Ein rauher Ton ist an der Tagesordnung, erzählt die Gastronomiefachfrau Karin Stanger. In einer Küche wurde sogar mal eine heiße Pfanne nach ihr geworfen.

Foto: Standard/Elmar Gubisch

Sich mit Fieber und laufender Nase in die Arbeit zu schleppen – für Elisabeth Hafenecker* war das lange Zeit Alltag. Nach ihrer Ausbildung zur Hotel- und Gastgewerbe-Assistentin in einem Vier-Sterne-Hotel arbeitete die heute 32-Jährige in verschiedenen Betrieben und lernte schnell, dass Ausfall keine Option ist. "Der soziale Druck war enorm, alle sind krank zur Arbeit gekommen. Es war klar: Wenn du zu Hause bleibst, lässt du das Team im Stich", erinnert sie sich zurück. Hafenecker sammelte Erfahrung im Ausland, arbeitete in Hotels und in der Sternegastronomie. "Ich habe es immer gerne gemacht, der Beruf hat viele spannende Seiten", sagt sie. Und dennoch: Irgendwann waren die Arbeitsbedingungen für sie nicht mehr tragbar, nach einem Burnout wechselte Hafenecker die Branche.

Wechsel gewünscht

Mit ihren Erfahrungen ist Elisabeth Hafenecker nicht allein. Im Vergleich mit anderen Branchen ist die Zufriedenheit von Beschäftigten in Tourismus und Gastronomie gering. Das belegt der Arbeitsklima-Index, den die Arbeiterkammer Oberösterreich vierteljährlich veröffentlicht. Fast vier von zehn KellnerInnen sowie ein Drittel der Angestellten in Gasthäusern und Hotels gaben zuletzt an, künftig etwas anderes arbeiten zu wollen. Sie zeigten sich unzufrieden mit dem Einkommen, aber auch mit dem Betriebsklima, dem Zeit- und Arbeitsdruck. Die Work-Life-Balance liege in der Branche im Argen, kommentierten VertreterInnen der zuständigen Gewerkschaft Vida in einer Aussendung – wer seine MitarbeiterInnen fair behandle und entlohne, müsse auch keine Angst vor Personalmangel haben.

Einen Mangel an Fachkräften beklagen Gastronomie und Hotellerie in Österreich seit vielen Jahren. Speziell in Westösterreich seien offene Stellen in der Wintersaison schwierig zu besetzen. Der Bedarf an Arbeitskräften könnte indes weiter steigen – der heimische Tourismus boomt. 149,8 Millionen Nächtigungen in- und ausländischer TouristInnen verzeichnete die Statistik Austria für das Jahr 2018, ein Rekordwert und ein Plus von rund neun Millionen Nächtigungen im Vergleich zu 2016. Hält das Wachstum weiterhin an, brauche allein die Hotellerie 2023 bis zu 8.000 MitarbeiterInnen mehr pro Monat, wie eine Studie des Instituts für Höhere Studie im Auftrag der Österreichischen Hoteliervereinigung zeigt.

Alles geben

Auch Karin Stanger kehrte nach ihrer Ausbildung der Gastronomie den Rücken. In einem Landgasthof in Oberösterreich schloss sie eine vierjährige Lehre zur Gastronomiefachfrau ab. "Die harte Schule also", sagt sie. Stanger erinnert sich an den enormen Druck im täglichen À-la-Carte-Geschäft, den Stress, die schmerzenden Füße. "Der Stress hat zur Folge, dass Menschen nicht gut miteinander umgehen", sagt Stanger. Ein rauer Ton sei da an der Tagesordnung, auch Gewalt am Arbeitsplatz habe sie erlebt: In der Küche warf jemand eine heiße Pfanne nach ihr.

Im zweiten Bildungsweg holte Stanger schließlich die Matura nach. Um ihr anschließendes Studium finanzieren zu können, arbeitete sie nebenbei weiterhin in der Gastronomie. Eine Arbeit, die sie immer auch gern gemacht habe – doch die negativen Seiten hätten schlussendlich überwogen. "Tatsächlich habe ich viele KollegInnen erlebt, die sich sehr stark mit ihrem Beruf identifiziert haben, die jeden Tag bis ans Limit gegangen sind", sagt Stanger. Als politische Referentin in der Fraktion der Alternativen, Grünen und Unabhängigen GewerkschafterInnen ist ihr heute die Lehrlingsausbildung ein besonderes Anliegen. Da sind etwa die im Vergleich mit anderen Branchen niedrige Lehrlingsentschädigung, fehlende Möglichkeiten einer Lehre mit Matura und Arbeitszeitbestimmungen, die oft nicht eingehalten würden.

Frauenbranche Gastgewerbe

Das kann auch Irene Holzbauer bestätigen, die die Abteilung Arbeitsrecht in der AK Wien leitet. Sowohl bei den Ratsuchenden als auch bei jenen Fällen, in denen die AK Wien bei den Arbeitgebern interveniert oder klagt, stehe das Hotel- und Gastgewerbe an erster Stelle. "Und wir streiten nicht um irgendwelche Details wie bestimmte Zulagen, wir streiten um Lohn für geleistete Arbeit und um unzählige unbezahlte Überstunden", sagt Holzbauer.

Arbeitszeitregelungen würden häufig nicht eingehalten, Dienstpläne nicht wie vorgeschrieben 14 Tage im Voraus übermittelt. Ein besonders schwieriges Arbeitsumfeld für Frauen, weiß die Arbeitsrechtsexpertin – in einer Branche, die in Österreich mehrheitlich weiblich ist. Mehr als 216.000 Beschäftigte (ohne geringfügig Beschäftigte) arbeiteten im vergangenen Jahr im Gastgewerbe, meldete der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, rund 56 Prozent davon waren Frauen.

"Die Arbeitszeiten im Gastgewerbe lassen sich nur sehr schwer mit Kinderbetreuungspflichten vereinbaren", sagt Holzbauer. Arbeiten am Abend und am Wochenende, hinzu kommen vor allem in Saisonbetrieben geteilte Dienste. KellnerInnen und KöchInnen leisten dann zum Beispiel Frühstücksdienst und kommen nach einer mehrstündigen Pause erneut zum Einsatz. Zeit für die Familie, für FreundInnen oder gar Sport bleibt da kaum. Das neue Arbeitszeitrecht, das die türkis-blaue Regierung 2018 umsetzte, verschärfte die Situation weiter. So wurde die Ruhezeit zwischen den Diensten von elf auf acht Stunden verkürzt – bisher war das laut Kollektivvertrag nur in Ausnahmefällen möglich.

Dennoch sei der Tourismus in Österreich ein attraktiver Arbeitgeber und eine "Jobmaschine", kontert Rolf Gleißner, Leiter der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit in der Wirtschaftskammer. So gebe es in der Branche etwa ein großes Angebot an Teilzeitstellen. "Wie immer man zu Teilzeitarbeit stehen mag, gerade auch von Frauen werden diese Stellen nachgefragt", sagt Gleißner zum STANDARD. Auch in ländlichen Regionen, wo Arbeitsplätze durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft verloren gegangen seien, biete das Gastgewerbe Arbeitsuchenden neue Möglichkeiten.

#MeToo

Für viele weibliche Beschäftigte sind indes auch sexuelle Übergriffe im Gastgewerbe ein Thema. Zwar passieren diese in sämtlichen Branchen, aber überall dort, wo es Kundenkontakt gibt, steigt jedoch das Risiko für Belästigung. "Einen konkreten Übergriff habe ich nur einmal erlebt, ein Gast hat mir an die Brüste gefasst – und mein Chef hat ihn, wie es sich gehört, hinausgeworfen", erzählt Gewerkschafterin Karin Stanger. Anzügliche Bemerkungen von Gästen aber seien gang und gäbe gewesen. Wie groß das Problem tatsächlich ist, dazu liegen in Österreich keine Studien vor. Eine US-amerikanische Untersuchung der Restaurant Opportunities Centers United aus dem Jahr 2014 liefert jedoch alarmierende Zahlen. Rund 80 Prozent der weiblichen Restaurantangestellten gaben an, schon einmal sexuelle Belästigung durch KundInnen erlebt zu haben, zwei Drittel der Frauen wurden bereits von Vorgesetzten belästigt.

Umdenken gefragt

"Letztendlich müssen im Gastgewerbe Arbeitsplätze geboten werden, die es den Beschäftigten ermöglichen, gesund zu bleiben", sagt Irene Holzbauer von der Arbeiterkammer. Nicht nur die Fluktuation ist im Tourismus besonders hoch, die Branche ist auch eine mit jungen VertreterInnen: 40 Prozent der Beschäftigten sind laut Angaben der Gewerkschaft Vida jünger als 30 Jahre. Auch Elisabeth Hafenecker verließ das Gastgewerbe vor ihrem 30. Geburtstag. "Wenn ich zurückdenke, war die Bezahlung dafür, was ich geleistet habe, wirklich unterirdisch", sagt sie. Was die Branche besser machen könnte, verarbeitete Hafenecker in einer Projektarbeit auf dem zweiten Bildungsweg. Vorreiterbetriebe in Österreich würden sich um nachhaltige MitarbeiterInnenpolitik, um Wertschätzung und angemessene Freizeit bemühen. Ein Konzept, an dem sich alle Tourismusunternehmen orientieren sollten, schreibt sie. (Brigitte Theißl, 26.11.2019)