Immer weiter im Text: Die Unzufriedenheit in der SPÖ ist Pamela Rendi-Wagner nicht entgangen, doch sie scheint den Platz an der Spitze verteidigen zu wollen.

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Der erste Rücktritt ließ nicht lange auf sich warten. Keine 24 Stunden nach der Schlappe bei der Landtagswahl übernahm Michael Schickhofer – wie es im Politjargon heißt – die „Verantwortung“: Bewegt, aber auch etwas erleichtert wirkte der steirische SPÖ-Chef, als er am Montagmorgen sämtliche Funktionen niederlegte.

Bleibt es dabei? Bald nach der Niederlage machte in roten Kreisen wieder einmal das Gerücht die Runde, dass auch in der obersten Etage der SPÖ ein Wechsel beschlossene Sache sei. Parteichefin Rendi-Wagner stehe, von Pleiten und Pannen zermürbt, unmittelbar vor dem Abgang.

Doch in diesem Fall dürfte der Wunsch Vater des Gedankens gewesen sein. Als „völligen Unsinn“ qualifiziert ein Sprecher der SPÖ-Zentrale das Rücktrittsgerede, und auch Rendi-Wagner selbst gibt sich kämpferisch: Sie sei fest entschlossen, den „Erneuerungsweg zu gehen“.

Eine Erklärung für das „schmerzliche Ergebnis“, das sich im Verlust von 5,5 Prozentpunkten samt historischem Tiefstand in der Steiermark niederschlug, haben Rendi-Wagner und ihr Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch bereits am Sonntag präsentiert. Indem Franz Voves nach der Landtagswahl 2015 trotz des erreichten ersten Platzes der ÖVP den Landeshauptmannsessel überlassen hat, habe die SPÖ auch den Führungsanspruch abgegeben – was die Aufgabe enorm erschwert habe, die eigenen Anhänger zum Wählen zu motivieren.

"Die SPÖ ist nicht oppositionsfähig"

Es gibt allerdings Genossen, die halten das nur für die halbe Wahrheit. Natürlich gehe ein „erheblicher Teil“ der Wahlschlappe auf das Konto von Voves, befindet Franz Schnabl, SPÖ-Chef in Niederösterreich, „doch auch der Gesamtzustand der Bundespartei ist für die Niederlage verantwortlich“. Schickhofer hätte im Wahlkampf schon ein echter Coup gelingen müssen, um gegen diesen Trend zu bestehen.

Er schließe sich dem Urteil des burgenländischen Landeshauptmannes Hans Peter Doskozil an, wonach die SPÖ in der derzeitigen Verfassung nicht regierungsfähig sei, sagt Schnabl im Gespräch mit dem STANDARD, fügt aber noch etwas an: „Angesichts der Schwierigkeiten der letzten Wochen komme ich zum Schluss: Die SPÖ ist derzeit auch nicht oppositionsfähig. Es ist klar, dass es so nicht weitergehen kann.“

Worauf der Landesparteichef mit seinem Urteil anspielt: Obwohl die alten Regierungsparteien ÖVP und FPÖ in der Affäre um Postenschacher- und Korruptionsverdacht bei den Casinos Austria Angriffsfläche bieten, wirkt die nominelle Oppositionsführerin Rendi-Wagner wie abgemeldet. Tagelang hat die SPÖ – nicht zum ersten Mal bei einer derartigen taktischen Frage – gezaudert, ehe sie sich zu einem Ja zu einem Untersuchungsausschuss durchrang. Nicht auszudenken, welche Geschütze Peter Pilz und die Freiheitlichen aufgefahren hätten, wäre die SPÖ in einen ähnlichen Skandal geraten, sagt Schnabl: „Opposition braucht eine klare Kante.“

Ruf nach "radikaler Grundbesinnung"

Die Liste namhafter Sozialdemokraten, die ihr Unbehagen deponieren, wächst. Noch bevor am Sonntag die ersten Wahlergebnisse über die Bildschirme flimmerten, hat Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser einen sechsseitigen Brief in die roten Schaltzentralen verschickt, um eine „radikale Grundbesinnung“ zu propagieren. Die Nationalratsabgeordnete Julia Herr fordert via Österreich im Widerspruch zu dem Plan der Parteispitze „so schnell wie möglich einen beschlussfähigen Sonderparteitag“, während der Medienmanager Gerhard Zeiler bei diversen Werbeterminen für sein neues Buch nach einem „echten Neuanfang“ in der SPÖ ruft. Die Kritik wird auch am Dienstag nicht abreißen: Bei einer Betriebsversammlung in der Parteizentrale muss sich Rendi-Wagner der Diskussion mit Bediensteten stellen, die wegen der Schulden der Partei eine Kündigungswelle befürchten.

Kein ernstzunehmender Player fordert öffentlich den Abgang der Chefin, sowohl Kaiser als auch Herr betonen: Es gehe um die Inhalte, nicht um das Personal. Doch klar ist ebenfalls: Einmal losgetreten, kann eine Debatte eine unkontrollierbare Dynamik entfachen – bis der Druck so groß wird, dass Rendi-Wagner doch weichen muss.

Argumente gegen Lercher

Allerdings sind Alternativen spärlich gesät. Als uneingeschränkt williger Kandidat gilt Max Lercher. Rendi-Wagners Verteidiger scheinen den Steirer als Konkurrenten ernst zu nehmen, sie bauen unterschwellig mit Argumenten vor: Die Obfrau müsse nun jenen Schuldenberg abtragen, den ihr Vorgänger Christian Kern hinterlassen habe, heißt es – und zu dieser Zeit war niemand anderer als der damalige Bundesgeschäftsführer Lercher für die Finanzen verantwortlich.

Sympathisanten trauen Lercher hingegen zu, dem Parteiapparat neue Schlagkraft verpassen zu können. Doch was die Außenwirkung betrifft, haben selbst Wohlmeinende Zweifel: Dem 33-Jährigen fehle es wohl noch an Profil, um nicht nur die roten Kernschichten, sondern eine breite Wählerschaft anzusprechen.

Bereits seit einigen Jahren geistert Gerhard Zeiler als möglicher Frontmann durch die Debatte. Zweimal hat der Sprung an die Spitze nicht geklappt: Weder kam er statt Kern zum Zug noch statt Rendi-Wagner. Allerdings hat der 64-Jährige nun jegliche Ambition dementiert, und so manche in seinem Buch ausgebreitete Idee ist in der SPÖ wohl weit entfernt von Mehrheitsfähigkeit. So plädiert der Ex-ORF-Chef etwa für die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten und äußert Unverständnis für den Widerstand gegen flexiblere Arbeitszeiten. Das schlägt sich mit dem „Kampf gegen den Neoliberalismus“, den der Landeshauptmann Kaiser, eine einflussreiche Autorität in der SPÖ, eben in seinem Brief skizziert hat.

Kandidaten mit Wenn und Aber

Weil der Burgenländer Doskozil wegen seiner Landtagswahl im Jänner und wegen seiner Stimmbandprobleme momentan nicht infrage kommt, ist Kaiser auch der einzige Landeschef, der als möglicher neuer Bundesvorsitzender gehandelt wird. Der Kärntner will zwar nicht wirklich; doch wenn ein Troubleshooter gebraucht wird, der die Partei vor dem Zerbröseln rettet, kann er sich mangels Alternativen dem Ruf an die Spitze womöglich nicht entziehen.

Ähnliches gilt für Doris Bures, die aber alles andere als unumstritten ist. Schließlich gilt die Zweite Nationalratspräsidentin als Hauptfigur des „Liesinger Wohnzimmers“, wie es ein innerparteilicher Gegner ausdrückt: Diese eingeschworene Clique aus dem Süden Wiens habe bereits unter der Regentschaft Werner Faymanns jede Modernisierung der Partei verhindert und übe ihren unheilvollen Einfluss nun auch auf Rendi-Wagner aus.

All diese Wenn und Aber könnten darin münden, dass Rendi-Wagner trotz aller Unzufriedenheit bleibt. Zumindest mittelfristig – denn wer Spitzenkandidat für die nächste Nationalratswahl wird, ist bei allen Varianten ohnehin eine andere Frage, die noch Aufschub duldet. Kritiker Schnabl sagt: „Wenn Rendi-Wagner eine echte Erneuerung der SPÖ einleitet, schließe ich nicht aus, dass sie noch sehr lange Parteivorsitzende bleibt.“ (Gerald John, 25.11.2019)