Dänemark hat in den vergangenen Jahren die Sozialleistungen für Migranten gesenkt, dann erhöht, dann wieder gesenkt. Wissenschafter untersuchten nun die Effekte.

Foto: Imago

Wien/Kopenhagen – Warum strömen in manche Länder tausende Flüchtlinge, während andere von Migranten gemieden werden? Über diese Frage ist nach dem Fluchtjahr 2015 in Europa eine rege Debatte entbrannt. Politisch im Fokus war dabei stets die Rolle von Sozialtransfers. Die Forschungsarbeiten darüber waren bisher eindeutig. Wohin Menschen migrieren, hängt von vielen Faktoren ab, die Höhe der Sozialtransfers im Aufnahmeland spielt dabei keine Rolle. Drei Ökonomen von der Princeton University widersprechen dem nun.

Ole Agersnap, Amalie Jensen und Henrik Kleven haben untersucht, wie sich Änderungen im dänischen Sozialsystem auf Migration ausgewirkt hat. Sie fanden einen Konnex: Eine Senkung der Sozialhilfe führte dazu, dass weniger Menschen einen Asylantrag in Dänemark stellten.

Für die Studie haben sich die Forscher die Entwicklung der Einwanderung in den Jahren 1980 bis 2017 angesehen. Die Zahl der Migranten hat im Einklang mit dem europäischen Trend in dieser Zeit auch in Dänemark deutlich zugenommen.

Im Jahr 2002 wurden die Sozialleistungen für Migranten aus Nicht-EU-Ländern reduziert. Ein Paar mit einem Kind zum Beispiel erhielt vor der Kürzung umgerechnet 3.000 US-Dollar an ausbezahlten Sozialleistungen. Nach der Kürzung waren es nur noch 1.500 Dollar, also eine Reduktion um 50 Prozent. Bei anderen Gruppen waren die Einschnitte zwar nicht ganz so drastisch, aber auch beträchtlich.

Gleichzeitiger Rechtsruck

Das Ganze war die Folge eines politischen Schwenks nach rechts: Ende 2001 bildeten die dänischen Bürgerlichen eine Minderheitskoalition, die von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei unterstützt wurde. Im Jänner 2012, nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten, wurden die Kürzungen zurückgenommen – bis dann 2015 im August wieder die Konservativen an die Regierung kamen und die Kürzungen wieder einführten.

Die Ökonomen Agersnap, Jensen und Kleven haben untersucht, wie sich diese Regeländerungen im Sozialsystem auf die Einwanderung ausgewirkt haben. Das Ergebnis: Nach jeder der erwähnten Verschärfungen ging die Zahl der Einwanderer zurück, und zwar so, dass im Schnitt um 5.000 Menschen pro Jahr netto weniger nach Dänemark kamen.

Nach 2012 dagegen, als wieder mehr Geld ausbezahlt wurde, stieg die Migration im gleichen Ausmaß wieder an. Pro Jahr wandern im Schnitt netto 8.000 Menschen aus Ländern außerhalb der EU nach Dänemark ein. Die erwähnten Änderungen in der Sozialhilfe galten nur für Asylwerber und Menschen, die von einer Familienzusammenführung profitieren. Für Arbeitsmigranten aus Drittstaaten gibt es keine Sozialhilfe. Dass weniger Migranten nach Dänemark kamen, liegt laut Studienautoren also nur daran, dass weniger Flüchtlinge und weniger Menschen im Zuge einer Familienzusammenführung aufgenommen wurden.

Auch wenn syrische Flüchtlinge nicht berücksichtigt werden, bleibt das Ergebnis gleich. Zudem wird die Entwicklung mit der Zuwanderung nach Finnland, Schweden und Norwegen verglichen. Dort gab es die erwähnten Schwankungen nicht, also zum Beispiel keinen Rückgang nach dem Jahr 2002. Das Paper betont, dass die Ergebnisse nur einen Hinweis darauf geben, warum Menschen ein Land für ihren Asylantrag auswählen. Die Frage, warum Menschen ihre Heimat verlassen, wird nicht behandelt.

Vernachlässigte Faktoren?

Die Studie steht wie erwähnt im Gegensatz zu anderen Arbeiten. Der Ökonom Timothy J. Hatton von der University of Essex hat in einem Forschungspaper die Flüchtlingsströme in mehreren Länder untersucht. Die Höhe der Sozialhilfe spielt laut Hatton keine Rolle. Entscheidend sei vielmehr, ob Länder restriktiv vorgehen, also ihre Grenzen abriegeln. Förderlich für Migrationsbewegungen sei demnach auch, wenn Netzwerke bestehen, also Flüchtlinge aus einem Land bereits aufgenommen wurden.

Einwände kommen auch von Thomas Liebig, Migrationsexperte der Industriestaatenorganisation OECD. Er verweist darauf, dass die erwähnten Kürzungen bei der Sozialhilfe in Dänemark parallel zu einer Reihe anderer Regeländerungen stattgefunden haben. 2015 wurde das Aufenthaltsrecht verschärft, Dänemark erkennt Flüchtlinge seither nur noch für begrenzte Zeit an. Die Regeln für Familienzusammenführung seien verschärft worden. Auch 2002 ging eine Kürzung der Sozialhilfe mit weiteren solchen Verschärfungen einher: Dieser Faktor werde in der Studie aber nicht berücksichtigt. "Was der reine Effekt der Kürzung der Sozialhilfe ist, lässt sich damit nicht sauber feststellen", so Liebig. Die Wiener Migrationsforscherin Judith Kohlenberger sieht das ähnlich: "Monokausale Erklärungen, das zeigen inzwischen viele Studien, greifen immer zu kurz." (András Szigetvari, 27.11.2019)