Beginnen wir mit dem amüsanten Teil der Geschichte: Exakt 2.407 Produkte bietet das Unternehmen Homeocur aus Retz unter dem Menüpunkt "Homöopathie" auf seiner Webseite feil. Der alternativmedizinische Feinspitz findet dort – jeweils "hochwertig handpotenziert" – unter anderem: "Eierstöcke", "Alpenlachs", "Mondstrahlen", "Klapperschlange", "Schokolade aus England", "Käseschmiere" (von neugeborenen Babys), "Bettwanze", "totale Sonnenfinsternis" und vom Hausschweinderl wahlweise die "Augenlinse" oder süße "Schweinemilch". Etwas ratlos zurück lassen einen die Arzneimittel "Aqua Gasteiner" und "Vodka". Alle "Arzneien" werden als Globuli angeboten, auf Nachfrage gibt es sie auch als Tropfen oder Zäpfchen, was die Fantasie überstrapaziert. Was passiert, wenn wir die "totale Sonnenfinsternis" als Zäpfchen bestellen und anwenden? Scheint uns dann als Effekt die Sonne aus dem A...? 

Im Impressum des Unternehmens ist die Retzer Apotheke "Zum weißen Engel" angeführt. Das Haus verweist stolz auf einen 1.700 Quadratmeter großen Kräutergarten, aus dem die Globuli-Produzenten so manchen pflanzlichen Ausgangsstoff beziehen. Woher allerdings die Eierstöcke und die Saumilch kommen, wer das Mondlicht einfängt, wer auf der Geburtenstation die Käseschmiere der Babys abzweigt und wie die Klapperschlange gehalten wird und wo man die Bettwanzen in Retz fängt, wird offen gelassen.

FSME-Impfung? Nehmen's doch ein Globuli!
Foto: AP/Seth Wenig

116 "Impfstoffe" im Angebot

Der verstörende Teil der Geschichte: Das Unternehmen vertreibt Homöopathika als Impfstoff: 116 "Impfstoff"-Produkte listet das Unternehmen auf der Webseite auf, von HPV über Tollwut bis zur Sechsfachimpfung, Diphtherie, Keuchhusten, Tetanus, Kinderlähmung, Hepatitis B, Haemophilus. Man darf hoffen, dass man die komplexen Sechsfach-Vakzine in der feinen Globulimanufaktur im Weinviertel behände und ohne etwas durcheinanderzubringen sauber geschüttelt hat. 

"Impfbegleitung" oder doch Impfersatz?

Die Apotheke weist auf Nachfrage darauf hin, dass die "Impfstoffe" lediglich als Unterstützung – vor allem für Kleinkinder – bei tatsächlichen Impfungen gedacht seien. Viele Anwender der Homöopathie verstehen Impfstoff freilich wörtlich. Vor allem Nosoden – homöopathieähnliche Produkte aus Krankheitserregern oder pathologischem Gewebe – werden in der alternativmedizinischen Praxis als Ersatz für Impfungen empfohlen. Der Homöopath Ravi Roj gilt als Initiator der "homöopathischen Prophylaxe". Er empfahl im Jahr 2007 erstmals Nosoden als Impfersatz. 

Die Heilpraktikerin Kirsten Osbahr empfiehlt "Krankheitsnosoden zur homöopathischen Impfung" bei Scharlach, Masern und Keuchhusten: "Eine Impfnosode wird zur homöopathischen Impfung in der Doppelgabe oral eingenommen." Der Wiener Arzt Johannes Schön rät Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen wollen, zu einem "Behandlungs-Versuch mit einer homöopathischen Nosode", falls das Kind - zum Beispiel auf Reisen oder wegen Erkrankungen im Umfeld - gegenüber ansteckenden Krankheiten exponiert ist. Die Grazer Naturheilpraktikerin Christine Greiner empfiehlt Nosoden explizit als Alternative zu "schulmedizinischen Impfungen." Bei Homeocur werden abenteuerlustige Ärzte, Heilpraktiker und Patienten jedenfalls fündig: Grippe-, Tetanus-, Gelbfieber-, Röteln-, Mumps- Diphterie- und andere Nosoden machen mehr als die Hälfte der - teilweise als rezeptpflichtig ausgezeichneten – "Impfstoffe" im Webshop aus.

Autorin Grams: "Hier werden Menschenleben gefährdet"

Die ehemalige Homöopathin, Ärztin und Buchautorin Natalie Grams bestätigt, erst vor kurzem wieder von einem Vater kontaktiert worden zu sein, dessen Kinder an Masern erkrankt sind, "obwohl" sie von einem Homöopathen gegen Masern "geimpft" wurden. Die engagierte Ärztin redet Klartext: "Hier werden nicht nur Patienten in die Irre geführt, sondern Menschenleben gefährdet. Bei homöopathischen Impfungen wird nicht nur eine rechtliche Grenze überschritten, sondern auch eine ethische."  

Sogar die Österreichische Gesellschaft für Homöopathische Medizin findet anlassbezogen klare Worte: "Eine homöopathische Impfung gibt es nicht.

Klare Worte der Apothekerkammer

Auch die  Apothekerkammer kündigt an, Tacheles zu reden: "Ein derartiger Vertrieb und die Bewerbung von 'homöopathischen Impfstoffen' ist weder mit den arzneimittelrechtlichen Bestimmungen, noch mit den apothekenrechtlichen Berufspflichten vereinbar", sagt Paul Lambauer von der Rechtsabteilung. Es sei nicht "vertretbar, den Eindruck zu erwecken, dass ein homöopathisches Arzneimittel eine Alternative zu zugelassenen Schutzimpfungen darstellen könne. Wir werden diesen Fall einer detaillierten Prüfung unterziehen und die erforderlichen disziplinären Schritte einleiten."

Wer sich schon immer fragte, was in hochpotenzierten Globulis tatsächlich enthalten ist: Das Retzer Unternehmen bietet auch "Rohglobuli" an. Diese Zuckerkugeln sind laut Homeocur "noch nicht mit einer Trägersubstanz imprägniert." Die Sonnenfinsternis, die Klapperschlange, die Schweinsmilch oder auch den Impfstoff Kinderlähmung darf sich vermutlich der Käufer eigenhändig reinschütteln. Diese Kügelchen bezeichnet Homeocure als "unarzneiliche Globuli" und "Placebo Globuli." Wir könnten es nicht schöner sagen. Ein Schelm, wer jetzt Böses denkt, was die komplexe und langwierige Produktion von Hochpotenzen betrifft. (Christian Kreil, 1.12.2019)

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