Sucht entsteht, weil die positive Erfahrung des Rausches das Belohnungssystem des Gehirns stimuliert. Ketamin unterbindet das Abspeichern dieses positiven Gefühls.

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Ketamin ist ein Narkose- und Schmerzmittel, das in der Notfall- und Tiermedizin eingesetzt wird. Durch seine beruhigende, leicht alkoholähnliche Wirkung gilt Ketamin als Partydroge, die in höheren Dosen auch halluzinogene Effekte hervorrufen kann. Nun testeten britische Wissenschafter Ketamin erstmals als potenzielle Substanz gegen Alkoholsucht. In einer aktuell veröffentlichten Studie im Fachjournal "Nature" konnte gezeigt werden, dass eine einmalige Dosis des Wirkstoffes Menschen, die viel Alkohol trinken, dabei hilft, ihren Konsum zu reduzieren.

Menschen werden drogenabhängig, weil die positive Erfahrung des Rausches das Belohnungssystem im Gehirn stimuliert. Bei mehrfacher Erfahrung manifestiert sich das Gefühl eines Rausches als eine Erinnerung im Gedächtnis, und es entsteht ein starker Wunsch danach, die Droge erneut zu konsumieren. "Dieses 'Suchtgedächtnis' befördert automatische und zwanghafte Verhaltensweisen, die willentlich und therapeutisch bislang kaum zu beeinflussen sind", erklärt Ben Becker vom Clinical Hospital of the Chengdu Brain Science Institute in China, der nicht an der Studie beteiligt war.

Jedes Mal, wenn eine Erinnerung im Gedächtnis abgerufen wird, durchläuft das Gehirn einen aktiven Prozess, die sogenannte Rekonsolidierung. Die Abspeicherung des guten Gefühls eines Rauschzustands kann der Wirkstoff Ketamin offenbar verhindern, wie die aktuelle Studie nahelegt. Er blockiert einen wichtigen Rezeptor im Gehirn, der eine Rolle bei der Rekonsolidierung von Erinnerungen spielt.

Eine Dosis reicht aus

In die Studie zur Wirkung von Ketamin untersuchten die Wissenschafter 90 Probanden ohne diagnostizierte Alkoholabhängigkeit, die aber pro Woche mehr als 40 (Männer) beziehungsweise 30 Units (Frauen) Alkohol konsumierten, vorzüglich Bier. Zehn Units entsprechen 2,5 Liter Bier. Der Testgruppe wurden Bilder von Bier vorgelegt, die die Erinnerung an den Konsum reaktivierten. Die Probanden erhielten im Anschluss aber nicht die zu erwartende Belohnung, sondern eine intravenöse Infusion Ketamin. Die Teilnehmer berichteten in den folgenden zehn Tagen, dass ihr Drang, Bier zu trinken, stark gesunken sei. Dieser Effekt blieb auch über eine neunmonatige Nachbeobachtungszeit erhalten.

"Wegen der hohen Prävalenz des Alkoholmissbrauchs und der mäßigen Erfolge der Behandlung der Alkoholsucht mit den bisher etablierten Behandlungsansätzen werden neue Methoden dringend benötigt. Die Befunde eröffnen diese möglicherweise völlig neue Behandlungsoption für Sucht und stellen zudem wichtige neurobiologische Angriffspunkte für die Entwicklung neuer Medikamente dar", betont Becker.

Problematisch sind allerdings die potenziellen Nebenwirkungen von Ketamin. Bei mehrfacher hochdosierter Anwendung kann sich die Substanz negativ auf die Gedächtnisleistung auswirken und zu Depressionen führen. "Jene Gedächtnismechanismen, die bei der Sucht eine zentrale Rolle spielen, konnten allerdings durch eine einmalige Gabe von Ketamin langfristig beeinflusst werden. Dies ist im Vergleich zu anderen pharmakologischen Behandlungsmethoden – beispielsweise der täglichen Gabe anderer Medikamente mit teils erheblichen Nebenwirkungen über einen Zeitraum von Monaten – revolutionär", relativiert Hirnforscher Ben Becker. (red, 27.11.2019)