Es weihnachtet wieder. Längst sind die Weihnachtsmärkte eröffnet, die Schaufenster-Dekorationen in Dorf und Stadt verkünden die frohe Botschaft und die Städte werden illuminiert. Im Prinzip ist zu Weihnachten das Meiste gesagt und geschrieben. Ab und an werden auch noch einige Kulturwissenschafter (in der Tradition der Post-Volkskunde) eingeladen, die für ein interessiertes Publikum etwas Illustratives oder Anekdotenhaftes zum Besten geben. Eine historisch argumentierende Kulturanalyse kann aber mehr und sie wird zur aufschlussreichen Gesellschaftsanalyse, wenn sie die alltäglichen Hervorbringungen der Menschen in Bezug auf ihre sozialen Kontexte verständlich machen kann.

Weihnachten zählt zum Kanon der sogenannten kulturellen Identität, insbesondere der sich als christlich ausgebenden Bevölkerungsteile. Weihnacht wird als Kernbestand "unsere Kultur" imaginiert. Kultur und Alltagskultur haben aber Zeichencharakter: "Darin spiegeln sich soziale Zusammenhänge, die Kultur steht für die Menschen, die damit umgehen", weiß die Volkskunderin und Weihnachtsforscherin Ingeborg Weber-Kellermann in der "Zeit". Weihnachten ist auch als ökonomischer und sozialer Faktor von Belang. Insofern stellt sich für die Kulturanalyse die Frage, inwiefern die Art und Weise, wie Weihnachten begangen wird, etwas über die strukturelle Verfasstheit von Gesellschaft sagt, beziehungsweise zu dieser Verfassheit wiederum beiträgt.

Oh du bedrohte Weihnachtszeit!

Die Klagenfurter FPÖ hat ein gutes Gespür dafür, wie man Menschen mit dem Weihnachtsthema aufwiegeln kann. Erst jüngst versuchte die Partei Stimmung gegen die Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz zu machen, weil der gerade errichtete, aber noch ungeschmückte Christbaum vor dem Rathaus angeblich zu "schiach" sei. Die Monate davor stand noch jeder Baum unter dem persönlichen Schutz der FPÖ-Funktionäre, der auch nur Gefahr lief, in die Nähe der Kunstinstallation "For Forest" im Klagenfurter Stadionwald transportiert zu werden. Das zeigt, wie rechtsextreme Parteien versuchen, ein bestimmtes Verständnis von Kultur zu mobilisieren. Sie unterstellen, dass Kultur in einem Container aufbewahrt werden könne. Sie verwechseln Kultur mit einem Gefängnis und versuchen uns einzureden, dass ein "Volks-Rock-'n'-Roller" wie Andreas Gabalier (der afroamerikanische Musik in Lederhosen präsentiert) einer von uns sei.

Insofern ist nochmals auf ein Ereignis im Dezember 2018 zurückzukommen, als der damalige, mittlerweile zurückgetretene, FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache eine Schulrektorin an den Pranger gestellt hat, weil sie darauf hingewiesen habe, dass das Anbringen von Weihnachtsdekoration im Schulhaus den Brandschutzbestimmungen zuwiderlaufe.

Facebook-Posting von 2018.
Screenshot: Facebook

Strache konnte oder wollte sich nichts anderes vorstellen, als dass die Schulrektorin mit ihrer Attacke gegen den Weihnachtsschmuck Weihnachten in der Schule nun zur Gänze verbieten wolle. So verlautbarte er es jedenfalls auf seiner inzwischen aus dem Verkehr gezogenen Facebook-Seite. Zuvor behauptete der ehemalige Wiener FPÖ-Chef im gleichen Tenor, Weihnachten gegen den Multikulturalismus verteidigt zu haben. Angeblich sei auf Initiative der FPÖ 2018 beim Weihnachtsmarkt in Wien-Favoriten wieder die "weihnachtliche Holzhütte" durchgesetzt worden, nachdem 2017 der Weihnachtsmarkt einer "muslimische Zeltstadt" geglichen habe.

Fest der Liebe?

Diese Beispiele bezeugen ein politisches Kalkül, welches darauf abzielt, die mit Weihnachten verbundenen Emotionen anzurufen und zur Herstellung von Hass zu instrumentalisieren. Weihnachten ist offensichtlich nicht das, als was es inseriert wird, das "Fest der Liebe" – sondern ein jährlich wiederkehrendes Ritual, das einige Möglichkeiten bietet, gesellschaftliche Konflikte zu inszenieren und Zwietracht zu säen.

Allerdings ist die Instrumentalisierung des Weihnachtsfests und insbesondere des Christbaums keineswegs neu, sondern bereits in seine Genese eingelassen. Die Volkskundlerin Ingeborg Weber-Kellermann verwies bereits in ihrem Buch "Das Weihnachtsfest. Eine Kultur- und Sozialgeschichte der Weihnachtszeit" (1973) auf den gewaltvollen Kontext der Erfindung des Weihnachtsbrauchtums. Insbesondere der Weihnachtsbaum (so die in Deutschland von Österreich abweichende Bezeichnung für den Christbaum), der Mittelpunkt des bürgerlichen Familienfestes, war das Resultat einer Umfunktionierung. Nicht schon seit "immer und ewig", sondern erst seit dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 hatte sich der Weihnachtsbaum zum "deutschen" Festsymbol entwickelt und in der Folge eine große Verbreitung gefunden. Bis zu diesem Zeitpunkt war er nur in betuchten Adelshäusern und reichen Bürgerfamilien verbreitet gewesen. Im Kriegswinter 1870 aber ließen die deutschen Generäle in den Lazaretten, Quartieren und Unterständen an Heiligabend Weihnachtsbäume aufstellen. Das Ziel war die Hebung der allgemeinen Kampfmoral. In der Folge übernahmen die siegestrunkenen heimgekehrten Soldaten das einst elitäre Brauchtum und vermochten auf diese Weise einen Abglanz des adeligen Hoflebens in ihre eigenen vier Wände bringen.

Der Christbaum wird eben nicht schon seit immer aufgestellt.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Es war also der Deutsch-Französische Krieg, der ganz entscheidend zur massenhaften Verbreitung des Weihnachtsbaums beigetragen hat. Dieser Sachverhalt weist uns darauf hin, dass es tatsächlich ein Zusammenhang gibt, schöne, vielleicht auch mit kindlichen Erinnerungen verbundene Gefühle anzurufen, um andere Dinge, die mit Hass oder Gewalt verbunden sind, besser realisieren zu können.

In der gegenwärtigen Diktion wird Weihnachten – entgegen der landläufig verbreiteten Idee vom "Fest der Liebe" – dazu funktionalisiert, 'die' anderen auf den Platz zu weisen, ihnen zu bedeuten, dass sie nicht hierhergehören. War es 1870/71 der Versuch, die Soldaten bei Laune zu halten und die militärische Schlagkraft zu erhöhen, dient die Anrufung von Weihnachten als "unserer Kultur" durch AfD oder FPÖ als ideologische Vorbereitungen für geplante, noch ausstehende ethnische Säuberungen. Weihnachten bedeutet vielen Menschen sehr viel, und mit der Behauptung, "die anderen" wollen "uns" unser Weihnachten wegnehmen, wird einmal mehr gezeigt, dass "die anderen" nicht zu "uns" gehören.

Wie eine Fata Morgana

Wir sehen: Brauchtum, der Weihnachts- oder der Christbaum, der Adventskranz, Weihnachtsmärkte, aber auch die Frage, ob bei "uns" der Weihnachtsmann oder das Christkind kommt, werden zum Kulturkampf zugespitzt. Nicht ganz zufällig dient der Streit, wie Weihnachten auszuschauen habe, als Vorwand für die Verbreitung von Hass und Unfrieden.

Die Kulturanalyse kann darüber hinaus zeigen, wie wenig von Brauchtum und Volkskultur "unser" Eigenes ist. Sie kann historisch herleiten, dass diese Vorstellungen über Kultur und das Eigene das Ergebnis von Erfindungen sind und dass die begriffliche Kampfausrüstung auf historisch falschen Vorstellungen von Kultur und kulturellen "Identitäten", auf trügerischen Imaginationen einer Fata Morgana beruht. Kultur ist kein Container und kein Gefängnis, sondern entsteht im historischen Prozess, der das "Eigene" und das angeblich "Authentische" nicht kennt.

Bei "uns" kommt das Christkind. Der Weihnachtsmann wird als feindlicher Kultureinfluss imaginiert.
Foto: APA/dpa/Nico Pointner

Und Weihnachten? Weihnachten, so sei nochmals in Erinnerung gerufen, wird als das Fest der Liebe inseriert, viele gehen in die Kirche und vernehmen dort die Botschaft der christlichen Nächstenliebe sowie die Botschaft von Jesu Geburt. Nun ist das mit der Liebe zwischen den Menschen so eine Sache. Zuweilen ist sie auch ein Kampfplatz oder, um es mit Pat Benatar zu sagen: "Love is a battlefield." (Klaus Schönberger, 29.11.2019)