Wann immer es geht, stellt sich Königin Elisabeth II. vor ihren Lieblingssohn Prinz Andrew. Im Fall Epstein war das nicht mehr möglich.

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Kritik an Königin Elisabeth II. hat es immer wieder gegeben. Biografen und Zeitungskolumnisten, die Produzenten unzähliger Filme und zuletzt der glamourösen Fernsehserie The Crown haben sich über viele Jahrzehnte an Elizabeth Alexandra Mary Windsor abgearbeitet. An der 93-Jährigen, die seit 1952 auf dem Thron sitzt, der Monarchin des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland sowie weiterer 15 Mitgliedsstaaten des Commonwealth, von Australien bis Tuvalu. Zu langweilig, zu schweigsam, zu konservativ sei sie, hieß es. Nur unprofessionell, das hat sie noch niemand genannt.

Wie absurd dieser Vorwurf wäre, ließ sich vergangene Woche gut beobachten. Am Mittwochabend, eine knappe halbe Stunde nach der Erklärung, ihr Lieblingssohn Prinz Andrew ziehe sich aus der Öffentlichkeit zurück, traf die Monarchin beim Londoner Thinktank Chatham House ein. Mit freundlichem Lächeln überreichte sie dem berühmten Naturfilmer David Attenborough – eine lebende Legende wie sie selbst – einen Preis, scherzte mit dem Leiter des Instituts und ließ mit keiner einzigen Sorgenfalte erkennen, wie schwer die letzten Tage für sie gewesen sein müssen.

Unwillkürlich fühlten sich viele Beobachter an die vermeintlichen Einblicke, die die aufwendig gestaltete Netflix-Serie liefert, erinnert: Wie ihre Darstellerin der Lebensmitte, Oscar-Preisträgerin Olivia Colman, geht die Königin unbeirrt von den Skandalen um sie herum durchs Leben.

Immer wieder Eskapaden

Waren es in den 1960er-Jahren die Eskapaden ihrer jüngeren Schwester Margaret, brillant verkörpert von Helena Bonham Carter, in den 1990er-Jahren der Scheidungskrieg zwischen Thronfolger Charles und seiner Frau Diana, so kam in den vergangenen Tagen ihr zweiter Sohn Andrew wegen seiner Verbindungen zu dem Sexualstraftäter Jeffrey Epstein nicht mehr aus den Schlagzeilen.

Es habe in der Familie Windsor seit Königin Victoria (1837–1901) immer wieder solche Paradiesvögel und Skandalnudeln gegeben, erläutert Prinzgemahl Philip, gespielt von Tobias Menzies, in der neuen Crown-Staffel. Seine Gattin hingegen, fügt der Abkömmling des Hauses Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg in charakteristischer Direktheit hinzu, gehöre eben zu der anderen Kategorie: den Vorsichtigen, Pflichtbewussten, ein wenig Langweiligen.

Mag sein, dass der Begleiter aus mehr als 72 Ehejahren der Königin als Ratgeber fehlt. Den mittlerweile 98-Jährigen behellige sie mit schwierigen Problemen nicht mehr gern, heißt es im Umfeld des Buckingham Palace. An seine Stelle treten zunehmend Thronfolger Charles (71) und dessen älterer Sohn William (37).

Botschaft aus Neuseeland

Besonders Ersterer soll sich in den vergangenen Tagen immer wieder von seinem Staatsbesuch in Neuseeland aus gemeldet und auf Konsequenzen für Prinz Andrew gedrängt haben. Immerhin drohte der britischen Monarchie selbst Missgeschick, und an dieser Stelle kennen die Windsors kein Pardon.

Elisabeth II. ist geprägt vom Trauma der Abdankung Eduard VIII. vor nunmehr 83 Jahren. Aus unmittelbarer Nähe erlebte die Zehnjährige mit, wie ihr stotternder Vater als Georg VI. die Nachfolge antreten und die Institution aus schwerem Fahrwasser führen musste. An ihrem 21. Geburtstag, der damals die Volljährigkeit markierte, hat die damalige Prinzessin 1947 ein öffentliches Gelöbnis abgelegt: Sie werde ihr „ganzes Leben, ob es lang währt oder kurz, dem Dienst an Ihnen und an der großen imperialen Familie widmen“.

Mag die imperiale Familie stark zusammengeschrumpft sein, mögen die Premierminister an ihr vorbeidefilieren – Boris Johnson ist der 14. ihrer Amtszeit –, mögen wichtige Berater in den Ruhestand treten, „Elizabeth, die Pflichtbewusste“, so Biograf Andrew Roberts, bleibt im Dienst.

Nur einmal, in einem lange zurückliegenden Fernsehporträt, hatte die Queen ein wenig Einblick in ihre Gedankenwelt gegeben. Da redete die Pferdeliebhaberin und Rennstallbesitzerin über sich selbst beinahe wie über eines ihrer Pferde: „Man kann viel erreichen, wenn man ordentlich geschult worden ist – und ich hoffe, ich bin ordentlich geschult.“

Auf jeder britischen Münze wird sie bis heute „Königin von Gottes Gnaden“ genannt, aber die Devotheit der 1950er-Jahre ist säkularer Skepsis gewichen. Die Popularität der Monarchie muss immer wieder aufs Neue erarbeitet werden, und Elisabeth lässt sich nicht lange bitten. Bei Hunderten von Terminen jährlich trägt die Queen stets auffallende Kleidung und lässt sich von durchsichtigen Schirmen vor Regen schützen. Das Staatsoberhaupt zeigt sich seinem Souverän, dem Volk.

Aus der Zeit gefallen

Sie ist der inkarnierte Anachronismus, mit ihrem täglichen Privatgebet aus der Zeit ihres weitgehend säkularisierten Landes gefallen, eine unmoderne Frau, deren innere Welt sich so radikal von der der meisten ihrer Untertanen unterscheidet wie ihre äußerliche privilegierte Stellung. Und vielleicht bleibt Elisabeth, mittlerweile bei vielen öffentlichen Anlässen vertreten von Charles oder William, gerade deshalb das hochrespektierte Symbol der ungeschriebenen britischen Verfassung, die in letzter Zeit – Stichwort Brexit – unter massiven Druck geraten ist.

Bereits im Jänner bat sie die Vertreter der verhärteten Fronten im Kampf um Großbritanniens EU-Austritt um Mäßigung: „Gut übereinander reden und unterschiedliche Standpunkte respektieren; gemeinsam nach Übereinstimmung suchen. Und niemals das große Ganze aus den Augen verlieren.“ Der Appell verhallte ungehört. Auch daran hat sich die Monarchin gewöhnt. Ihr Leben sei nun einmal ein Paradox, lautet die prägnante Zusammenfassung des Londoner Autoren Andrew Gimson: „Sie hat Autorität und ist gleichzeitig machtlos.“

Machtlos in Causa Epstein

Die Autorität hat Prinz Andrew zu spüren bekommen, auch wenn sie sich wenige Tage später demonstrativ mit ihm zeigte. Freilich bleibt die Chefin der mittelständischen Firma Windsor machtlos gegenüber äußeren Faktoren wie der Frage, wann das hässliche Thema der Verwicklung des 59-Jährigen in den Missbrauchsskandal seines einstigen Freundes Epstein endlich aus den Schlagzeilen verschwindet. Das bleibt im wirklichen Leben genauso wahr wie in der fiktiven Darstellung bei The Crown. (Sebastian Borger aus London, 26.11.2019)