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Der globale Hunger nach Rohstoffen wächst. Doch reiche Länder wie die USA verbrauchen Jahr für Jahr von vielen Bodenschätzen bereits weniger.

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Wien – Massenaussterben und Märchen stehen selten in einem Satz. Als Klimaaktivistin Greta Thunberg vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen sprach, stellte sie diesen Kontrast bewusst her. Der Klimawandel bedrohe das Leben auf diesem Planeten, während die Staatschefs nur über Geld und die Mär des ewigen Wachstums sprächen, mahnte die junge Schwedin.

Der weltweite Jugendprotest gegen den Klimawandel gibt einer alten Bewegung neuen Aufwind – der Wachstumskritik.

In den 1970er-Jahren sprach der Philosoph André Gorz als einer der Ersten davon, dass Wirtschaftswachstum niemals ökologisch nachhaltig sei, weil die Bodenschätze begrenzt seien. Der Austrofranzose prägte den heute wieder populären Begriff „degrowth“, der auf Deutsch unter Postwachstum läuft. Die Bewegung ist denkbar breit aufgestellt. Sie reicht von Anarchisten, die das Rad der Industrialisierung zurückdrehen wollen, bis zu Reformatoren der Marktwirtschaft, mit deren Hilfe der Klimawandel bekämpft werden könne.

Dass Wachstumsskeptiker selber häufig in der Kritik stehen, liegt nicht an der gelegentlich unterstellten Realitätsverweigerung der Ökonomen. Dass der Mensch endliche Ressourcen nicht unendlich anzapfen kann, ist eine mathematische Selbstverständlichkeit. Wie eine moderne Konsumgesellschaft theoretisch mit diesem Dilemma umgehen kann, ist ebenfalls wenig umstritten. Die drei Optionen lauten: effizienter werden, recyceln oder sich einzuschränken. Der Konflikt dreht sich um Ideologie.

Zwei Seiten des Wettbewerbs

Damals wie heute stellt die Postwachstumsbewegung das globale Wirtschaftssystem infrage, das sie wahlweise als kapitalistisch oder neoliberal einstuft. Unabhängig vom Label lautet die Diagnose, dass Konkurrenz und Profitorientierung Unternehmen regelrecht zwingen würden, schonungslos mit der Umwelt umzugehen, da sie ansonsten aus dem Markt gedrängt würden.

In einem offenen Brief, der von hundert teilweise prominenten Verfassern wie der globalisierungskritischen Autorin Naomi Klein und dem linken Philosophen und Linguisten Noam Chomsky unterzeichnet wurde, stehen klare Worte: „Falls der weltweite Unternehmenskapitalismus die internationale Wirtschaft weiterhin antreibt, ist eine weltweite Katastrophe unausweichlich.“ Verfechter der Marktwirtschaft sehen das genau umgekehrt.

Weniger ist mehr

Ein Manifest für Innovationskraft des westlichen Wirtschaftssystems liefert Andrew McAffee. Der Forscher am MIT stellt in seinem aktuellen Buch More from Less eine für viele unglaubliche These auf, wie er selber eingesteht: Weil Firmen dem Wettbewerb ausgesetzt sind, müssen sie sparen. Dadurch verbrauchen wohlhabende Länder wie die USA und in der EU in vielen Bereichen weniger Ressourcen als früher – der ökologische Fußabdruck schrumpft, obwohl die Wirtschaft wächst.

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Das Smartphone passt in die Hosentasche und ersetzt etliche Alltagsgeräte. Solche Innovationen fördern nicht nur den Wohlstand, auch der ökologische Fußabdruck sinkt – zumindest im reichen Westen.
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Zum Beispiel erreichten die Emissionen von Treibhausgasen in den USA ihren Höhepunkt 2007. Auch in der EU hat sich der mehrjährige Trend seither umgedreht. Ein gängiger Einwand: Mit der Globalisierung verlagerten Unternehmen nicht nur Jobs und Fabriken, sondern auch den Ressourcenverbrauch in Länder wie China. Doch die Emissionen, die auf westlichen Konsum zurückgehen, egal wo die Waren herkommen, sind in den vergangenen zehn Jahren ebenfalls gesunken, wie Zahlen der EU-Statistikbehörde Eurostat zeigen.

Zenit der Ausbeutung überschritten

Für die USA zeigt McAfee, wie der Zenit beim Verbrauch von Stahl, Aluminium, Edelmetallen oder Papier seit Jahren stagniert oder rückläufig ist, obwohl Industrieproduktion, Bevölkerung und Wohlstand pro Kopf ansteigen. Darüber hinaus sinkt auch der Grad der lokalen Umweltverschmutzung. „Amerika ist über dem Zenit der Ausbeutung der Erde.

Die Situation in vielen anderen reichen Ländern ist ähnlich, sogar Entwicklungsländer wie China kümmern sich besser um den Planeten“, schreibt McAfee. Den Hauptgrund dafür sieht der Forscher im technischen Fortschritt. Produkte werden besser, obwohl weniger Rohstoffe bei der Produktion verbraucht werden. Ein Smartphone ersetzt nicht nur das Festnetztelefon, sondern auch die Kamera, den Walkman, das Navi und etliche andere Geräte, die vor fünfzehn Jahren alltäglich waren.

Maßgeschneiderte Lösung

Für den populären Naturwissenschafter Vazlav Smil ist der Glaube an den technischen Fortschritt hingegen übertrieben. Aus seinem Opus magnum zu dem Thema mit dem schlichten Titel Wachstum hat er einen immensen Datenschatz zusammengetragen, aus dem auch McAfee zitiert.

Doch der Kanadier mit tschechischen Wurzeln plädiert für einen maßgeschneiderten Zugang: Arme Länder brauchten viel mehr Wachstum, reiche weniger. Smil mahnt zur Vorsicht. Sinngemäß argumentiert er so: Zwar steigt weltweit der Lebensstandard, und die Menschheit findet laufend kreative Lösungen für Umweltverschmutzung, aber niemand weiß, ob der Nettoeffekt positiv ist.

Spätestens die nächste Generation wird Gewissheit haben. (Leopold Stefan, 27.11.2019)