) gab es auch in Österreich einen Anlass für eine Debatte um die freie Rede an Universitäten: Die HochschülerInnenschaft der Universität für angewandte Kunst (Hufak) protestierte gegen einen Auftritt der deutschen Feministin und Publizistin Alice Schwarzer. Sie soll Montagabend mit der "Klasse für Ideen" und deren Professor Matthias Spaetgens diskutieren. Und das stößt der Studierendenvertretung mehr als unangenehm auf, wie sie in einem Protestschreiben, das am Montag auch via Twitter kursierte, wissen ließ.

Man setze sich "für eine diskriminierungsfreie Hochschulkultur und ein sicheres, integratives und respektvolles Umfeld für alle ein", hieß es in dem Flugblatt, und darum wende sich die ÖH gegen die Einladung Alice Schwarzers.

"Veralteter Feminismus"

Die ÖH der Angewandten wirft Schwarzer vor, unter dem Label Feminismus "antimuslimischen Rassismus" zu betreiben. Ihr feministischer Zugang sei "veraltet und inakzeptabel", sie habe mehrfach "antimuslimische Verhaltensweisen" gezeigt.

Im STANDARD-Gespräch erklärten zwei ÖH-Funktionärinnen ihre Kritik an Schwarzers Auftritt damit, "dass wir uns einen diskriminierungsfreien Diskurs wünschen". Alice Schwarzer habe sich mehrfach "sexarbeitsfeindlich, transphob und antimuslimisch-rassistisch geäußert". Über diese Diskriminierungen dürfe man "nicht hinwegsehen. Diese Kämpfe sind nicht voneinander losgekoppelt."

Gefragt, ob nicht gerade die Universität ein Ort sein sollte, an dem kontroversielle Positionen ausgetauscht werden können, hieß es: "Universitäten könnten dieser Ort sein, wenn auch andere Positionen eingeladen werden würden." Alice Schwarzer sei "die bekannteste Feministin" und "eine sehr relevante Persönlichkeit im feministischen Diskurs, aber seit ihren Aktionen hat sich viel in unserer Gesellschaft getan, auch im Feminismus, Gott sei Dank. Wir wollen eine inklusivere, intersektionale Feminismusdebatte. Das wollen wir nicht verpassen, gerade auch im universitären Diskurs."

Nicht Meinungen verbieten, aber mehr Meinungen

Es gebe viele andere Feministinnen, aber es werde immer nur die Position eingeladen, die Schwarzer repräsentiere: "Es geht einfach nicht, dass schon wieder eine weiße Frau etwas dazu sagen darf", kritisieren die ÖH-Vertreterinnen: "Die Geschichte des Feminismus ist nicht nur weiß. Wir wünschen uns eine Bühne, auf der mehrere Stimmen gehört werden." Wenngleich die beiden ÖH-Vertreterinnen betonen, dass es ihnen nicht darum gehe, "irgendeine Meinung zu verbieten".

Im Protestbrief wird jedenfalls eine "klare Positionierung" der Universität gegenüber Menschen, "die ihr rassistisches, transphobes und sexarbeitsfeindliches Verhalten regelmäßig zum Ausdruck bringen", gefordert: "Die Universität muss ein kompromissloses und sicheres Umfeld für ihre Studierenden gewährleisten und die Rolle als Bildungseinrichtung ernst nehmen."

Mitgetragen wurde das Papier von den Muslimischen Österreichischen Hochschüler_innen, dem Queer*feministischen Referat der Hochschüler_innenschaft der Akademie der bildenden Künste und Queer Feminist Meetings (QFM).

Rektor pocht auf kritischen Diskurs an Unis

Rektor Gerald Bast, der mit der ÖH einen "intensiven Austausch" bezüglich der Veranstaltung mit Schwarzer hatte, sagte Montagnachmittag im STANDARD-Gespräch: "Man kann unterschiedlicher Meinung sein, aber Universität ist für mich – auch entgegen anderer Tendenzen – immer noch ein Ort des kritischen Diskurses. Das ist die Aufgabe von Universitäten: Leute diskutieren zu lassen. So bringt man Neues in die Gesellschaft."

Ihn habe "die Vehemenz der Forderung, eine Diskussionsveranstaltung auf universitärem Boden nicht stattfinden zu lassen, überrascht". Ursprünglich habe die Hochschülerschaft der Angewandten gefordert, die Veranstaltung mit der deutschen Feministin abzusagen, das sei für ihn aber nicht infrage gekommen. Seine Antwort war: "Nein, das macht diese Universität nicht. Dass passt nicht zu uns. Alice Schwarzer wird aktiv auf die Vorwürfe eingehen und Stellung nehmen und sich dann einer Diskussion stellen."

Gefragt, ob er mit etwaigen Protesten bei der öffentlichen Veranstaltung rechne, sagte Bast: "Das hält eine Universität aus. Das muss eine Universität aushalten." Proteste ebenso wie Veranstaltungen, die nicht allen in den Kram passen. "Ich bin ein Anhänger von engagierten, zivilisierten Diskussionen", betont Bast.

Professor verteidigt Einladung

Das war auch die Idee des Organisators der Diskussion mit Schwarzer. Professor Matthias Spaetgens, der seit 2010 den Bereich Grafik und Werbung an der Angewandten alias die "Klasse für Ideen" leitet, zeigte sich im STANDARD-Gespräch denn auch "überrascht" von der Aufregung über den Schwarzer-Besuch in seiner Klasse. Die Einladung dazu sei nämlich in einem ganz bestimmten Kontext erfolgt, der entscheidend sei.

Er wolle seinen Studierenden vermitteln, wie man "mit Mitteln der Kreativität und Kommunikation einen Beitrag leisten kann, um die Gesellschaft zu verändern. Es soll um erfolgreiche Kampagnen für die Gleichstellung von Mann und Frau gehen und um die Identifikation von Handlungsfeldern. Das war mein Beweggrund, sie einzuladen."

Ein Beispiel dafür sei das Thema Feminismus, und Alice Schwarzer sei eine Repräsentantin dessen, wie mit Kampagnen große, gesellschaftsverändernde Interventionen gelungen seien, erklärt Spaetgens. Die bekannteste Aktion fand im Rahmen der Debatte um die Legalisierung der Abtreibung in Deutschland 1971 statt, als im "Stern" 374 Frauen öffentlich bekannten "Wir haben abgetrieben!". Er wolle mit seinen Studierenden mit Schwarzer darüber reden, wie Kampagnen funktionieren, was sie verändern können.

Dass er eine, wie die ÖH sagt, "weiße Frau", die vor ein paar Jahrzehnten feministische Kampagnen gemacht habe, einlade, erklärt Spaetgens so: "Ich will Brücken bauen, auch zu meinen Studierenden, und ihnen diesmal am Beispiel Feminismus zeigen: Die Gleichstellung war nicht immer wie heute. Und es gibt noch einiges zu tun."

"Weiße Männer" und Feminismus

Dazu gehört auch, dass heute so manch feministische Aktion von "weißen Männern" unterstützt wird. Spaetgens kann seinen Studierenden dazu ein Beispiel der Werbeagentur Scholz & Friends in Deutschland, deren Partner und Chief Creative Officer er ist, bringen, um die Kraft von Kampagnen zu erklären. Aus Protest gegen den Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf Tampons, Binden und andere Hygieneprodukte für die Menstruation (im Gegensatz zum ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent für andere Dinge des täglichen Bedarfs) unterstützte seine Werbeagentur "The Tampon Book – Das Buch gegen Steuerdiskriminierung". Darin werden Tampons verpackt und als Buch verkauft – zum begünstigten Steuersatz von sieben Prozent. Es war – neben einer Petition, die mehr als 190.000 Menschen unterschrieben haben – eine Aktion, die gezeigt habe, "wie mit der Kraft von Ideen Veränderungen möglich sind", sagt Spaetgens. Vor zweieinhalb Wochen beschloss der Bundestag, dass der Steuersatz auf Tampons et cetera ab 2020 auf sieben Prozent herabgesetzt wird.

Vor Beginn des von Professor Spaetgens moderierten Gesprächs mit Alice Schwarzer wurden in der Aula der Angewandten dann von Kritikerinnen und Kritikern der Veranstaltung Transparente mit Slogans wie "Sexwork is Work. your feminism is not valid", "No Space for Racism, Sexism and Transphobia at University" oder "Alice Schwarzer vergleicht Kopftuch mit Judenstern" aufgehängt.

Schwarzer wehrt sich gegen Sprechverbote

Schwarzer selbst sagte im STANDARD-Gespräch vor der Veranstaltung auf die Frage, ob sie an deutschen Universitäten schon mit ähnlichen Protesten konfrontiert war: "Nein, mir ist das noch nicht passiert. Aber das passiert im Moment ja auf der ganzen Welt, dass kleine Gruppen anderen Sprechverbote auferlegen wollen. Der Kern ist immer die Fragen nach Islam oder Islamismus."

Dabei sei die Ironie an der Sache mit den Vorwürfen des "antimuslimischen Rassismus" die, dass "ich mich noch nie auch nur mit einer Zeile zum Islam geäußert habe, weil das ist Glaube, und das ist nicht mein Thema", sagte Schwarzer: "Ich beschäftige mich seit 1979 mit dem politischen Islam, also mit Islamismus. Und es ist eine bekannte Strategie, jegliche Kritik am politischen Islam mit Kritik am Islam gleichzusetzen. Man kritisiert eine Ideologie – und wird im Gegenzug dafür kritisiert, dass man Rassistin sei. Dabei waren die ersten Opfer der radikalen Islamisten immer die aufgeklärten Musliminnen und Muslime. Das ist ein zynisches Verwirrspiel, das hier läuft."

Zu Beginn des eigentlichen Gesprächs über die Kraft von Kampagnen reagierte Schwarzer dann in einem Statement auf die von den ÖH-Vertreterinnen formulierten Vorwürfe. Sie erklärte unter anderem den langen Kampf der von ihr gegründeten Zeitschrift "Emma" gegen den "Kreuzzug des politischen Islam". Beim Satz "Islamfeindlichkeit ist mir ziemlich fremd" drang jedoch umgehend höhnisches Gelächter aus der letzte Reihe nach vorne. Daraus entstand eine minutenlange Gegenrede in Schreilautstärke nach vorn, die in Variationen um den Begriff "antimuslimischer Rassismus" kreiste.

"So ein unsolidarischer Haufen hier!"

Die große Mehrheit der Zuhörerinnen und Zuhörer reagierte irgendwann genervt von den anhaltenden "Das ist antimuslimischer Rassismus"-Zwischenrufen und Fragen, warum Schwarzer hier denn ein Podium bekomme. Schwarzer rief ihrerseits irgendwann "Jetzt ist Schluss!", und letztendlich verließen rund zehn Personen den Saal mit einer letzten Botschaft an jene, die bleiben wollten: "So ein unsolidarischer Haufen hier!"

In der Fragerunde gegen Ende des fast zweieinhalbstündigen Gesprächs deponierte Schwarzer noch ihre Position zum Kopftuch: "Ich bin lediglich für ein Kopftuchverbot in der Schulen für Schülerinnen und Lehrerinnen und allgemein für Mädchen bis 14."

Kopftuch und Prostitution

Und sie skizzierte die Konfliktpunkte zwischen den zwei Strömungen im internationalen westlichen Feminismus: Auf der einen Seite stehe der universalistische Feminismus, dem sie sich zugehörig fühlt, der universell und antibiologistisch sei, also im Namen des Gemeinsamen argumentiere. Auf der anderen Seite stehe der Differenzialismus, dessen Position Schwarzer so beschrieb: "Die plädieren für das Recht auf das Kopftuch und für die positive Bejahung der Prostitution. Das geht immer Hand in Hand: Kopftuch und Prostitution."

Während sie, Schwarzer, die objektive Bedeutung des Kopftuchs und die Ideologie dahinter (den politischen Islam) kritisiere und gegen die "Salonfähigkeit der Prostitution" eintrete: "Der Begriff Sexarbeit ist zynisch. 95 Prozent der Prostituierten sind Armuts- oder Zwangsprostituierte. Und es widerspricht meinem Menschenbild, dass man für Geld den Körper und die Seele eines Menschen anfassen darf."

AG gegen "Meinungsdiktatur"

Die AktionsGemeinschaft reagierte am Dienstag auf die Veranstaltung an der Angewandten und die Proteste der dortigen ÖH gegen Schwarzers Auftritt, indem sie sich "gegen Meinungsdiktatur an Hochschulen" aussprach: "Eine Universität ist kein ,safe space' und Unwohlsein keine Gefahr. Unsere Hochschulen sollten ein Ort des gemeinsamen Diskurses sein und sein dürfen. Es soll respektvoll und auf Augenhöhe gestritten und diskutiert werden, aber wir dürfen uns nicht gegenseitig den Mund verbieten", sagte AG-Bundesobfrau Sabine Hanger. Die ÖH solle "sich wieder auf die universitären Werte zurückbesinnen: Meinungsfreiheit, Wissensaustausch und ein offener Diskurs." (Lisa Nimmervoll, 25.11.2019)