Öffentlichkeitsscheu nur, wenn es um Fotos geht: Camae Ayewas alias Moor Mothers Musik geht auf die Nerven – und an die Nieren.

Foto: Don Giovanni

Die aus Philadelphia kommende US-amerikanische Spoken-Word-Künstlerin, Musikerin und Politaktivistin Camae Ayewa alias Moor Mother zählt seit einigen Jahren zu den meistgebuchten Künstlern eines Genres, das schon seit geraumer Zeit eine Neuausrichtung versucht. Zumindest von der Buchungslage her findet eine Ablöse weißer alter Männer statt, die zu brülllauten, kreischenden und pfeifenden elektronischen Weltuntergangssounds das Auseinanderbrechen der westlichen Kleinfamilienstruktur, eigene psychische Probleme, Paranoia sowie das allgegenwärtige, die Weltherrschaft anstrebende „System“ zwischen Politik, Religion und gesellschaftlichem Druck beklagen.

Nicht, dass Künstlerinnen wie Pharmakon, Lingua Ignota oder Heather Gabel von Hide vor allem auch live viel anders klingen würden als zuletzt Zeitgenossen wie die – kleine, spontane Auswahl – Testosteron-Acts The Body, Ben Frost, Burial Hex oder Vatican Shadow, wenn sie nicht gerade dazwischen eine musikalische oder Ambient-Phase machen. Motto: Auf sie mit Gebrüll. Und das Gebrüll geht im Mahlstrom des Sounds unter.

Der Zorn der Gerechten

Auch bei Moor Mother kann man harschen Industrial-Krawall aus dem Laptop hören. Die Zeiten sind nicht gut. Das waren sie nie. Bei diesem unwirschen Gepolter greift jedenfalls König Tinnitus beherzt in die Steckdose, um dann vor lauter Pein loszuheulen wie die Trompeten von Jericho. Darüber werden mit elektrischer Flüstertüte der Zorn der Gerechten und die apokalyptischen Reiter herbeigerufen. So richtig mit Musik und einem anderen als körperlichen Aufruhr hat das allerdings wenig zu tun.

Don Giovanni Records

In der jüngeren Vergangenheit hat Moor Mother aber als ungleich wandlungsfähigere Künstlerin sowie als quotenmäßige Idealbesetzung als junge afroamerikanische und queere Frau auf traditionell männlich dominierten Elektronik- und Avantgardefestivals verschiedenste musikalische Projekte präsentiert. Sie war die letzten Jahre mehr oder weniger dauernd unterwegs. Sie arbeitete, neben ihrer im körperlichen Raubbau betriebenen Solokarriere seit ihrem Durchbruch mit Fetish Bones von 2016, mit dem London Contemporary Orchestra zusammen, mit Rapper Elucid von Armand Hammer oder mit Free-Jazz-Altvater Roscoe Mitchell vom Art Ensemble of Chicago sowie den jungen Improvisateuren von Irreversible Entanglements. Im Projekt 700 Bliss reimte sie zu schräger Clubmusik. Mit Justin Broadrick (Godflesh) und Kevin Martin (The Bug) stehen als Zonal schwere Industrial-Dub-Beats auf dem Programm.

Dystopischer Afrofuturismus

Nebenher liegt jetzt auch ein neues Soloalbum von Moor Mother vor, die ihren eigenen Stil so beschreibt: „Low fi / dark rap / chill step / blk girl blues / witch rap / coffee shop riot gurl songs / southern girl dittys / black ghost songs.“ Das Album trägt den Titel Analog Fluids of Sonic Black Holes. Wenn die afroamerikanische Lebensrealität aktuell nicht so dystopisch angelegt wäre, könnte man bei Moor Mother von einer Vertreterin der Schule des „Afrofuturismus“ sprechen. Im Wesentlichen drehen sich ihre Texte aber um den aktuellen Zustand der afrikanischen Diaspora, um strukturellen Rassismus und das Erbe der Sklaverei: „They’ve been killing since the beginning of time.“ Auch „Slaveship Punk“ ist eine Selbstbeschreibung Moor Mothers. Bei Don’t Die, dem gemeinsam mit Endzeit-Prediger Saul Williams vorgetragenen Black Flight oder bei Repeater trifft Angst auf Wut und Pessimismus auf Hoffnung: „I hope you get what you’ve been giving out / I hope you choke on all the memories.“

Don Giovanni Records

Stampfende elektronische Beats, alte Blues- und Gospel-Samples („Nobody knows the trouble I’ve seen ...“), unbehaglich quietschende und bohrende Störgeräusche, die an die Nieren und auf die Nerven gehen. Der Kampf geht weiter: „Don’t let death compliment you / No matter how ugly you feel.“ (Christian Schachinger, 26.11.2019)