Bild nicht mehr verfügbar.

Trinity-Test: Aufnahme der ersten Atombombenexplosion der Welt am 16. Juli 1945, acht Sekunden nach der Zündung.

Foto: Picturedesk / Science Source

Bild nicht mehr verfügbar.

Vorbereitungen für den Trinity-Test im Juli 1945. Die erste sowjetische Kernwaffe wurde am 29. August 1949 auf dem Atomwaffentestgelände Semipalatinsk in Kasachstan getestet.

Foto: AP

Am 16. Juli 1945 erreichten die gigantischen Anstrengungen der USA zur Entwicklung von Atomwaffen ihren vorläufigen Höhepunkt. Um 5.29 Uhr Ortszeit explodierte auf einem Testgelände im US-Bundesstaat New Mexico die erste Atombombe der Welt. Nur vier Jahre später, im August 1949, testete die Sowjetunion zum Entsetzen des Westens ihrerseits erstmals eine Atombombe – und schuf damit das „Gleichgewicht des Schreckens“, das die Jahrzehnte des Kalten Krieges prägte.

Der vierte Mann

Der Bau der sowjetischen Bombe war durch Spionage im Manhattan-Projekt (so der Tarnname des US-Atomwaffenprogramms) erheblich beschleunigt worden. Drei Spione wurden bisher enttarnt: der aus Deutschland emigrierte Physiker Klaus Fuchs und die beiden US-Amerikaner David Greenglass und Theodore Hall. Nun sind Forscher auf einen vierten Spion gestoßen: Oscar Seborer, ein Elektroingenieur aus New York, lieferte zwischen 1942 und 1946 Informationen über die Bombe an die Sowjetunion.

Aus Angst, aufzufliegen, floh Seborer 1951 aus den USA und lebte bis zu seinem Tod 2015 unter falschem Namen in Moskau. Wie die US-Historiker Harvey Klehr und John Haynes in der aktuellen Ausgabe des CIA-Magazins "Studies in Intelligence" berichten, hatten die US-Sicherheitsbehörden Seborer tatsächlich auf dem Radar – allerdings erst mehrere Jahre nach seiner Flucht. Die Ermittlungen gegen ihn und Mitglieder seiner Familie, die ebenfalls für die Sowjetunion tätig waren, wurden unter Verschluss gehalten.

Zu welchen Informationen Seborer Zugang hatte und in welchem Ausmaß er spionierte, ist noch unklar. Klehr und Haynes zufolge sind viele Akten nach wie vor nicht einsehbar. Seborer, Jahrgang 1921, trat jedenfalls 1942 in die US-Armee ein und kam zunächst in eine Ingenieureinheit in Oak Ridge, Tennessee. Dort wurde an der Urananreicherung für Atomwaffen gearbeitet.

Von Los Alamos nach Moskau

1944 wurde Seborer dann in die aus dem Wüstenboden gestampfte Forschungsstadt Los Alamos in New Mexico versetzt, die zum Herzstück des Manhattan-Projekts wurde. Auch beim ersten Atombombentest im Juli 1945 hatte er zu tun: Seine Einheit war für die „Überwachung der seismologischen Effekte“ zuständig.

Archivakten des sowjetischen Geheimdiensts KGB machten Klehr und Haynes auf den Fall aufmerksam. Daraus ging hervor, dass es in den USA ein Netzwerk von Informanten gab, dem mehrere Brüder angehörten. Einer davon galt demnach als besonders wertvoller Kontakt: Er lieferte Informationen über die Atombombe. Kürzlich veröffentlichte Dokumente zu einer FBI-Operation aus den 1950er-Jahren erwiesen sich dann als heiße Spur zu Oscar Seborer und seinen beiden Brüdern Stuart und Max.

FBI-Dilemma

Dem FBI war es 1952 gelungen, zwei Führungsmitglieder der kommunistischen Partei der USA (CPUSA) als Informanten zu rekrutieren. In deren Berichten tauchten die Seborers immer wieder auf, 1955 wurde klar: Oscar und sein Bruder Stuart hatten sich in die Sowjetunion abgesetzt. „Oscar war in New Mexico, du weißt, was ich meine“, erfuhr einer der FBI-Spitzel von einem Verbindungsmann zum sowjetischen Geheimdienst. Er habe „die Formel für die A-Bombe“ weitergegeben, später seien „die Dinge zu heiß geworden“.

"Heiß" war die Sache aber auch für das FBI, da Ermittlungen zu den Seborers die Informanten im kommunistischen Führungszirkel der USA gefährden konnten. Wohl auch deshalb wurde die Angelegenheit allem Anschein nach nicht allzu energisch verfolgt und vor allem nicht publik gemacht: Die Spitzel-Operation in der CPUSA lief noch bis 1980.

Roter Stern und letzte Ehre

Die Brüder verließen die USA 1951 in Richtung Europa. Kurioserweise beantragten sie 1952 in Wien noch neue Pässe, ehe sie in der DDR untertauchten und sich später in Moskau niederließen. Oscar Seborer wurde dort 1964 der Orden des Roten Sterns für "herausragenden Dienst im Zuge der Verteidigung der Sowjetunion" verliehen. Er heiratete eine Russin und erzählte später einem Besucher, sich vollkommen "sowjetisiert" zu haben. Bei einer Rückkehr in die USA, sagte er damals, drohe seinem Bruder und ihm die Todesstrafe.

Klehr und Haynes zufolge starb Seborer im April 2015. Bei seinem Begräbnis soll ein Repräsentant des russischen Geheimdiensts FSB anwesend gewesen sein. Sein Bruder Stuart überlebte ihn offenbar – alle Versuche der Historiker, ihn zu kontaktieren, blieben aber erfolglos. (David Rennert, 26.11.2019)